Simultan gezeigte Szenen / Bildebenen / Logiken

     
 

Simultan gezeigte Szenen / Bildebenen / Logiken

Dies ist ein Unterkapitel zum Kapitel über ➤➤➤ Bildvielheit

••• Vor allem im 16. Jahrhundert werden bei der Visualisierung von narrativen Texten aufeinanderfolgende Szenen simultan in einem einzigen Bild dargestellt. So werden Handlungszusammenhänge nicht zerrissen, sondern als zwingende Folge dargestellt.

Fabeln — Bibelillustrationen — antike Mythen — Legenden — Novellen — Geschichtsschreibung

Eine Handlung und separat die darin handelnde Person

Phasen mit Bewertungen

Sammeldarstellungen (›Wimmelbilder‹)

Zwei Geschehenszusammenhänge im Kontrast

Tun-Ergehen-Zusammenhang

••• Nebeneinander präsentierte Bild-Elemente können aus verschiedenen Sphären stammen.

    > Realität und Vision

    > Diesseits und Jenseits

    > Exempel und Alternativen

    > Kontrastierende Szenen

    > Ein Phänomen und sein Symbol

    > Vergegenwärtigung einer Geschichte

    > Der Imaginiernde und das von ihm Imaginierte

    > In dieselbe Bildebene praktizierter Hintersinn (Bild-im-Bild)

    > Im realistischen Einsatz — im Modell

••• Kontamination von verschiedenen kulturellen Kontexten

••• Bilder, die auf derselben optischen Ebene Dinge visualisieren, die im Text auf zwei verschiedenen ("heterodiegetischen") Ebenen angeordnet sind: die Geschichte, in der ein Erzähler vorkommt – eine "metadiegetische" Geschichte, die er erzählt.

••• Die Verfahren kommen auch in Kombination vor.

••• Eine Erzählung und die darin handelnde Person prominent in ein einziges Bild gebracht

••• Eine Szene enthält versteckt Elemente, die in der späteren Geschichten von Bedeutung sind

••• Bildnerische Techniken, mit denen die Gegenstücke concomotiert werden

••• Auch in wissenschaftlichen Illustrationen kommen solche Bilder vor

••• Ein Problemfall: Die vielen Äpfel beim Sündenfall

      Weitere verwandte Beispiele im Kapitel Prozessdiagramme.

      Im ›Cartoon‹ / in der ›Bande dessinée‹ sind die Szenen durch Bilderrahmen voneinander getrennt, also nicht simultan dargestellt.

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Die Phasen des Geschehens sind nicht (mit Rahmen) Szene-für-Szene abgetrennt und nacheinander dargestellt.

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Fabel-Erzählungen

••• Von der Königswahl der Frösche

Der Staat der Frösche, die gleichberechtigt nebeneinander leben, verwildert ob ihrer Zügellosigkeit. Sie bitten Zeus um einen König. Dieser wirft einen Balken in den Teich. Nach dem ersten Schrecken herrscht Ruhe. Dann werden die Frösche aber wieder aufmüpfig und bitten Zeus um einen besseren König. Er schickt ihnen die Wasserschlange bzw. den Storch, die/der ihnen den Garaus macht.

Heinrich Steinhöwel, Das buch des hochberemten fabeltichters Esopi mit seinen figuren, Augsburg 1491.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00024871/image_89

Die beiden aufeinanderfolgenden Szenen werden im Bild nebeneinander gezeigt.

Ebenso im Holzschnitt von Virgil Solis (1514–1562):

Aesopi Phrygis fabulae, elegantissimis iconibus veras animalium species ad vivum adumbrantes. […] Schoene und kunstreiche Figuren uber alle Fabeln Esopi ... gerissen durch Vergilium Solis u. mit teutschen Reimen erkl. ... durch Hartman Schopper ... Francofurti ad Moenum: Corvinus, Feyrabend & Gallus 1566.

Die Handschrift von Ulrich Boners »Edelstein« (um 1350), Cod. Pal. germ. 794 (um 1410/1420) zeigt zwei einzelne Bilder zu dieser Fabel (Fol. 8v / 9r)
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg794

Fabel von der Königswahl der Frösche (AaTh 277; Perry Aesopica 44) Phaedrus, Liber Fabularum, lat. und dt., hg. und erläutert von Otto Schönberger, Stuttgart 1975 (Reclams UB 1144-46), Nr. I,2.

••• Fuchs und Storch laden einander ein

Bei der Einladung setzt der Fuchs dem Storch die Speisen in einer flachen Schüssel vor, so dass dieser sie nicht essen kann. Bei der Einladung des Storchs setzt dieser dem Fuchs die Speisen in einem halsigen Gefäß vor. (Phaedrus I,26).

Schalckheit. Ars eluditur arte. (Arglist wird pariert von Arglist.)

XL emblemata miscella nova. Das ist: XL. underschiedliche Außerlesene New­radierte Kunststuck: Durch Weiland den Kunstreichen und Weitberümpten Herrn Christoff Murern von Zürych inventiret/ vnnd mit eygener handt zum Truck in Kupffer gerissen; An jetzo erstlich Zue nutzlichem Gebrauch und Nachrichtung allen Liebhabern der Malerey in Truck gefertiget, vnd mit allerley dazu dienstlichen aufferbaulichen Reymen erkläret: Durch Johann Heinrich Rordorffen, auch Burgern daselbst. Gedruckt zuo Zürych bey Johann Ruodolff Wolffen. Anno .DC.XXII.

Jean de la Fontaine (1621–1695) erzählt diese Fabel auch. – Grandville (1803–1847) visualisiert die beiden Szenen so, dass er die eine Geschichte auf dem Tischtuch präsentiert:

Fables des La Fontaine. Illustrations par Grandville, Paris: Garnier 1839; Livre I, Fable 18

••• Der Vater, der Sohn und der Esel

Wer es alles recht zu machen versucht, erleidet Schaden

  • Mitte des Bilds: Der unbeladene Esel, weswegen man dem Vater vorwirft, warum er nicht darauf reite.
  • Links oben: Der Sohn reitet jetzt auf dem Esel – Warum er den Jungen reiten lasse und als Alter nicht selbst reite?
  • Rechts oben: Der Vater reitet auf dem Esel – Warum denn der Knabe im Kot gehen müsse?
  • Rechts unten: Jetzt reiten beide auf dem Esel – Diese Last, sagen die Leute, sei für den Esel zu schwer.
  • Links unten: Vater und Sohn tragen den Esel auf einem Stab.
  • [nicht bildlich dargestellt: der Vater wirft den Esel in einen Fluss.]

Esopi appologi sive mythologi: cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant. Basel: Jacob Wolff von Pfortzheim 1501. [2 Teile]
> http://mateo.uni-mannheim.de/desbillons/esop/seite324.html

Sebastian Brant, Fabeln. Carminum et fabularum additiones Sebastiani Brant – Sebastian Brants Ergänzungen zur Aesop-Ausgabe von 1501. Mit den Holzschnitten der Ausg. von 1501, hrsg., übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Bernd Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1999 (Arbeiten und Editionen zur mittleren deutschen Literatur. Neue Folge, Band 4), Nr. 67; S.211ff.

(Danke, Rebekka, dass Du das Buch zurückgebracht hast!)

Eine Entwicklung der Fabel in sechs einzelne, voneinander getrennte Bilder sieht man auf einem Cartoon aus dem Jahre 1531 >>> hier

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Bibelillustrationen: Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies

Genesis 3, Vers 6 und 23/24 (hier in der Luther-Übersetzung 1545)

VND das Weib schawet an / das von dem Bawm gut zu essen were / vnd lieblich anzusehen / das ein lüstiger Bawm were / weil er klug mechte / Vnd nam von der Frucht / vnd ass / vnd gab jrem Man auch da von / Vnd er ass.

DA lies jn Gott der HERR aus dem garten Eden / das er das Feld bawet / da von er genomen ist / Vnd treib Adam aus / vnd lagert fur den garten Eden den Cherubim mit einem blossen hawenden Schwert / zu bewaren den weg zu dem Bawm des Lebens.

aus der Bibel Cöln: Heinrich Quentell oder Bartholomäus von Unkel, ca. 1478.

Die beiden Geschehen bildnerisch nicht so deutlich getrennt hier:

The Holkham Bible; British Library, Additional MS 47682 (ca. 1327–1335)
> https://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Add_MS_47682

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Bibelillustrationen: Kain und Abel

Genesis 4,1–24: (hinten links im Bild:) Der Ackerbauer Kain (angeschrieben mit CAIM) opfert Gott Früchte, sein Bruder Abel, der Hirt, opfert Schafe. Darauf (mitte-rechts im Bild) erschlägt Kain Abel. (Oben:) Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist Abel, dein Bruder? (Ganz rechts): Kain zieht fort.

Schönsperger-Bibel 1490
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00026206/image_27

Die drei Handlungen simultan noch im 17.Jahrhundert, so bei Conrad Meyer (1618–1689):

Geistliche Schöpffung Und Reise deß wahren Israels auß Egypten/ durch die Wüste in das gelobte Land/ Darinnen Viele bißanhero unter Mosis-Decke gelegene Wörter und Namen der heiligen Schrift erkläret/ […] . Franckfurt am Mäyn: Christoff le Blon, 1664. Cap.V; S.13
> http://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/epnresolver?id=1116078791

Im 18.Jh. stört die simultane Darstellung derselben Person; es werden nur noch die verlassenen Altäre im Hintergrund gezeigt – links der Altar Abels mit dem geopferten Schaf, wo der Rauch gen Himmel steigt; rechts der Altar Kains mit den Garben, was vom HErrn nicht akzeptiert wird. Gerard Hoet I (1648–1733) stellt das so dar:

Taferelen der voornaamste geschiedenissen van het Oude en Nieuwe Testament, En andere boeken, bij de heilige schrift gevoegt, door de vermaarde kunstenaars Hoet, Houbraken, en Picart getekent, en van de beste meesters in koper gesneden, en met beschrijvingen uitgebreid. ’s Graavenhaage: Pieter de Hondt 1728. (Ausschnitt)
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b55005983g

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Bibelillustrationen: Abraham und Isaak

Genesis 22 berichtet von der Erprobung Abrahams, der auf Geheiß Gottes seinen einzigen Sohn Isaak opfern soll.

(rechts zu Vers 6) Abraham nahm das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf.

(links) Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. … 11 Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: […] 12 Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide!

Aus der Schedelschen Weltchronik, Nürnberg 1493, Fol. XXII verso
> https://de.wikisource.org/wiki/Die_Schedelsche_Weltchronik_%28deutsch%29:023

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Bibelillustrationen: Jakobs Leiter und die Kulthandlung

Genesis 28,11: Jakob kam an einen bestimmten Ort und übernachtete dort, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. 12 Da hatte er einen Traum: Siehe, eine Treppe / Leiter stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. […] 18 Jakob stand früh am Morgen auf, nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, stellte ihn als Steinmal auf und goss Öl darauf. 19 Dann gab er dem Ort den Namen Bet-El - Haus Gottes

Virgil Solis (1514–1562) stellt die beiden Episoden simultan dar; rechts: der schlafende Jakob / links: Jakob gießt Öl auf den Stein:

Biblische Figuren des alten vnd Newen Testaments gantz künstlich gerissen durch den weitberühmten Vergilium Solis zu Nürnberg, Getruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Dauid Zephelium/ Johan Raschen/ vnd Sigmund Feyerabent 1560.
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00024572?page=1
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k1090369p

Holzschnitt von [Tobias Stimmer und ?] Christoph Murer (1558–1614)

D. Martinus Luther. Aus dem Exemplar / welches bey lebzeiten D. Luthers seligen/ zu Wittemberg / Anno etc. 45 außgangen / getrewlich nachgetruckt. Getruckt zu Tübingen / bey Georgen Gruppenbach / Anno 1591.
> http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz351584676

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Bibelillustrationen: Samson und Delila

Damit Samson/Simson seine Stärke behalten kann, soll nie ein Schermesser an sein Haar gelangen. So besiegt er die Unterderücker Israels, die Philister, mehrmals. — Er verliebt sich in Dalila. Die Philister bestechen sie, damit sie Samson das Geheimnis seiner Unbezwingbarkeit entlockt. Wie er das Geheimnis verrät schneidet Delila dem Schlafenden die Haare ab und ruft die Philister herbei, die ihn blenden. — Wieder zu Kräften gekommen, bringt er den Tempel der Philister zum Einsturz, indem er sich gegen die Säulen stemmt. Mit den vielen Philistern kommt er selbst ums Leben. (Buch der Richter 16)

Icones biblicæ præcipuas sacræ scripturæ historias eleganter & graphice repræsentantes. Biblische Figuren/ darinnen die Fürnembsten Historien/ in Heiliger und Göttlicher Schrifft begriffen/ Gründtlich und Geschichtsmessig entworffen/ […] / an Tag gegeben durch Matthaeum Merian von Basel [1625].

In der Lutherbibel 1545 in zwei Bildern.

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Bibelillustrationen: Isebel

Hier handelt es sich nicht nur um zwei narrativ aufeinander folgende Szenen, sondern sogar um zwei Geschichten in unterschiedlichen Quellen:

Isebel war die Ehefrau Ahabs, des Königs von Israel, eine Götzendienerin, die ihren Mann dazu aufstachelte, Böses gegen den Herrn zu tun. ... Als Ahab den Weinberg verlangte, den Nabot ihm zu verkaufen verweigerte, sorgte Isebel dafür, dass Nabot fälschlicherweise angeklagt und zu Tod gesteinigt wurde. Danach sagte sie ihrem Mann, er solle hingehen und sich den Weinberg aneignen. Der Prophet Elia sagt über Isebel voraus: ›Die Hunde sollen Isebel an der Vormauer von Jisreel fressen‹. (1. Kön 21,5–29).

Als Jehu in die Stadt Jisreel kam, schaute Isebel – mit geschminktem Gesicht und geschmücktem Kopf – aus einem Fenster und verhöhnte ihn. Auf Jehus Frage hin, wer zu ihm halte, schauten drei Hofbeamte heraus. Er befahl, sie herunterzuwerfen. [oben im Bild] Sie warfen sie herunter, und ihr Blut spritzte an die Wand, und die Pferde zertraten sie. Als Jehu ihnen befahl, sie zu begraben, fanden sie nur noch ihren Schädel, ihre Füße und Hände [unten im Bild samt den sie auffressenden Hunden – aus der andren Bibelstelle!]. (2. Kön 9,7–37).

Holzschnitt von Virgil Solis (1514–1562), Biblische Figuren deß Alten Testaments, Franckfurt am Mayn, 1562. (zu II. Reg. IX) hier aus der Luther-Bibel, Ulm: Balthasar Kühn 1659.

1562 > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00086375/image_78

1560 > https://digital.blb-karlsruhe.de/blbihd/Reformationsdrucke/content/pageview/3378745

1580 > https://www.dilibri.de/rlbdfg/content/pageview/622893

Aus : Icones biblicæ præcipuas sacræ scripturæ historias eleganter & graphice repræsentantes.

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Bibelillustrationen: Tobias

Im (apokryphen) Buch Tobit (Vg. Liber Tobiae) wird erzählt: Tobit ist vom Kot von Vögeln, der ihm in die Augen gefallen ist, erblindet. (Tob 2,10f.) – Sein Sohn Tobias wird auf einer Reise vom Engel Rafaël begleitet. Auf dem Weg fängt Tobias einen Fisch, den er auf Anraten des Engels ausnimmt (Szene rechts in der Landschaft). Tobias heilt zuhause dann mit der Fischgalle die Blindheit des Vaters (Szene rechts im Haus).

Neuwe biblische Figuren des Alten und Neuwen Testaments/ Geordnet und gestellt durch den fürtrefflichen vnd Kunstreichen Johann Bockspergern [† 1561] von Saltzburg/ den jüngern/ vnd nachgerissen mit sonderm fleiß durch den Kunstverstendigen vnd wolerfahrnen Joß Ammann [1539–1591] von Zürych. Allen Künstlern/ als Malern/ Goltschmiden/ Bildhauern/ Steinmetzen/ Schreinern/ &c. fast dienstlich vnd nützlich. – Getruckt zu Franvkfurt am Mayn durch Georg Raben/ Sigmund Feyerabend vnd Weygand Hanen Erben M.D.L.XV.
Digitalisat bei der BNF > https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b105511026.item

Hinweise zum Text:
https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/Tobitbuch
http://www.joerg-sieger.de/einleit/spez/06lehr/spez80.htm

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Bibelillustrationen: Jonas im großen Fisch

Jona(s) wird auf der Schiffsreise von den Seeleuten angeklagt, einen Sturm entfacht zu haben. Er schlägt vor, sich ins Meer werfen zu lassen. Das geschieht, und der Sturm hört auf. Jonas wird von einem großen Fisch verschlungen und nach drei Tagen ans Land ausgespien.

Hanns Weygel d.Ä. (ca. 1520 bis ca. 1570) zeigt mehrere Szenen der Geschichte von Jonas simultan: Er wird vom Schiff geworfen — er wird vom Großen Fisch ausgespien — er hadert mit Gott unter dem verdorrenden Kürbisbaum vor der Stadt Ninive...

Bild mit besserer Auflösung:

> http://www.zeno.org/nid/20004363345

> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1880-0710-872

So auch Matthäus Merian (1593–1650):

Icones biblicæ præcipuas sacræ scripturæ historias eleganter & graphice repræsentantes. Biblische Figuren/ darinnen die Fürnembsten Historien/ in Heiliger und Göttlicher Schrifft begriffen/ Gründtlich und Geschichtsmessig entworffen/ zu Nutz und Belustigung Gottsförchtiger und Kunstverständiger Personen artig vorgebilget [sic] / an Tag gegeben durch Matthaeum Merian von Basel — Band 3 : Franckfurt am Mayn/ bey Erasmo Kempffern MDCXXVII.

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Antike Mythen: Arion

Gesta Romanorum, Hundertundachtundvierzigstes Capitel:

Aulus Gellius erzählt vom Arion, daß dieser Mann, welcher sehr reich war und aus seinem Lande in ein anderes übersetzen wollte, ein Schiff mietete. Allein die Schiffer wollten ihn seines Geldes wegen umbringen , er erlangte jedoch von ihnen, daß er den Delphinen zu Ehren, welche sich am Gesange des Menschen ergötzen, ein Lied anstimmen durfte. Als man ihn aber nachher in's Meer warf, da fing ihn ein Delphin auf und trug ihn an's Land, und während ihn die Schiffer für todt hielten, verklagte er sie zu Lande bei ihrem Könige, worauf sie vor denselben gebracht, überführt und verurtheilt wurden.

Gesta Romanorum, übers. Johann Georg Theodor Gräße, Leipzig 1905.
> http://www.zeno.org/nid/2000780993X

Weitere, antike Stellen (ausführlicher) : Herodot, Historien I,23f. — Aulus Gellius, Noctes Atticae XVI,19. — Hygin, Fabulae 149.

• Beispiel einer Illustration mit beiden Szenen simultan:

Mikrokosmos = Parvus Mundus. Frankfurt a.M.: Lucas Jennis, 1618. Emblem Nr. 64
Vgl. die Ausgabe 1579 > https://www2.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/mikro/seite69.html

• Im Emblembuch von Alciato sind die Geizigen Thema; deshalb ist die Szene, wo Arion vom Schiff geworfen wird, im Vordergrund, während die Rettung durch den Delphin zurücktritt:

Clarissimi viri D. Andreae Alciati Emblematum libellus Parisiis: Wechel 1542. [mit der deutschen Übersetzung von Wolfgang Hunger]
> http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10206910-6

• Das Motiv ohne Doppelung der beiden Szenen in: Esopi appologi sive mythologi: cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant, Basel: Jacob <Wolff> von Pfortzheim, 1501.
> https://www2.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/esop/seite367.html

• Beim Petrarcameister hat Arion verschiedene Kopfbedeckungen und spielt auf verschiedenen Instrumenten: Von der Arzney bayder Glück, des guten und widerwertigen, Augsburg, 1532. 1.Buch, Kap.23 = Fol. XXVII verso
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00084729/image_84

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Metamorphosen-Illustrationen

Ovid beschreibt in den »Metamorphosen« I, Verse 438ff. dies:

Nach der großen Flut säen Deucalion und Pyrrha Steine, aus denen ein neues Menschengeschlecht wird. Aus Feuchte und Wärme der Erde entstehen unzählige Arten von Lebewesen, darunter auch die Schlange Python, die von Apollon getötet wird.

Wie Apollo den Cupido einen Bogen spannen sieht, prahlt er mit dieser Tat. Cupido wettet, dass sein Pfeil sogar den Apollo besiege. Er erörtert die Wirkung der beiden Pfeile mit der goldenen (die Liebe entzündenden) und der bleiernen (die Liebe verscheuchenden) Spitze und verschießt sie auf Apollo und Daphne.

Apollo sieht Daphne und ist sofort von der Liebe zu ihr ergriffen.

Daphne enteilt, in der Flucht erscheint sie noch anmutiger, Apoll wird dadurch noch mehr angetrieben, sie zu verfolgen. Die Nymphe bittet ihren Vater, den Flussgott Penëus, sie zu verwandeln. Sofort findet die Metamorphose zum Lorbeerbaum statt. Apoll umschmiegt den Baum und gelobt, dass er ihm geweiht sein soll als Ehrenzeichen der Helden und Dichter.

P. Ouidij Nasonis deß aller sinnreichsten Poeten Metamorphosis/ Das ist von der wunderbarlichen Verenderung der Gestalten der Menschen/ Thier vnd anderer Creaturen [Übersetzung von JörgWickram] Meintz: Ivo Schöffer 1545 [EA 1541]
> http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10139926-7

Unten der erlegte Drache Python — in der Mitte Apoll, der ihn erlegt hat — links außen der die Wette vorschlagende Cupido — oben am Himmel Cupido, der den goldenen Pfeil auf Apoll schießt — rechts die sich in den Lorbeerbaum verwandelnde Nymphe Daphne, nach der/dem Apoll greift.

Ovid lässt in den »Metamorphosen« IV, 769–804 Perseus erzählen, wie er Medusa ihr schlangenumwundenes Haupt abgeschlagen hat: Ihr Blicke versteinerte alles was ihr begegnete; doch Perseus betrachtete sie in einem spiegelnden Schild, der ihre Blicke unschädlich machte, und konnte sie so töten. Aus dem Blut der Medusa entsprang das geflügelte Pferd Pegasus. (links im Bild)

Met. IV, 663–764 erzählt Ovid, wie Perseus die an einen Felsen gekettete und einem Ungeheuer (Vers 715: draco) zum Fraß hingegebene Andromeda im Sturzflug tötet. (rechts im Bild)

(Der geflügelte Helm im Bild wird erwähnt von Apollodor, Bibliotheca 2,39: er macht den Träger unsichtbar. Über die von Mercur zur Verfügung gestellte Ausstattung weiß mehr auch Hygin, Astronomica 2,12. Solche Stellen erwähnen die Kommentatoren, und daher hat es der Illustrator. – Ovid sagt Vers 699f., dass Perseus mit geschwungenen Flügeln die Lüfte durcheilte.)

Holzschnitt aus: Metamorphoseon libri XV. Raphaelis Regii Volaterrani luculentissima explanatio, cum nouis Iacobi Micylli ... additionibus. Venedig: J.Gryphius 1565; pag. 94.

Ovid, Geschichte von Philemon und Baucis, »Metamorphosen« VIII, Verse 618 – 725.

Jupiter und Hermes besuchen eine Stadt; niemand gewährt ihnen Obdach. Einzig ein altes Ehepaar – Philemon (›der Liebende‹) und Baucis (›die Zärtliche‹) – bewirtet die Wanderer freundlich in ihrer ärmlichen Hütte. Die beiden erahnen am sich stets neu füllenden Weinkrug, dass ihre Gäste Götter sind und wollen ihnen ein Opfer darbringen; ihre einzige Gans. Das wehren die Götter aber ab.

Die Götter wollen die üblen Nachbarn strafen und das gastfreundliche Paar belohnen. Sie begleiten die beiden auf eine Anhöhe zu einem Tempel, während die ganze sonstige Gegend im Sumpf versinkt.

Philemon und Baucis wünschen sich, dort Priester zu werden. Die Götter verwandeln sie am Ende des Lebens in Bäume.

Ovidius Naso, Publius: Metamorphoses D'Ovide : Traduites en Prose Françoise, et de nouueau soigneusement reueuës, corrigees en infinis endroits, et enrichies de figures à chacune fable. … Paris: Langelier Veuve 1619.
> http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=drucke/lh-2f-16-1&distype=start&pvID=start

Metamorphoseon Ovidianarum typi aliquot artificiosissimè delineati, ac... editi per Crispianum Passaeum, [o. O.] 1602
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k15218623/f171.item

Mit abgeschnittenem Text wieder abgedruckt in: Les Metamorphoses d’Ovide. De nouueau traduites en françois, Et enrichies de figures chacune seolon son subiect. Avec XV. Discours, Conenans l’Explication morale des fables. A Paris Chez la veufe M. Guillemot... 1622.

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St. Gallus in der Legende

Walahfrid Strabo († 849) schreibt in der Vita des heiligen Gallus (Kap. 11): Gallus und ein Gefährte [Hiltibold] kamen zur Steinach, einem kleinen Fluss, wo Gallus sich niederlassen will. Sie fangen dort Fische, braten sie am Feuer und essen sie. Nachts – Gallus betet, während Hiltibold schläft – kommt ein Bär vom Berg herab und frisst die Essensreste auf. Gallus sagt zu dem wilden Tier: »Bestie, ich befehle dir im Namen des Herrn: Hole ein Stück Holz und lege es ins Feuer.« Der Bär gehorcht. Gallus gibt ihm daraufhin aus seiner Tasche einen Laib Brot und heisst ihn, das Tal zu verlassen und auf den umliegenden Hügeln zu leben, ohne Vieh und Menschen zu schaden.

Elfenbeintafel des Tuotilo; Rückendeckel des Codex Sangallensis 53 (um 895).
> http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/0053/bindingC

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Novelle

Boccaccio (1313–1375) erzählt in »De claris mulieribus« (1361/1362) im 72. Kapitel: Nach dem Sieg des römischen Heers über die Gallograeci wurde auch die Gattin des Königs Drigiagon gefangengenommen. Als aber der gefangenen haubtmann die schöne vnd plüende jugent der Künigin vermerckt/ ward er in vnordenlich liebe entzündet, so dass er sie notzüchtigt. Die Frau sinnt auf Rache, und wie der Freikauf der Gefangenen geschieht, ordnet sie an, dass der Täter geköpft werden soll. Das geschieht, und wie sie ihrem Mann wieder begegnet, erzählt sie von ihrer Schmach und wirft ihm das abgeschlagene Haupt vor die Füße.

De mulieribus claris, Ulm: Zainer 1473.
Das kolorierte Bild auf > www.kultur-pool.at
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ib00716000

Ein Schöne Cronica oder Hystori bůch / von den fürnämlichsten Weybern so von Adams Zeyten an geweszt […] Erstlich Durch Joannem Boccatium in Latein beschriben / Nachmaln durch Doctorem Henricum Steinhöwel in das Teütsch gebracht […] Mit schönen Figuren durch auß geziert / Gantz nutzlich / lustig vnd kurtweilig zů lesen. Gedruckt zu Augspurg / durch Hainrich Stayner / anno M.D.XXXXIII; Fol. LXI verso; im Gegensatz zum Zainer-Druck von rechts nach links zu lesen.

Literaturhinweise:

Kristina Domanski, Lesarten des Ruhms. Johann Zainers Holzschnittillustrationen zu Giovanni Boccaccios "De mulieribus claris", Köln/Weimar: Böhlau 2007 (ATLAS. Bonner Beiträge Zur Kunstgeschichte, Bd. 2).

Irena Dubois-Reymond / Wolfgang Augustyn, "Frauen, berühmte (Giovanni Boccaccio"), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. X (2010), Sp. 641–656; > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=81621

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Geschichtsschreibung: Kandaules und Gyges

Kandaules, König von Lydien, ließ seinen Leibwächter Gyges die Reize seiner Gemahlin im Schlafgemach bewundern. Erzürnt über solche Schmach, ließ die Frau Gyges zu sich kommen und stellte ihm die Wahl, entweder den König zu morden, oder augenblicklich erdrosselt zu werden. Gyges tötete darauf den Kandaules.

Antike Quellen: Herodot, Historien I, 8–13 — Justinus, Epitoma Historiarum Philippicarum, I, vii. (nudam sodali suo Gygi ostendit) > http://la.wikisource.org/wiki/Historiarum_Philippicarum_libri_XLIV

Matthäus Merian (1593–1650) zeigt im Vordergund die Voyeur-Szene; der Bildausschnitt im Hintergrund zeigt die Folgen der kompromittierenden Aktion: die Tötung des Kandaules. Bei der Voyeur-Szene wird die Gattin von einer Kerze beschienen – bei der Tötung hält sie eine Kerze!

Johann Ludwig Gottfried, Historische Chronica oder Beschreibung der führnembsten Geschichten so sich von Anfang der Welt biß auff unsere zeitten zugetragen, Franckfurt: Merian 1630; Band I, S. 108.
> https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN779454251

Mehr Bilder dazu hier

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Geschichtsschreibung: Romulus und Remus

Livius berichtet in seiner Chronik »Ab urbe condita« von den Zwillingen Romulus und Remus, dass sie eine Stadt gründeten und erbauten. Weil Remus seinen Bruder wegen eines Befestigungsgrabens, den er überspringen kann, verspottete, wurde er vom erzürnten Romulus erschlagen.

Der Verleger der deutschen Livius-Ausgabe 1557 stellt verschiedene Holzschnitte zu einem zusammen: oben einen zum Thema Städtebau; unten rechts die Szene eines Totschlags.

Unten links: Im lat. Text sagt Romulus nach dem Totschlag: So geschehe es in Zukunft jedem, der meine Mauern überspringt! (ab urbe condita I, vii, 2: Sic deinde, quicumque alius transiliet moenia mea.) — In der deutschen Bearbeitung wird daraus ein Weiser, der eine andere Moral von der Geschicht verkündigt: Dabey uns am ersten zuverstehen geben würt/ das ein yegklich Reich nit wol ein ebengenossen erleiden mag.

Titi Liuij deß aller Redsprechsten vnd Hochberhümptesten Geschichtschreibers/ Rhömische Historien/ jetzund mit gantzem fleiß besichtigt/ gebessert vnd gemehret […]. Getruckt in der Churfürstlichen Statt Meyntz/ druch Junis Schöffers seligen Ereben im Jare M.D.L.VII.

Mehr zu den deutschen Livius-Ausgaben hier

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Geschichtsschreibung: Wilhelm Tell und Gessler

Im Vordergrund ist die Szene mit dem Apfelschuss dargestellt; im Hintergrund: Tell schießt auf den Landvogt Gessler.

Sebastian Münster, Cosmographey Oder beschreibung Aller Länder herrschafftenn vnd fürnemesten Stetten des gantzen Erdbodens sampt jhren Gelegenheiten, Eygenschafften, Religion, Gebreuchen, Geschichten vnnd Handthierungen, etc., Basel: Sebastian Henric Petri 1588, Seite dxxiiij.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00074488/image_1

Mehr zum Thema > http://www.enzyklopaedie.ch/dokumente/Persistenz.html#Tell

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Geschichtsschreibung: Henry VIII.

Eine üble Illustration enthält das Geschichtswerk von Johann Ludwig Gottfried (1584–1633). Im Vordergrund wird am 19. Mai 1536 Anne Boleyn enthauptet; im Hintergrund heiratet König Heinrich VIII. einen Tag später Jane Seymour.

Johann Ludwig Gottfried, Historische Chronica oder Beschreibung der führnembsten Geschichten […], Franckfurt: Merian 1657, S. 759.

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Dante zu Beginn des Weges

Dante (angeschrieben mit Banderolen, Tituli) erscheint drei Mal im selben Bild. Die Szenen beziehen sich auf Textteile des Canto primo des Inferno.

  • Hinten links befindet sich Dante im dunklen Wald (mi ritrovai per una selva oscura);
  • vorne links sitzt er hoffnungslos (io perdei la speranza) in der Haltung des Melancholikers auf einen Stein gelehnt;
  • rechts wird er von drei Tieren (una lonza, un leone, una lupa) angegriffen und begegnet Vergil (Virgilio), der ihn dann emporführen wird.

Opere del divino poeta Danthe, con suoi comento recorrecti et con ogne diligentia novamente in littera cursiva impressa [Kommentator Christophorus Landinus], Venetia: Bernardino Stagnino 1512.
> http://www.ub.uni-koeln.de/cdm/ref/collection/dante/id/273536

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Spezialfall: Phasen mit Bewertungen

Die Lebensphasen von Napoleon sind in prägnanten Phasen gezeichnet: Corsischer Knabe – Militair Schüler – Lieutenant – General – Consul – Kaiser – Abschied aus Spanien – Schlittenfahrt aus Moskau – Lebewohl aus Deutschland – Ende. Das jeweilige "soziale Kapital" ist für jede Phase durch die Höhe der Treppe visualisiert.

Napoleons Stuffenjahre. Anonyme, handkolorierte Radierung (Privatbesitz); insofern Napoelon unten in Elba melancholisch gezeigt wird, lässt sich das Bild datieren: dort weilte er vom April 1814 bis 1. März 1815. — Es gibt viele solche Darstellungen.

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Eine Erzählung und die darin handelnde Person prominent in ein einziges Bild gebracht

Das Beispiel: Der Israelit Josua, der die Stadt Jericho in Palästina erobern soll, schickt zwei Kundschafter (Spione) in die Stadt, die im Haus der Dirne Rahab unterkommen. Das bleibt nicht geheim, und der König von Jericho verlangt von Rahab die Herausgabe der Männer. Sie versteckt diese aber und lässt sie dann mit Hilfe eines Seils über die Stadtmauer entkommen (Buch Josua, Kapitel 2)

Hier zunächst eine einfache Illustration zu Josua 2,15:

Biblia ectypa. Bildnußen auß Heiliger Schrifft deß Alten Testaments, Erster Theil. in welchen Alle Geschichten u: Erscheinungen deutlich und schriftmäßig zu Gottes Ehre und Andächtiger Seelen erbaulicher beschauung vorgestellet worden. ... hervorgebracht von Christoph Weigel in Regensburg. Anno M.D.C.XCVII.

Hier die Kombination: Handlung im Hintergrund / Protagonistin (mit dem sie charakterisierenden Attribut) im Vordergrund:

Icones Illustrium Feminarum Veteris Testamenti. A Philippo Gallæo [1537–1612] collectae et espressæ; [zwischen 1585 und 1612] — M[arten] de Vos inuent. / Ioan. Collaert sculps. / Phils. Galle excud.
> http://bdh-rd.bne.es/viewer.vm?id=0000045892

Zweites Beispiel:

Rebekka tränkt hilfsbereit Abrahams Knecht und Kamele (Genesis 24,17–20); diese Szene im Hintergrund der Radierung von Conrad Meyer (1618 – 1689):

Hieronymi Orteln Geistlicher Frauen-Zimmer-Spiegel Alten und Neuwen Testaments; an denen erleuchteten Weibs-Bilderen in schönen Historien, Erinnerungen und Gebättern weiblichem Geschlechte zum Schatz der Gottseligkeit vorgestellet, Zürich: bey Michael Schaufelbergers s. E. u. Christoffel Hardmeyer 1700.
> https://doi.org/10.3931/e-rara-89849

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Eine Szene enthält versteckt bildnerische Elemente, die in der späteren Geschichte dann von Bedeutung sind

Erstes Beispiel:

Veit Stoß (um 1477 bis 1533) zeigt in diesem Kupferstich Maria, die am Hemdchen des Jesuskindleins wirkt, und den Putativvater Joseph, der (aufgrund eines Hinweises in der Bibel: Matthäus 13,55; Markus 6,3) von Beruf Zimmermann gewesen sein soll:

Die strickende Maria auch auf dem Buxtehuder Altar
> https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AKnittingMadonna.jpg

• Das Hemd des Kinds ist an einem Gestell aufgehängt und hat so eine eigentümliche Kreuzform. Es ähnelt frappant dem Heiligen Rock in der Kathedrale von Trier, der als Reliquie des Kleids von Jesus galt. Hier eine frühe Darstellung:

Johann Enen, Medulla gestorum Trevirens, Trier 1514.
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00004181?page=5

Man beachte das Messer und den Würfel! Das bezieht sich auf Johannes 19,24, wo berichtet wird, dass die Soldaten um den Leibrock (tunica) des toten Jesus würfeln, weil sie ihn nicht zerschneiden können, da er eben gewirkt, und nicht gewoben ist.

• Der ein Loch in ein Holzbalken bohrende Joseph gleicht frappant den Henkershelfern, die bei der Kreuzigung Jesu Löcher in das Kreuz bohren; vgl.:

   

links: Ausschnitt aus: [Johannes Geiler von Kaysersberg] Das ist der Passion In form eins gerichtshandels darin Missiuen Kauffbrieff Urtelbrieff vnd anderes gestelt sein, kürtzweillig und nütz zů lesen, Straßburg: Grüninger 1514.
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00017398?page=40

rechts Ausschnitt aus: Albrecht Dürers ›Kleiner Passion‹ (um 1509)

Zweites Beispiel:

Das Andachtsbild (23 x 30 cm) zeigt das Jesuskind auf dem Kreuz liegend, zum Text:

Ich liege und schlaffe wie ein Kind
biss das ich auf steh und straff
[hier: wegnehmen, heilen; nämlich bei der Kreuzigung] die sünd.

Vgl. dazu: Adolf Spamer, Das kleine Andachtsbild vom XIV. bis zum XX. Jahrhundert, München: Bruckmann, 1930. Tafel CXXVI

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›Wimmelbilder‹

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Sammeldarstellungen zu antiken Texten

Boethius († 524) erwähnt in der »Consolatio Philosophiae« (Lib. IV, metr. 7) die Arbeiten des Hercules in folgendem Zusammenhang: Die personifizierte Philosophie erklärt dem im Gefängnis seine Hinrichtung erwartenden Boethius, dass das Wort Tugend (virtus) von Kraft (vires) herkomme, weil sie von Widerwärtigem nicht besiegt werden könne. Sowohl für den Weisen wie für den Helden bedeuten Schwierigkeiten Anregungen.

Boetius de Philosophico consolatu siue de consolatione philosophiae: cum figuris ornatissimis nouiter expolitus, Argentinae: Grüninger 1501.

Die Stelle im Gedicht beginnt mit Herculem duri celebrant labores (Lat. Text hier; deutsche Übersetzung hier bei Wer nicht kennt des Herkules Heldenthaten?)

Welche der 12 Arbeiten illustriert der Holzschneider? 1. Das Fell des nemeischen Löwen herbeischaffen — 2. Die Lernaische Hydra töten — 3. Die Krynitische Hirschkuh nach Mykene bringen— 4. Den Erymanthischen Eber herbei holen. Kentaurenkampf. — 5. Augeias-Stall aufräumen— 6. Stymphalische Vögel vertreiben — 7. Die Einfangung des kretischen Stieres — 8. Die Stuten des Diomedes bringen — 9. Den Gürtel der Amazonenkönigin bringen — 10. Die Rinder des Geryones bringen ÷ 11. Die Gewinnung der Goldenen Äpfel von den Hesperiden — 12. Kerberos aus dem Hades holen. (nach Apollodor, »Bibliotheca« II, 74–126; dt. Übersetzung von Kai Brodersen, wbg 2012)

In vielen illustrierten Ausgaben von Ovids »Metamorphosen« ist jedem ›Buch‹ ein einziges ›Wimmelbild‹ beigegeben, hier als Beispiel nochmals die Taten des Hercules, die Ovid im 9.Buch, Verse 182ff. einstreut:

Ovid's Metamorphosis, Englished, Mythologiz'd, And Represented in Figures. Imprinted at Oxford By Iohn Lichfield., An Dom. 1632.
Francis Cleyn (ca. 1582 – 1658, Zeichnungen); Salomon Savery (1594–1683, Kupfer)
> https://archive.org/details/ovidsmetamorphos00ovid_0/page/n17

Auswahl von Szenen:
rot: H. fängt den kretischen Stier für Eurystheus
grün: H. im Kampf mit Achelous
blau: H. hebt den Riesen Antaeus in die Höhe, so dass dieser keine Kraft mehr von seiner Mutter Gaia (Erde) bekommt
gelb: der Kentaur Nessus versucht, Deïaneira zu entführen, wird aber von H. mit einem Pfeil getroffen*
orange: H. wirft Lichas, den Überbringer des tödlichen Nessus-Hemds, von einem Felsen*
hellblau: H. fährt auf einer Quadriga zum Himmel auf*

*) Diese Szenen hat Ovid zu den "12 Taten des Hercules" (im engeren Sinne) hinzugefügt.

Ausführliche Bildbeschreibung bei: Gerlinde Huber-Rebenich / Sabine Lütkemeyer/ Hermann Walter, Ikonographisches Repertorium zu den Metamorphosen des Ovid, Berlin: Mann; Band 2: Sammeldarstellungen 2004; S. 122.

Auch die Gesänge von Vergils »Aeneis« werden mit solchen Bildern eingeleitet. Hier dasjenige zum 6. Buch (Unterweltsfahrt des Aeneas):

Virgilii Maronis zwölff Bücher. item das Buch Maphei, von dem Thewren Helden Aenea, ... ; mit Fleis corrigiret und schönen Figuren gezieret. Jetzund von neuem widerumb ubersehen. Leipzig / Jena 1606.

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Sammeldarstellungen in Bibeln

••• Hier ein Sammelbild zur Genesis – Die Vielfalt der eben erschaffenen Tiere versteht sich; zudem erscheint der HERR drei Mal:

als Schöpfer (in Wolken);
als der Eva aus der Rippe Adams Bildende;
als der, der das Essen vom Baum der Erkenntnis verbietet.

Holzschnitt von Jost Amman (1539–1591) in: Neuwe Biblische Figuren/ deß Alten vnd Neuwen Testaments/ geordnet vnd gestellt durch den fürtrefflichen vnd Kunstreichen Johan Bockspergern von Saltzburg/ den jüngern/ vnd nachgerissen mit sonderm fleiß durch den Kunstverstendigen vnd wolerfahrenen Joß Amman von Zürych. […] Getruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Georg Raben/ Sigmund Feyerabend/ vnd Weygand Hanen Erben M.D.LXIIII.

••• Hier ein ›Sammelbild‹ zum 2. Buch Moses aus einer Bibel, Frankfurt: Balthasar Weydt 1702.

Die Szenen sind geschickt in die Landschaft komponiert, beispielsweise:

vorne links: die Auffindung des Moses am Ufer des Nils (Kap. 2)
vorne rechts: Moses vor dem brennenden Dornbusch (Kap. 3)
links, oberes Drittel: Moses streckt die Arme auf dem Hügel aus (Kap. 17)
rechts, oberes Viertel: Tanz um das goldene Kalb (Kap. 32)
zuoberst: Durchzug durchs Rote Meer (Kap. 14)

aus: Philipp Schmidt, Die Illustration der Lutherbibel, 1522–1700, ein Stück abendländische Kultur- und Kirchengeschichte. Mit Verzeichnissen der Bibeln, Bilder und Künstler, Basel: Reinhardt 1962. (2023 noch kein Original oder Digitalisat gefunden)

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Exempla in Menge

Laurentius von Schnüffis (1633–1702) reiht hier mehrer Fälle Von Torheit deren Männern/ die der Wollust abwarten [einer Sache nachgehen] auf. Der Illustrator zeigt zwei dafür typische Szenen. Vorn: Samson, der sich von Delila die Haare abschneiden lässt, die seine Stärke ausmachen.* — hinten Herkules, der auf Anweisung von Omphale am Spinnrocken arbeitet und sich so verweichlicht.** Der Text bringt weitere Exmpla von ›Minnetoren‹.

Futer über die Mirantische Maul-Trummel/ Oder Begriff/ In welchem der jetzigen Welt thorechtes/ von ihr aber gar schön vermeintes Beginnen in Lateinisch- und Teutschen Elegien/ samt schönen Sinnbildern/ und neuen Melodeyen mit sonderbarem deß Lesers Lust/ und Vergnügung an den Tag gegeben wird/ durch P.F. Laurentium von Schnüffis/ Vorder-Oesterreichischen Provintz Capucinern/ und Predigern […]. Costantz: Leonhard Parcus 1699.
> https://archive.org/details/futerberdiemir00laur/page/n197/mode/2up

*) Buch der Richter 16

**) Das Motiv war sehr beliebt und wurde häufig gezeichnet, gemalt, gestochen. Quellen: APOLLODOR Bibliothek ¶ 131; DIODOR 4,31; OVID, Heroides IX 53ff.

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Romeyn de Hooghe

»Hieroglyphica of Merkbeelden der oude volkeren« von Romeyn de Hooghe (1645–1708) erschien zuerst 1735. Hier das Kaptiel XXIX: Von den bösen Göttern. — Wer kann alle von A bis S zuweisen? (vgl. den Text S. 219-224)

A. Aspis — B. Orau — L. Furina — D. Typho — S. Jutrebok

Hieroglyphica, oder Denkbilder der alten Völker, namentlich der Aegyptier, Chaldäer, Phönizier, Jüden, Griechen, Römer, u.s.w. Nebst einem umständlichen Berichte von dem Verfalle und der eingeschlichenen Verderbniß in den Gottesdiensten, durch verschiedene Jahrhunderte, und endlich die Glaubensverbesserung, bis auf diese Zeit fortgesetzt, in LXIII Capiteln, und so viel Kupfertafeln beschrieben und vorgestellet durch Romeyn de Hooghe, Rechtsgelehrten. Uebersehen und besorgt von Arnold Heinrich Westerhovius, V. D. M. Gymnas. Goud. Rector. Ihrer Schönheit wegen ins Hochdeutsche übersetzt, und mit einer Vorrede des Herrn D. Siegmund Jacob Baumgartens, Professors der Gottesgelahrheit zu Halle, begleitet. Amsterdam, Arkstee und Merkus 1744.
> http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN497825848

Die Anregung dürfte von Pieter Bruegel (z.B. Kinderspiele) stammen.

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Zwei Geschehenszusammenhänge im Kontrast

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Der gepflegte Fiebrige — der Gesunde

Der Reiche liegt wohlbehütet im Bett unter einer Pelzdecke; das Fenster sorgfältig verschlossen. Der Arzt besieht dem Fieberkranken den Urin im Glas (Harnschau).

Der Bauer draussen im Freien trinkt Wasser aus der Quelle.

Von der Arzney bayder Glück, des guten und widerwertigen, Augsburg, 1532; II, Kapitel 112.

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Zweierlei Diebe

Die beiden verschiedenen Typen sind im Vordergrund (der große Dieb) und im Hintergrund (der kleine Dieb am Galgen) dargestellt:

Mein handwerck ist verdächtig zwar:
Doch das es Niemand werd gewahr,
Stehl ich nicht wenig sondern viel.
Dem grösten doch das Glück wol will:
Dann kleine diebe hängt man auf.
Den Grossen läst man ihren lauff.

Links der Zeuge, der "durch die Finger schaut".

[Abraham a Santa Clara fälschlich zugeschreiben:] Centi-Folium stultorum in Quarto. Oder Hundert Ausbündige Narren in Folio. Neu aufgewärmet und in einer Alapatrit-Pasteten zum Schau-Essen, mit hundert schönen Kupffer-Stichen, zur ehrlichen Ergötzung, und nutzlichen Zeit-Vertreibung, sowohl frölich- als melancholischen Gemüthern aufgesetzt; Auch mit einer delicaten Brühe vieler artigen Historien, lustiger Fablen, kurtzweiliger Discursen, und erbaulicher Sitten-Lehren angerichtet, Nürnberg: Weigel / Wienn: Megerle 1709.

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Lüsternheit vs. Elend

Der Voyeur begafft die planschenden Nackedeis – während der heilige Stephanus gesteinigt wird (Apostelgeschichte 7,54–60):

Jean Puget de La Serre (1594–1665), Le Tombeau des délices du monde, F. Vivien (Bruxelles), 1630.
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k1512176r

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Ein Exempel und das metaphorisch/symbolisch/allegorisch dafür Stehende

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Erstes Beispiel: Das Eichhörnchen im Käfig und der Liebende

Im Emblembuch von Pieter C. Hooft (1581–1647) werden die allegorisch zu verstehenden Dinge / Handlungen meist simultan mit Szenen im Hintergrund, worauf sich die Deutung beziehen soll, dargestellt.

Das (vom Amor-Putto geplagte) Eichhörnchen im Laufrad sagt ebenso wie der Hintergrund gezeigte abgewiesene Liebhaber »Mon mal est sans fin.«

Emblemata Amatoria – Afbeeldingen van Minne – Emblemes d’amour, Amsterdam: Ianszoon 1611, Nummer XXI = S. 52/53.
> http://diglib.hab.de/drucke/31-geom-3s/start.htm
> https://emblems.hum.uu.nl/h161121.html

Zweites Beispiel

Gabriel Rollenhagen (1583–1619?) kombiniert in seinem Emblembuch öfters das symbolisch gemeinte Ding im Vordergrund mit einem Exemplum im Hintergrund. — Vgl. dazu: Dietmar Peil, Emblemtypen in Gabriel Rollenhagens ›Nucleus emblematum‹, in: ders., Ausgewählte Beiträge zur Emblematik, Hamburg: Kovač 2014 (Schriften zur Kunstgeschichte 45), S. 1–23.

Hier (II,31) ist das Symbol eine brennende Kerze, Sinnbild der Selbstaufopferung, mit dem Motto ALIIS INSERVIENDO CONSUMOR (Im Dienst an anderen verzehre ich mich). Das Epigramm dazu sagt: So opfert sich der Fürst, während/indem er die Untertanen am Leben erhält.

Im Hintergrund vor der Vedute Roms Marcus Curtius, der auf dem Pferd in eine Kluft auf dem Forum reitet, von der das Orakel geweissagt hatte, sie schließe sich erst nach dem Opfer der ›größten Macht‹ Roms, und der sich so für das römische Volk opfert.

Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe, Nucleus Emblematum, Arnheim/Utrecht 1611/1613; unter dem Titel: Sinn-Bilder, hg. Carsten-Peter Warncke (Bibliophile Taschenbücher 378), Dortmund 1983.
> https://archive.org/stream/gabrielisrollenh00roll#page/n87/mode/2up

Die Texte zu Marcus Curtius:
• Livius, Ab urbe condita, VII,vi, 1–6
• Valerius Maximus, Dicta et facta memorabilia V, vi, 2
• Peter Lauremberg, Acerra philologica (1717) > http://www.zeno.org/nid/20005233976

Drittes Beispeie: Schaut hin, so sollt ihr auch handeln!

Der Storch trägt aus Dankbarkeit seine Eltern auf dem Rücken, die ihn in seiner Jugend gepflegt haben. Das Emblem findet sich in den Ausgaben von Alciato seit 1531 (zur Tradition vgl. Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 827f.)

Auch in diesem Emblem sind die zum Handeln Aufgeforderten und das die Handlung insinuierende Sybol simultan dargestellt:

Das Gute Jahr Für alle Christen in gemein; Wie auch insonderheit Für alle Stände/ Geistliche und Weltliche/ Hoche und Nidrige. Auß der Arche Noe genommen / Beschrieben Durch weyland H. Josua Maler/ jetzt aber durch Göttharten Ringli an tag geben/ und mit Kupfferstücken gezieret Zürich: Joh. Rud. Wolff 1616.
> http://diglib.hab.de/drucke/57-poet-22s/start.htm

Viertes Beispiel: Personifikation der Keuschheit und ein Beispiel dafür

In einer späten Überarbeitung der »Iconologia« von Cesare Ripa (1603) werden die Attribute der Personifikationen im Gegensatz zu Ripa nicht erklärt, sondern es wird … jedesmahlen eine hierzu taugliche Historia oder Gleichnis beÿgefüget. Den Personifikationen sind biblische und heidnische Szenen beigegeben, die denselben Begriff als Exemplum wiedergeben.

Hier das Beispiel der CASITAS

Vorne die Personifikation der Keuschheit — Im Hintergrund wird die Szene gezeigt, wo die beiden alten Lüstlinge Susanna bedrängen: … und wollten sie zwingen, mit ihnen zu schlafen. Sie drohten, sie ansonsten zu beschuldigen, Ehebruch mit einem jungen Mann begangen zu haben. Doch Susanna blieb standhaft, weigerte sich und schrie. (Daniel 13,1–64):

Des berühmten Italiänischen Ritters, Cæsaris Ripæ, allerleÿ Künsten, und Wissenschafften, dienlicher Sinnbildern, und Gedancken, Welchen jedesmahlen eine hierzu taugliche Historia oder Gleichnis beÿgefüget. dermahlige Autor, und Verleger, Joh. Georg Hertel, in Augspurg [vor 1761].
> http://diglib.hab.de/drucke/uk-51/start.htm
> http://archive.org/details/parsidesberuhmte00ripa

Die #Szene wird ja häufig dargestellt; hier der Holzschnitt von Tobias Stimmer aus: Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien / grüntlich von Tobia Stimmer gerissen: Und zu Gotsförchtiger ergetzung andachtiger Hertzen mit artigen Reimen begriffen durch J. F. G. M / grüntlich von Tobia Stimmer gerissen, Zu Basel bei Thoma Gwarin, Anno 1576

Eine andere Deutung der Szene hier

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Vergegenwärtigung einer (biblischen) Geschichte

Aus dem Buch des Fisch gerettet, erfüllt Jonas des Herrn Gebot und predigt den Bewohnern Ninives den Zorn Gottes und dass er sie binnen vierzig Tagen vertilgen werde. Da tun sie Buße, und der Herr erbarmt sich ihrer und vertilgt sie nicht. Jonas aber wird nun zornig, weil nicht geschah, was er doch prophezeiht hatte. Er setzt auf einen Berg gegenüber Ninive und wartet, ob die Stadt nicht endlich untergehen werde, wie der Herr verheißen hatte. Ein Kürbis*, der über seinem Haupte rankt, gibt ihm dabei Schatten. Aber der Herr lässt den Kürbis verdorren, und Ninive geht immer noch nicht unter. Da ergrimmt Jonas, der Herr aber spricht zu ihm: »Dich jammert der Kürbis und mich sollte nicht jammern der hunderttausend Menschen, die in Ninive wohnen?« (Jona 4,1–11)

*) hebr.: qiqaion (nur in Jonas 4 bezeugt) — Vulgata: hedera — Zürcher Bibel 1531: Kikaion — Luther 1545: Kürbis — Zürcher Bibel 1931, 2007: Rizinus

Holzschnitt aus der Zürcher Bibel 1531:

Hier das Kupfer von Maarten van Heemskerk (1498–1574) und Philips Galle (1537–1612):

Hier das Kupfer von Matthäus Merian (1593–1650):

Icones biblicæ præcipuas sacræ scripturæ historias eleganter & graphice repræsentantes. Biblische Figuren/ darinnen die Fürnembsten Historien/ in Heiliger und Göttlicher Schrifft begriffen/ Gründtlich und Geschichtsmessig entworffen […] Straßburg/ In verlegung Lazari Zetzners Seligen Erben 1625ff.

Der unbekannte Zeichner dieses Blatts — es handelt sich wahrscheinlich um die Kopie eines Bilds von Christoph Murer durch Lorenz Lingg (1582–1639) — lässt den Propheten Jonas unter dem Kürbisbaum auf die Stadt Zürich schauen. Ist Zürich das neue Ninive – dessen sich der Herr ebenfalls erbarmen möge?

Die Stadt ist exakt in Kavaliersperspektive von Süd-Osten her wiedergegeben; anders als die Holzschnitte in der Stumpf-Chronik, von Jos Murer oder bei Sebastian Münster. Der Standpunkt liegt etwa auf der heutigen "Hohen Promenade". Deutlich erkennbar der Turm des St.Peter zwischen den Türmen des Großmünsters; beim Ausfluss des Sees in die Limmat der Grendel mit dem Wellenberg-Turm; rechts dahinter das Fraumünster.

> https://slsp-uzb.alma.exlibrisgroup.com/view/delivery/41SLSP_UZB/12463433190005508

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Eine Handlung und die daraus entstehenden Folgen

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Tun-Ergehn-Zusammenhang

Der Begriff stammt aus der Bibelwissenschaft, vgl. den Artikel hier.

Erstes Beispiel

Die Bestrafungs- bzw. Hinrichtungsinstrumente, die den Übeltätern bevorstehen, sind über ihren Häuptern gezeichnet, ähnlich wie die Helmzimier bei turnierenden Rittern. Die eine Sphäre: in der Gegenwart, wüstes Tun an der Tafel – die andere Sphäre: in der Zukunft, üble Folgen.

Johann von Schwarzenberg, Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung, Bamberg: Hans Pfeil 1507.
> http://www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/bambi/seite32.html

Von links nach rechts: Der Säufer wird [einen Mord begehen und dann] gerädert werden – die beiden Kartenspieler werden [in Streit geraten und dann] am Galgen / an einem Baum gehenkt werden – dem Dritten droht [weswegen? Schwurgeste?] das Richtschwert – dem mit der Dame Schäkernden droht das Einschließen in den Block (eine Ehrenstrafe).

Zur Inscriptio: vertan < vertun = verschwenden; argkwenig = suspekt, verdächtig; streflich = poena dignus; streflich sein = straffällig werden; zw vbel = Übel hier als Schlechtigkeit, Bosheit.

Auf dem Kopf der flirtenden Dame rechts sitzt ein einflüsterndes Teufelchen; das ist eine andere Darstellungsform; vgl. das Bild im »Großen Seelentrost« 1483; Das Cxxvi. blat hier.

Literaturhinweis: Wolfgang Schild, Die Geschichte der Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, Hamburg 1997.

Zweites Beispiel

Drei Männer spielen 1553 in Willisau bei Luzern Karten. Der erste schwört fräfentlich unverholen: »Verlür ich das spyl, so wolt ich Gott erstechen.« Er verliert, zückt seinen Dolch und wirft ihn nach oben; der verschwindet, und es fallen fünf Blutstropfen auf den Tisch; dann wird er vor den Augen der Mitspieler vom Teufel geholt. Die beiden andern können das Blut in einem Bach nicht vom Tisch abwaschen. Die durch das teuflische Getöse aufmerksam gewordenen Stadtbewohner wollen sie ins Gefängnis abführen. Auf dem Weg wird der eine der Spieler von Läusen angefallen, die ihn auffressen. Der dritte wird geköpft.

Der in den Wickiana (Signatur: PAS II 2/27) überlieferte Holzschnitt zeigt die Todesarten der drei Spieler:

Ein Wunderbarlich gantz Warhafft Geschicht/ so geschehen ist in dem Schwytzerland/ bey der Statt Willisow … von dryn gesellen de miteinanderen gespylt haben … , Strassburg [s.n.], im Jar 1553.
> gemeinfrei hier

Drittes Beispiel

In der Reihe »Nova Reperta« — Zeichner: Jan van der Straet (1523–1605); Stich Jan Collaert (1566–1628) zugeschrieben; im Verlag von Philips Galle (1537–1612), Antwerpen um 1591 — wird die Entdeckung des Gujakholzes als Medikament gegen die Siphylis gefeiert.

Die Siphylis hatte sich seit dem Sacco di Roma von 1527 als Superspreader-Event in der Alten Welt ausgebreitet. Ulrich von Hutten hatte sich in Leipzig oder auf den Wanderjahren in Italien mit Lues infiziert und glaubte, von Dekokten des Guajakholzes profitiert zu haben, was ihn 1519 zur Publikation von »De Guaiaci medicina sive morbo Gallico liber unus« anregte. Die herkömmliche Quecksilberkur hatte bei ihm schwere Vergiftungssymptome hervorgerufen.

> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8400220h.item

Hyacum et Lues Venerea

Die von dieser Krankheit beschwerten weichen Glieder wird dieser heruntergeschluckte Absud des Baumes erleichtern.

  • Rechts im Bild die Zubereitung der Medizin gegen die Syphilis (lues venerea ≈ Liebes-Seuche) aus der Rinde des Gujakbaums
  • Links im Bild die Verabreichung des Medikaments.
  • Im Zimmer an der Wand hängt ein ( Spiegel?-) Bild, das zeigt, wie die Ansteckung erfolgt ist: Nach einem Gelage begibt sich ein Paar miteinander ins Bett.

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Vgl. auch das Unterkapitel zu den Bildern in Sprechblasen

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Erzähler und Erzähltes simultan

Erstes Beispiel

Die als Kapitel-Anfänge dienenden Bilder im »{H}ortus Sanitatis« (Mainz: Jacob Meydenbach 1491) sind so organisiert: Gelehrte disputieren miteinander über den Gegenstand, der jetzt dann behandelt wird. (Streng genommen sind es nicht Erzähler und Erzähltes, aber die Zusammen-Schau von zwei Ebenen ist logisch ebenso geartet.)

Ortus sanitatis, Mainz: Meydenbach 1491
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00027846/image_501

Zweites Beispiel

Das Titelbild der Aesop-Ausgabe Esopi appologi sive mythologi cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant, [Basel: Phortzheim 1501] zeigt den Fabelerzähler (Aesop wird in seiner fiktiven Vita als missgestaltig geschildert) sowie Pictogramme, die auf die von ihm erzählten Fabeln verweisen:

> https://www.e-rara.ch/bau_1/content/pageview/1722250

Diese Technik ist in Aesop-Ausgaben beliebt. Während der Holzschnitt des frühen 16. Jh. die Ebenen darstellerisch trennt, befindet sich im 17.Jh. der Dichter gleichsam mitten unter den Tieren seiner Texte:

Frontispiz von Sir Roger L'Estrange [1616–1704], Fables, of Aesop and other eminent mythologists; with morals and reflections, London: John Gray and Co. 1669.
> https://archive.org/details/fablesofaesopoth00lest

(Auf dem Papier steht Utile dulci, das ist das Rezept von Horaz (Ars poetica 343): Der Dichter möge das Angenehme mit dem Nützlichen mischen.)

Die Ausdrücke ›Superimago‹ und ›Subimago‹ verwendet Jörg Jochen Berns bei der Besprechung des Titelbilds der Aesopausgabe von Zainer in Ulm um 1476/1477 in seinem Buch Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Marburg: Jonas Verlag 2000. S.48–55.

Drittes Beispiel

Simone Martini (1284–1344) in einer Handschrift des Servius-Kommentars zu Vergils Werken:

> https://de.wikipedia.org/wiki/Maurus_Servius_Honoratus..... .jpg

Servius (mit dem Zeigegestus*) entdeckt dem Aeneas (links mit Schwert und Lanze), dem Bauern (für die »Georgica«) und dem Hirten (für die »Bucolica«) den dichtenden Vergil (rechts mit Loberkranz und Schreibzeug). – *) Insofern als der Kommentator Servius 400 Jahre später glebt hat und einer metadiegetische Ebene angehört, sind drei Welten simutan dargestellt.

Zu den Texten (mit Dank an Thomas G.):

Ytala p(rae)claros tellus alis alma poetas,
S(ed) tibi greco(rum) dedit hic attingere metas.

Servius altiloqui retegens archana Maronis,
Ut pateant ducib(us) pastorib(us) atq(ue) colonis.

≈ Italische Erde, berühmte Dichter ziehst du hilfreich heran,
aber dieser liess dich den Zielpunkt der Griechen erreichen.

≈ Servius deckte das Verborgene auf des hochberedten Maro,
damit es offenkundig werde den Führern, den Hirten und Bauern.

(Vergil hatte im eigenhändigen Grabepigramm geschrieben: Cecini pascua, rura, duces. ≈ Ich habe Weideland, Bauernland und Führer/Herrscher besungen.)

Viertes Beispiel

Auf dem Titelbild dieses Buchs mit Illlustrationen zu Verglis »Aeneis« wird der lorbeerbekränzte Dichter Vergil beim Schreiben dargestellt; ein Genius (?) zeigt ihm als Vorbild das Buch von Homers ΙΛΙΑΣ.

Erneuertes Gedächtnüs Römischer Tapferkeit/ an den unvergleichlichen Virgilianischen Helden Aeneas, und Seinen großmüthigen Thaten, Zu mehrer Erläuterung des hochschätzbaren Alterthums/ Der Edlen Jugend zum gemeinen Besten/ In 50. Kupfern vorgebildet von Georg Jacob Lang / und Georg Christoph Eimmart. In Nürnberg / Anno M.DC.LXXXIIX.

• Rechts vorne ist auf einem Stein eingemeißelt die Flucht aus dem brennenden Troja: Aeneas trägt seinen Vater Anchises, dabei ist sein Sohn Ascanius (Aeneis II, 705ff. > http://www.gottwein.de/Lat/verg/aen02.php)

aus: Johann Ludwig Gottfried, Historische Chronica oder Beschreibung der führnembsten Geschichten so sich von Anfang der Welt biß auff unsere zeitten zugetragen, Franckfurt: Merian 1630.

• Links oben glaubt man zuerst Fama zu erkennen, die Dido und Aeneas beim Tête-à-tête gesehen hat und das im Flug der ganzen Welt "ausposaunt" (Aeneis IV, 173ff. > Text mit deutscher Übersetzung: http://www.gottwein.de/Lat/verg/aen04.php)

Ausschnitt aus: John Ogilby, The Works of Publius Virgilius Maro: Translated, Adorned with Sculpture, and illustrated with Annotations, London 1654.

Aber Vorsicht! Auf dem Bild bei Lang & Eimmart ist Fama nicht mit Augen auf dem ganzen Leib dargestellt (Aneis IV, 181f.: cui tot sunt corpore plumae, tot vigiles oculi subter …). Und sie hält in der rechten Hand eine Porträtbüste. — So ist wohl Fama im positiven Sinn verstanden als Nachruhm (Vergils).

Vgl. die so zu verstehende Fama auf dem Buchdruckerzeichen von Sigmund Feyerabend
> http://www.zeno.org/nid/20004313364

Zu Fama vgl. den Artikel im RDK > http://www.rdklabor.de/wiki/Fama

Fünftes Beispiel

Matthäus 13,24ff.: Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. (Der Text unter dem Bild sagt: des menschen feind – gemeint ist der Teufel, vgl. die Füße des Unkraut Säenden!)

Hie würt vfgelesen die brösamlin von des hochgelerten doctor Keiserspergs tisch, so er in vil malen gepredigt, hatt der eerwirdig bruder Johannes Pauli vffgesamlet ... Straßburg: Grüninger, 1517. [Zuschreibung gemäss BrMus]
British Museum > http://tinyurl.com/oh3oarb

Sechstes Beispiel

Im Matthäus-Evangelium 3,1ff. steht die Geschichte von Johannes dem Täufer.
• 1ff.: Er trägt ein Gewand aus Kamelhaar und predigt
• 10ff.: Ein Satz aus der Predigt: Es ist schon die axt den böumen an die wurtzel gelegt. Darumm welcher baum nit guote frucht bringt/ wirt abgehauwen/ vnd ins fheür geworffen.
• 13ff.: Jesus lässt sich am Jordan von Johannes taufen

Das Bild zeigt links vorne den predigenden Johannes, rechts die Predigthörer*innen — rechts im Hintergrund aus dem Inhalt der Predigt: das Fällen und Verbrennen von Bäumen — links im Hintergrund unter der Taube des hl. Geists die Taufe im Jordan. (Insofern gehört dieses Bild auch in die erste Rubrik = simultane Darstellung historischer Szenen).

Die gantze Bibel, das ist, Alle Bücher allts unnd neüws Testaments / den ursprünglichen Spraachen nach auffs aller treüwlichest verteütschet. Darzuo sind yetzund kommen ein schön und volkommen Register oder Zeyger […] Getruckt zuo Zürich bey Christoffel Froschouer, im Jar als man zalt 1545.
(Zentralbibliothek Zürich Signatur RRg 34; Größe ohne Randleisten 6,8 x 7,6 cm)

Siebentes Beispiel

Ein Illustrierte Handschrift zu Wolframs von Eschenbach »Willehalm«-Epos zeigt (auf diesem Blatt) verschiedene Szenen der Erzählung sowie den Erzähler:

Oben: Giburc und Willehalm vor seinem Aufbruch

Mitte: die beiden Figuren links stellen in der Schlacht verlorene Verwandte dar, um die Gîburc (gekrönt) und Willehalm (mit * gekennzeichnet) trauern; in der Mitte der Erzähler. — Der Buchstabe W bezieht sich auf den Text (mit der Initiale W): Welt ir nu hoeren wiez gestê | umb den zorn den ir hortet ê | … (162,1ff.).

Unten: Willehalm im Unglück, da ihm die daheim gebliebene Giburc Verstand und Frohsinn raubt (die Eins auf dem Würfel deutet darauf hin, dass er von niemandem in diesem ›Spiel‹ des Minneleidens übertrumpft werden könnte: ein esse im niemen übergeben | kunde an so bewandem spil (162, 23–24).

Quelle: BSB cgm 193/III fol. 3

Karl von Amira, Die Bruchstücke der großen Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm: Farbiges Faksimile in zwanzig Tafeln nebst Einleitung, München 1921. > https://doi.org/10.11588/diglit.14782#000

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Realität und Vision

Erstes Beispiel

Im zweiten Makkabäer-Buch wird berichtet, dass den Truppen eine englische Lichtgestalt vorausreitet, um sie zu ermutigen.

DA aber Maccabeus vnd die seinen höreten/ das er den Flecken stürmet/ baten sie vnd der gantze Hauff mit süfftzen vnd threnen/ den HERRN/ Das er einen guten Engel senden wolte/ der Jsrael hülffe. Vnd Maccabeus war der erste der sich rüstet/ vnd vermanet die andern/ Das sie sich mit jm wogen vnd jren Brüdern helffen wolten/ Vnd zogen also mit einander aus. Als bald sie aber fur die stad Jerusalem hin aus kamen/ Erschiene jnen Einer zu Ross in einem weissen kleide/ vnd güldenem Harnisch/ vnd zoch fur jnen her. Da lobten sie alle den barmhertzigen Gott/ vnd wurden keck/ das sie jre Feinde schlagen wolten/ wenn sie gleich die wildesten Thier were / vnd hetten eiserne mauren fur sich. Mit einem solchen mut reisete der gantze Zeug fort/sampt jrem Gehülffen/ den jnen der barmhertzige Gott von Himel gesand hatte/ Vnd grieffen jre Feinde an / wie die Lewen / vnd erschlugen jr eilff tausent zu fuss / vnd sechzehen hundert zu Ross.
(2.Makkabäer 11,6ff. in der Luther-Übersetzung 1545 > http://www.zeno.org/nid/20005331137)

Das Bild zeigt miteinander die Krieger als auch den Engel, der ihnen (ihnen!) erscheint.

Biblia ectypa. Bildnußen auß Heiliger Schrifft deß Alten Testaments, Erster Theil. in welchen Alle Geschichten u: Erscheinungen deutlich und schriftmäßig zu Gottes Ehre und Andächtiger Seelen erbaulicher beschauung vorgestellet worden. ... hervorgebracht von Christoph Weigel in Regensburg. Anno M.D.C.XCVII.

Zweites Beispiel

Eine um das Jahr 1000 entstandene Handschrift der Staatsbibliothek Bamberg (Msc. Bibl. 22) zeigt die Szene der Vision des Nebukadnezar (Buch Daniel 2,31–35) von den vier Weltreichen, die Daniel dann auslegt. (Mehr dazu auch hier.)

> https://de.wikipedia.org/wiki/Bamberg,_Staatsbibliothek,_Msc._Bibl._22

Drittes Beispiel

Genesis 28,11 steht: Jakob kam an einen bestimmten Ort und übernachtete dort, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein.  Da hatte er einen Traum: Siehe, eine Leiter stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder.

Die Visualisierung muss mit zwei Ebenen rechnen: (a) die Geschichte von Jakob und (b) das, was Jakob in seiner Vision sieht: die Himmelsleiter.

In der Darstellung der Lübecker Bibel 1494 sind (a) und (b) visuell nicht auseinandergehalten; es sieht beinahe so aus, als sei die Leiter in Jakobs Brustkorb gerammt:

Walter Eichenberger / Henning Wendland, Deutsche Bibeln vor Luther. Die Buchkunst der 18 deutschen Bibeln zwischen 1466 und 1522, Hamburg: Wittig 1977; Abb. 87.

Dieser Illustrator macht dadurch, dass er die Leiter wolken-umhüllt zeigt, deutlich, dass es sich um eine Vision handelt:

Ignaz Schuster, Die Biblische Geschichte des Alten und Neuen Testaments. Für katholische Volksschulen, (Ausgabe Freiburg/Br.: Herder 1882)

Viertes Beispiel

In Saadis »Golestan« (13. Jh. u.Z.) wird erzählt, dass ein Derwisch im Traum sieht, daß ein König im Paradieß/ und ein Derwisch in der Höllen saß/ über welches er sich nicht wenig verwunderte. Man gibt ihm zu verstehen: Der König ist wegen seiner Liebe zu den Derwischen im Paradiese, und der Derwisch ist wegen seines Umgangs mit den Königen in der Hölle.

Persianischer Rosenthal. In welchem viel lustige Historien/ scharffsinnige Reden und nützliche Regeln. Vor 400. Jahren von einem Sinnreichen Poeten Schich Saadi in Persischer Sprache beschrieben. Jetzo aber von Adamo Oleario […] übersetzet, in Hochdeutscher Sprache heraus gegeben/ und mit vielen Kupfferstücken gezieret. Schleßwig, In der Fürstl. Druckerey gedruckt durch Johann Holwein […]. Im Jahr 1654. – Das ander Buch, Die 12. Historia, S. 49.
> http://diglib.hab.de/drucke/17-6-eth-2f/start.htm?image=00113

Fünftes Beispiel

Albrecht Dürer wird (wohl zu unrecht) eine Zeichnung zugeschrieben, die eine Vision des Hl.Benedikt darstellt.

Der zugrundeliegende Text: Als es Zeit zum Schlafengehen war, begab sich der ehrwürdige Benedikt in den oberen Teil des Turmes, in dessen unteren Raum sich der Diakon Servandus zurückzog. Es verband aber eine Stiege das obere und das untere Stockwerk. Vor dem Turm befand sich ein breites Gebäude, in dem die Schüler beider schliefen. Die Brüder ruhten noch, als der Mann Gottes schon wachte und vor ihnen das nächtliche Gebet begann. Er stand am Fenster und betete zum allmächtigen Gott. Während er so in frühester Stunde hinausblickte, sah er plötzlich, wie sich ein Licht von oben her ergoß, die ganze Finsternis der Nacht verscheuchte und so hell aufleuchtete, daß dies in der Finsternis strahlende Licht den Tag übertraf. Etwas sehr Wunderbares war mit dieser Erscheinung verbunden; es wurde ihm nämlich, wie er später selbst erzählte, auch die ganze Welt wie in einem einzigen Sonnenstrahl vereinigt vor Augen geführt. (Gregor der Große, Dialoge, II,35)

Walter L. Strauss, The complete drawings of Albrecht Dürer, Vol. 6: Appendices & index, New York: Abaris Books 1974; XW.205 (Berlin, Kupferstichkabinett)

Sechstes Beispiel

Die Personifikation der Freude in Petrarcas Buch »Von zweierlei Glück« (I, Kapitel 21) ruft aus, sie freue sich über die Muße (otium), die genussvolle Ruhe (quies), den Schlummer (fruor somno). – Die Vernunft erwidert: Nicht die Ruhe, sondern die Arbeit ist die Quelle für Tugend und Ruhm (Labor est materia virtutis et gloriae).

Der Meister der Holzschnitte zeigt den prächtig gekleideten Müßigen auf einem prunkvollen Bett (Otiosus in thalamo requiesco) – daneben das, was ihm an Phantasien und Gesichten und Träumen erscheinen: Kämpfe zwischen Bewaffneten, mit Monstren (somnus … habet abditos dolores visionumque ac phantasmatum turbidos tumultus atque horribiles).

Von der Arzney bayder Glück, des guten und widerwertigen, Augsburg, 1532; Hier aus dem Druck von 1572.

Weitaus genüsslicher ist der Traum, den Alexandre Balthazar Laurent Grimod de la Reynière (1758–1837) ebenso darstellt:

Les Rêves d’un Gourmand, Almanach des gourmands, servant de guide dans les moyens de faire excellante chère, Sixième Année, Paris: Maradan 1808. (Titelblatt)
> https://archive.org/details/b21525250_0006/page/n1/mode/1up

Siebentes Beispiel

Johann Michael Moscherosch, Les Visions De Don De Quevedo. Das ist: Wunderliche Satyrische unnd Warhaftige Geschichte Philanders von Sittewaldt/ In welchen Aller Welt wesen, aller Menschen Händel ... offentlich auff die Schaw geführet, alß in einem Spiegel dargestellet, und von männiglichen gesehen werden. In fünff Theilen begriffen, Und jedem Theil sein Register beygefügt, Leyden: Wyngarten 1646. Der 5. Theil.
> http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10114905-8

Achtes Beispiel

Die Gregorsmesse. Papst Gregor I. zelebriert die Messe. Das Mysterium der Transsubstantiation von Brot und Wein in Leib und Blut Christi wird so dargestellt, dass der aus dem Sarg Auferstehende sowie einige der Leidenswerkzeuge realistisch abgebildet sind bzw. bei diesem Wunder wirklich zu sehen waren (ein Jesus Verspottender, die Dornenkrone, der Hammer zur Annagelung, Würfel der um Jesu Kleider würfeldden Grabwächter, der Hahn u.a.m.)

Quelle > http://www-classic.uni-graz.at/ubwww/sosa/katalog/katalogisate/1703/druckfrag/EinblattdruckeLegenden.htm

Fresko in der Kirche Sogn Gieri in Rhäzüns (um 1330/40) – Foto: P.Michel

Vgl. den Einblattdruck von Israhel van Meckenem (1495) > http://www.zeno.org/nid/20004163710

Und den Kupferstich von Dürer (1511) > http://www.zeno.org/nid/20004001494

Literatur: A. Thomas, Artikel »Gregoriusmesse« in LCI = E. Kirschbaum / W. Braunfels u.a. (Hgg.), Lexikon der christlichen Ikonographie, Band I, Sp. 199–202, Freiburg 1970.

(Der Artikel http://www.rdklabor.de/wiki/Gregorsmesse ist im Dezember 2022 noch in Bearbeitung.)

Neuntes Beispiel

Es gibt eine Bildtradition, die Maler und Modell gleichzeitig zeigen. (Vgl. Klaus Gallwitz / Georg W. Költzsch, Maler und Modell. Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 28.Juli bis 19.Oktober 1969; Karlsruhe: Buchdruckerei und Verlag GmbH 1969.)

Dabei kann das Modell auch in einer Vision sichtbar sein, beispielsweise bei den häufigen Darstellungen des die Madonna malenden Evangelisten Lukas:

Derick Baegert, Der Evangelist Lukas malt die Madonna, ca. 1485.
> https://www.lwl.org/AIS5/Details/collect/6751
Vgl. > https://www.gnm.de/objekte/der-hl-lukas-malt-die-madonna/

Der Text im 1.Kapitel von Boccaccios »De Casibus Illustrium Virorum Et Mulierum« beginnt:

Maiorum nostrorum dum flebiles casus, ut satis dignum principem infortuniis assummerem ex deiectorum multitudine, animo volverem, et ecce senes astitere duo, tam grandi annositate graves, ut vix artus tremulos posse trahere viderentur. —
Während ich, um einen ausreichend würdigen Beginn aus der bei mir versammelten Menge der Unglückseligen zu nehmen, über einen Schicksalsfall von zwei Menschen nachdachte, siehe, da standen schon zwei uralte Menschen vor mir, so altersschwer, dass sie kaum ihre Glieder noch tragen konnten
Adam stellt die beiden Menschen sogleich vor ...

In einer französischen Übersetzung »De la Ruine des Nobles hommes et femmes« ist ein Holzschnitt eingeklebt, der zeigt, wie der Autor Boccaccio die Figuren Adam und Eva vor sich hat und dazu den Text schreibt:

Max Lehrs, Der Meister der Boccaccio-Bilder, in: Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen, 23. Band / 2. Heft (1902), S 124–141.

> Collections MFA Boston, Accession Number 32.458

Zehntes Beispiel

Sigmund Freud zitiert in der »Traumdeutung« einen Cartoon: Der Traum eines Knaben, der urinieren muss; er träumt von einem Spaziergang entlang eines Flusses, wobei er den Reiz in einen immer mächtiger werdenden Wasserstrom übersetzt. Erst das letzte Bild, welches das Erwachen der Bonne infolge des Geschreis des Kindes enthält, zeigt uns, daß die früheren sieben die Phasen eines Traumes darstellen.

Die hier reproduzierten Zeichnungen stammen aus einer Reihe von Bildern, die Ferenczi in einem ungarischen Witzblatt (Fidibusz) aufgefunden und in ihrer Brauchbarkeit zur Illustration der Traumtheorie erkannt hat.

Sigmund Freud, Die Traumdeutung, Leipzig/Wien 1900; VI. Die Traumarbeit – E. Die Darstellung durch Symbole im Traume – 6. Zur Harnsymbolik

> https://archive.org/details/GesammelteSchriftenIiiErgnzungenZurTraumlehre/page/n91/mode/2up
> https://genius.com/Sigmund-freud-die-traumdeutung-kapitel-6-annotated (OCR-erkannt)

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Diesseits und Jenseits

Erstes Beispiel

In Genesis 4,1–24 wird die Geschichte von Kain und Abel erzählt:

ES begab sich aber nach etlichen tagen / das Kain dem HERRN Opffer bracht von den Früchten des feldes/ Vnd Abel bracht auch von den Erstlingen seiner Herde vnd von jrem fetten. Vnd der HERR sahe gnediglich an Abel vnd sein Opffer/ Aber Kain vnd sein Opffer sahe er nicht gnediglich an. (Luther-Übersetzung 1545 > http://www.zeno.org/nid/2000531979X)

Der Illustrator Johann Teufel zeigt unten im Vordergrund die Szenen mit den beiden Opfernden Kain und Abel – oben – die Sphäre wird durch ein Wolkenband optisch abgegrenzt – GOtt, der sich zu Abel wendet und einen Lichtstrahl zu ihm sendet.

Biblia. Das ist/ Die gantze Heilige Schrifft/ Deudsch [von] D. Mart. Luther, Wittenberg: Johann d.J., 1589/1590.
> http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB00015D4400000000

Zweites Beispiel

Das Lukasevangelium 16,19ff. erzählt die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus:

Es war aber ein reicher man/ der kleidet sich mit Purpur vnd köstlichem Linwand/ vnd lebet alle tage herrlich vnd in freuden. Es war aber ein Armer/ mit namen Lazarus/ der lag fur seiner Thür voller Schweren/ vnd begeret sich zusettigen von den Brosamen / die von des Reichen tische fielen. Doch kamen die Hunde / vnd lecketen jm seine Schweren.
Es begab sich aber/ das der Arme starb/ vnd ward getragen von den Engeln in Abrahams schos. Der Reiche aber starb auch/ vnd ward begraben. Als er nu in der Helle vnd in der qual war/ hub er seine Augen auff/ vnd sahe Abraham von fernen /vnd Lazarum in seinem Schos
[usw.; hier in Luthers Übersetzung 1545]

In der Illustration von Hans Schäuffelein (um 1480– 1540) ist der Reiche gleichzeitig am Tisch schmausend und in der Hölle dargestellt – Lazarus, wie an der Tür abgewiesen wird, und im Himmel:

Das Büchle Memorial, das ist ein angedänckung der Tugend/ von herren Johannsen vonn Schwartzenberg/ yetz säliger gedächtnuß, etwo mit Figuren und reümen gemacht [Augsburg: Heinrich Steiner 1534].
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00029340/image_224

Drittes Beispiel

Auf den Planetenbildern im Hausbuch der Grafen von Waldburg-Wolfegg-Waldsee (zwischen 1475 und 1500) werden im oberen Bildbereich die Planetengötter und -Göttinnen gezeigt; daneben die dominierenden Sternbilder (›Häuser‹) als Pictogramme. Im unteren Bildbereich sind die Planetenkinder dargestellt, d.h. nach astrologischer Vorstellung die Charaktertypen der durch die Gottheiten beeinflussten Menschen und ihre Tätigkeiten.

pag. 14b / 15a : Oben Venus zwischen Waage und Stier. Unten: Liebespaare, ein Paar im Badezuber, Musikanten, Tanzende.

VEnus der funfft planet fein
Heyß ich vnd pin der mynne schein
[…]

Was kinder vntter mir geporen werden
Die sint frolich hie auff erden
[…]
Harpffen lauten singen alle seytenspil
Horen sie gern vnd kunnen sein vil
Orgeln pfeiffen vnd posaunen
Tannczen helsen kussen und rawmen
Ir leip ist schon ein hubschen munt
Augprawen gefug ir antlucz runt
Vnkeusch vnd der mynne pflegen
Sein venus kint allwegen

Bild: Wiki Commons

Ausgabe: Das mittelalterliche Hausbuch …, hg. v. Helmuth Theodor Bossert / Willy F. Storck, Leipzig: Seemann 1912.

Literatur: Francis B. Brévart / Gundolf Keil, Artikel »Planetentraktate« in: Die deutsche Literatur des Mittelalters / Verfasserlexikon, Band 7 (1989), Sp. 515–523.

Viertes Beispiel

In astrologischen Traktaten werden die Sphäre des Himmels und die davon beinflusste Sphäre hienieden gern so dargestellt:

Prognosticon Astrologicvm Auff die vier fürnemsten Reuolutiones vnd andere Zuneigung der Planeten des Jars nach der Geburt vnd Gnadenreichen Menschwerdung vnsers einigen Fürbitters vnd Seligmachers Jhesu Christi 1563. – Durch M. Victorinum Schönfelt Budissinum jtziger zeit verordneten Physicum vnd Mathematicum der Fürstlichen vnd löblichen Hohenschul zu Marpurg ... gestellet, Wittenberg: Rhaw 1563.
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00052843?page=3

Literaturhinweis: Heinz Artur Strauß, Der astrologische Gedanke in der deutschen Vergangenheit, München/Berlin: Oldenbourg 1926.

Fünftes Beispiel

Zu Beginn des 10.Buchs der »Aeneis« beschreibt Vergil den Götterrat, der die Ursachen des Kriegs (Turnus vs. Aeneas) darlegt; Juno und Venus streiten miteinander; Jupiter entscheidet, dass die Göltter nicht eingreifen.

Publij Virgilij maronis opera cum quinque vulgatis commentariis […] expolitissimisque figuris atque imaginibus nuper per Sebastianum Brant superadditis […], Straßburg: Grüninger 1502.
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/vergil1502

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Exempel und Alternativen

In Von der Arzney bayder Glück, des guten und widerwertigen, Augsburg, 1532 sagt in Kapitel I,52 Die ›Freude‹: Ich habe einen getrewen vnd erfarnen freund. Die ›Vernunft‹ argumentiert, die Freundschaft könne immer wieder in Hass umschlagen, und zählt zur Untermalung dieser Behauptung historische, mythologische und zeitgenössische Beispiele auf. Der Illustrator fertigt eine »panoptische Verquickung« an (so nannte das Wilhelm Fraenger 1930): Fünf Szenen in ein und denselben perspektivisch gestalteten Raum eingefügt, wobei eine Hecke Vorder- und Hintergrund trennt. (Der Zeichner bzw. sein Influencer übernimmt die in Petrarcas Text genannten Fälle wie üblich nicht alle, sondern bringt auch eigene. Zu seiner Illustrationstrategie mehr hier.)

• In der Mitte (rot umrandet): Zwei Männer umarmen sich und sind dabei, sich einen freundschaftlichen Kuss zu geben.

Als motivische Vorbilder könnten Darstellungen von David und Jonathan (vgl. 1 Sam.18) gedient haben (Hinweis von R.Stutz):


> https://de.wikipedia.org/wiki/Jonatan_(Sohn_Sauls)#/media/Datei:David_and_Jonathan.jpg

• Unten links (blau): Ein König erhebt das Schwert gegen einen jüngeren Mann mit langem Haar. Vor ihnen liegen schon drei getötete Personen, darunter eine gekrönte Frau. Dies bezieht sich sicher auf die Stelle bei Petrarca: Et Ptolemeus Philopater dictus, patre ac matre insuper et fratre occisis, ad ultimum et uxore Eurydice interfecta, ... in der 1539er-Übersetzung: Mann liset daß Ptolemeus darumb* Philopater genent ist worden / daß er seinn vatter/ muotter/ vnd brueder erwürgt/ zuletst auch sein weib Eudidicen.
*) Philopator bedeutet ›der den Vater Liebende‹; diesen Namen erhielt Ptolemaios IV. als Schandnamen (darumb!). Petrarcas Quelle ist Pompeius Trogus im Auszug des Justin, Kap. 29,1 (cui ex facinoris crimine cognomentum Philopator fuit) und 30,1.

• Unten rechts (grün): Ein Mann mit einem Flügelhelm treibt mit einem Stock einen alten Mann vor sich her. Der Flügelhelm ist typisches Attribut von Hermes/Merkur. Ovid (Metamorphosen II, 676–707) erzählt, wie Mercur zunächst den greisen Hirten Battus (notus in illo rure senex) einweiht (Motiv der Freundschaft), dass er Apolls Rinder gestohlen habe, und ihn dann verkleidet testet, ob er das Geheimnis bewahrt. Wie Battus es verrät, verwandelt Mercur ihn in einen Felsen. (Dann wäre der Stab Mercurs Caduceus, dessen zwei Schlangen man außerhalb des Bilds nicht mehr sieht, und der rechts unten liegende Stein eine Vorausdeutung auf die Verwandlung von Battus).

So hat man das später dargestellt:

Ausschnitt aus einem Bild von Herman van Swaneveldt (1635/35)
> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_Oo-10-184

• Oben links (braun): Klytemnestra (Clitemnestra) verliebt sich während der Abwesenheit ihres Ehemanns Agamemnon im Trojanischen Krieg in Aegisth (Egisti). Bei Agamemnons Heimkunft lässt sie ihn so töten: Sie bittet ihn, andere Kleider anzuziehen; der Rock hat indessen kein ›Hauptloch‹, und wie sich Agamemnon darin verwickelt, wird er von Aegisth erstochen. Das Exempel wird bei Petrarca nur angetippt, ohne dass die Geschichte erzählt wird. – Hingegen erzählt Boccaccio, »De claris mulieribus« Kap. 34 das ausführlich. (Boccaccio hat dieselbe Geschichte auch in de »De casibus virorum illustrium« I,15 beschrieben.)

So eine Darstellung dürfte der Gaphiker gekannt haben:

Bild aus dem illustrierten Druck De claris mulieribus, Ulm: Zainer 1473 (Aegisth hier irrtümlich als Egillus bezeichnet).
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ib00716000

• Oben rechts (gelb): Kaiser Nero lässt seine Mutter töten und aufschneiden, um herauszufinden, wie er in ihrem Uterus lag. Die Geschichte ist nicht antik. Sie erscheint bei Jacobus a Voragine, »Legenda aurea« im Kapitel LXXXIX über den Apostel S.Petrus: Nero nefaria mentis vesania ductus, ut in eadem hjstoria apocrypha reperitur, matrem occidi et scindi jussit, ut videret, qualiter in ejus utero fovebatur, … (Ausgabe von Th. Graesse S.376).

Im »Roman de la Rose« (Guillaume de de Lorris in der Erweiterung von Jean de Meun, ca. 1270) wird diese Tat erwähnt:
Quant il [Neron] fist desmembrer sa mere,
Pour ce que par lui fust veüz
Li leus ou il fu conceüz …

(Text, übersetzt von Karl August Ott, Klass. Texte des Roman MAs, Band 15 Münhchen: Fink 1976, Verse 6193ff.)

Dazu die Illustration aus der Handschrift (Rouen, ca. 1525) in The Morgan Library & Museum, MS M.948. Fol. 063r:


> http://ica.themorgan.org/manuscript/page/39/145641

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Der Imaginiernde und das von ihm Imaginierte

Der Petrarcameister zeigt zum Thema Von der gedechtnus einen Gelehrten, der sich anhand von mnemotechnischen Hilfs-Bildern soverän etwas (eine Rede z.B.) einprägt.

Im Hintergrund muss man sich solche Bilder der Mnemotechnik vorstellen, wie sie etwa hier dargestellt sind:

   

Links: Jacobus Publicius, Oratoriae Artis Epitoma: Vel Qvae Brevibvs Ad Consvmatvm Spectant Oratorem: Ex Antiqvo Rhetorvm Gymnasio: Dicendi Scribendiqve Breves Rationes: […] Venetiis: Ratdolt 1485. > http://diglib.hab.de/inkunabeln/79-quod-6/start.htm?image=00124

Rechts: Thomas Murner, Logica memorativa [aufgrund der Druckermarke Johannes Grüninger in Straßburg zuzuweisen; im Kolophon 1509]
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00009762/image_13

Das Bild erscheint zuerst in Petrarca, Von der Arzney bayder Glück, des guten und widerwertigen, Augsburg, 1532, 1. Buch, Kap. 8, wo das gute Gedächtnis allerdings gescholten wird. Was die bekümmert dreinschauende Frau mit dem Buch auf dem Kopf bedeuten soll, ist unklar.

Der Verleger Steiner hat das Bild dann übernommen in ein Buch, wo es gut passt: Wer erstlichen der Gedächtnußkunst angezeygt:

Polydorus Vergilius Urbinas, Von den erfyndern der dingen. […] mit schönen figuren durchauß gezyeret/ jedem Menschen nutzlich und kurtzweylig zuo lesen. Augspurg: Heynrich Steyner MDXXXVII; Das ander buoch, Das neünt Capitel, Fol. XLVI recto.

Literaturhinweise:

Wilhelm Fraenger, Zur Deutung dreier Illustrationen des Petrarka-Meisters, in: Die graphischen Künste 49 (1926), S. 25–35.

Ludwig Volkmann, Ars memorativa, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Neue Folge, Band 3, Wien 1929.

Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber u.a.: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400–1700, (Frühe Neuzeit 15), Tübingen: Niemeyer 1993.

> http://www.symbolforschung.ch/Mnemotechnik.html

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Kontamination von verschiedenen kulturellen Kontexten

Ähnliche Bildinhalte in Erzählungen verführen dazu, sie zu parallelisieren, auch wenn sie aus verschiedenen kulturellen Sphären stammen.

Eine Sintflutgeschichte erzählen die Bibel in der Genesis (Kapitel 6 und 7) wie auch Ovid in den Metamorphosen (I, 262–348). In der Bibel überleben Noah, seine Familie und die Tiere die Flut auf der Arche; bei Ovid überleben Deucalion und Pyrrha.

Einige Ovid-Illustratoren zeigen die Arche im Hintergrund, obwohl sie in Ovids Text selbstverständlich nicht vorkommt:

Metamorphoseon sive transformationum Ovidianarum libri quindecim, aeneis formis ab Antonio Tempesta florentini incisi et in pictorum antiquistatisque studiosorum gratiam nunc primum exquisitissimis sumptibus a Petro de Iode Antverpiano in lucem editi Aº 1606

P. Ovid Nasonis XV. Metamorphoseon librorum figurae elegantissime, a Crispiniano Passaeo laminisaeneis incisae. Quibus subiuncta sunt epigramata latine ac germanice conscripta, ... fabularum omnium summam breviter ac erudite comprehendentia, autore Guilhelmo Salsmannos ... prostant (etc.). Coloniae: Passaeus / Arnhemiae: Janssonius [1607 als Chronogramm].

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In dieselbe Bildebene praktizierter Hintersinn

In der Literaturwissenschaft kennt man die ›mise en abyme‹, d.h. eine Binnenerzählung, welche die Haupthandlung (oder einen Teil davon) in einer anderen Textsorte (z.B. als Märchen) gleichnishaft spiegelt. (Der Terminus kommt evtl. aus der Heraldik, wo écusson en abîme / abyme das verkleinert wiederholte Wappen innerhalb des Wappens bezeichnet.)

Goethe an Carl Jacob Ludwig Iken, 27. September 1827:

Da sich gar manches unserer Erfahrungen nicht rund aussprechen und direct mittheilen läßt, so habe ich seit langem das Mittel gewählt, durch einander gegenüber gestellte und sich gleichsam in einander abspiegelnde Gebilde den geheimeren Sinn dem Aufmerkenden zu offenbaren. http://www.zeno.org/nid/2000486087X

Beispiele aus der Literatur

Erstes Beispiel:

Vergil stellt in der Aeneis VII: Die beiden Krieg Führenden Turnus (783ff.) und Camilla (803ff.) dar. Turnus trägt nebst einem sinnträchtig verzierten Helm einen Schild:

At levem clipeum sublatis cornibus Io
auro insignibat, iam saetis obsita, iam bos
(argumentum ingens), et custos virginis Argus
caelataque amnem fundens pater Inachus urna.

Doch auf dem glänzenden Schild stellt golden mit wachsenden Hörnern Io sich dar; schon borstig behaart, schon steht sie als Kuh da – ein gar stattliches Bild –; auch Argos, der Wächter der Jungfrau. Inachos gießt, ihr Vater, den Strom aus gemeisselter Urne. (Übersetzung nach W.Hertzberg bearbeitet von E.Gottwein)

Wenzel Hollar (1607–1677) illnstriert das so:

(Bild aus Wikipedia) Detail:

Mythologischer Hintergrund: Jupiter verliebt sich in Io, Tochter des Flussgottes Inachus (vgl. auf dem Bild des Schildes unten) und nähert sich ihr in Gestalt eines Nebels. Seine Gattin Juno bemerkt das, worauf Jupiter Io in eine Färse verwandelt. Sie bittet sich das Tier zum Geschenk aus und gibt ihr den hundertäugigen Argus als Hüter. Um das Tier zu befreien, erteilt Jupiter dem Merkur den Auftrag, Argus zu töten (Merkur mit dem typischen Stab Caduceus; die vielen Augen von Argus angedeutet; die Kuh im Hintergrund.) Vgl. Ovid, Metamprphosen I, 584ff.

Der Hintersinn: Juno hat den Krieg zwischen Turnus und den sich nahenden Trojanern angebahnt (die Pforten des Janus geöffnet Vers 601ff). Und Turnus ist wie Io auf Geheiss von Juno verwandelt worden. – Die Szene von Merkur und Argus wurde von W.Hollar wohl nur der Deutlichkeit halber gesetzt; man vergleich Darstellungen der Szene in Ovidillustrationen; wie hier bei Antonio Tempesta (1606), der seinerseits oben am Himmel Juno darstellt:

Zweites Beispiel: In der Unterwelt

Im 10.Gesang des »Purgatorio« schildert Dante den Kreis, wo die Seelen der Hochmütigen büßen; als ›Gegen-Bilder‹ an der Wand sind Szenen von Demütigen dargestellt, u.a. der vor der Bundeslade tanzenden David (2.Samuel / 2.Reg. Kap. 6) Vers 28ff. sowie Trajans Akt der demütigen Rechtsprechung für eine arme Witwe.

Wie ich dort still mit meinem Führer stand,
Erkannt' ich, daß der Felsrand uns entgegen,
Der steil sich hob, gleich einer schroffen Wand,
Von weißem Marmor war, und allerwegen
Voll Bildnerei, ....

> http://www.dante-on-the-net.dk/_purgatorio/feg-10.htm

Vgl. hierzu die Illustration von Gustave Doré:

Drittes Beispiel: Barocker Roman

Philipp von Zesen (1619–1689) »Adriatische Rosemund« (1645)

Im Zimmer der Adelmund – einer Freundin der Hauptheldin –, wo die beiden Verliebten (Rosemund und Markhold) sich sehen und er vom Coup de foudre getroffen wird, befinden sich allerlei Kunstgegenstände: u.a. ein Decken-Gemälde mit dem Motiv der beiden von Vulcan ertappten Venus und Mars; dies offensichtlich als Gegenbild zu der Treue der beiden Haupthelden:

[…] an der däkke, wahr ein grohsses rundtes gemälde zu sähen, in welchem Heldreich [Mars] mit der Libinne [Venus] auf däm bette, in einem zahrten güldnen näzze, nakkend gefangen lagen, und von der Sonnen, welche ihre strahlen mit fleis auf si zu-warf, gleichsam verrahten und angegäben warden. Der Libinnen Ehman, der besudelte Schmid, Gluht-fang [Vulcan] , stund von färne bei seinem Ambohs, krazte sich mit der linken im kopfe, in meinung di hörner, di ihm Held-reich auf-gesäzt hatte, lohs zu wärden, und lihs fohr angst den hammer aus der hand auf seinen schohn-gelähmeten fuhs fallen.
> http://www.zeno.org/nid/2000592894X

Die Geschichte wird erzählt von Metamorphosen IV, 171–189 (nach Homer, Odyssee VIII, 266ff.); die Szene wurde x-mal visualisiert. Zesen lässt die lachenden Götter weg und erfindet die lächerlichen Gebärden Vulcans.

Vgl. die Illustration von Virgil Solis (1514–1562) im Druck Frankfurt 1563


Beispiele aus der bildenden Kunst

Erstes Beispiel: Antike Parallelen zufällig im Hintergrund

Conrad Meyer [1618–1689] hat ein emblematisches Buch von Jacob Cats [1577–1660] 1657 neu illustriert und erweitert.

H. Jacob Catsen Kinder-Lustspiele, durch Sinn- und Lehrbilder geleitet; zur Underweisung in guten Sitten. Auß dem Nider- in das Hochdeutsche gebracht durch H. Johann Heinrich Ammann und mit Kupferstükken geziert, vermehret und verlegt durch Conrad Meyern , Mahlern in Zürich. Getrukt im Jahr Christi 1657.
> http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-9837

Vgl. Conrad Meyer, Die Kinderspiele, [Faksimile mit Vorwort] hrsg. von Conrad Ulrich, Zürich: Berichthaus 1970. — Bereits der Herausgeber und Kommentator Conrad Ulrich (1926–2020) hat auf die beiden Bilder-im-Bild hingewiesen!

Bild 17: Ein Knabe hat sich vor ein Spielfuhrwerk spannen lassen und wird von einem Mädchen mit einer Rute angetrieben.

Äin unbesinnter nimmt (Obschon sich’s nicht gezimmt)
Für äinen mäister an, den er ermäistern kan.

Fazit im Begleittext: […] Es leben vil in dienstbarkeit die des [davon] woll könten seyn befreyt.

Im Hintergrund links ein Relief: Der in der Gewalt seiner Geliebten Omphale spinnende Herkules (er hält bereits den Spinnrocken, wird demnächst sein Löwenfell abgeben...). — Das Motiv ist häufig bildnerisch dargestellt. Antike Quelle u.a.: Ovid, Heroides, Brief IX, Verse 53–118. — Beispiel: Aegidius Sadeler d.Ä. > https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_F-1-152

Im Hintergrund rechts: Phyllis, die auf Aristoteles reitet. Ebenfalls oft illustriert, z.B. von Hans Baldung Grien 1513 > http://www.zeno.org/nid/20003874559 — Vgl. den Artikel von Wolfgang Stammler (1936) im RDK > https://www.rdklabor.de/wiki/Aristoteles

Zweites Beispiel: Ein Emblem und eine biblische Szene augmentieren eine Personifikation

Johann Andreas Pfeffel (1674–1748) / Martin Engelbrecht (Kupferstecher, 1684–1756),
XII. ausserlesene Tugenden in anmuthigen Bildern, deren heylsame Ubung durch biblische Kern-Sprüche und lobwürdige Exempel, wie auch sinnreiche Devisen anrecommandirt wird ... wie auch XII. Abscheuliche Laster in abschröckenden Bildern ... Augsburg: Lotter [ca. 1745].
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11216008?page=1

Personifikation: Die Gedult gleicht den sanftmütigen Schafen und dem Amboss, der viele Streiche erträgt.

Links auf dem Holzblock unter dem Amboss: Schilfrohr im Sturm: Das Biegen bringt siegen (Emblem: flectimur, non frangimur; aus der Fabel von Avian, Perry 70)

Henricus Engelgrave: Lux Evangelica Sub Velum Sacrorum Emblematum Recondita: In Omnes Anni Dominicas Selecta Historia Et Morali Doctrina Varie, Köln: Busaeus 1656–1657; Band I, Nummer III
> https://archive.org/details/luxevangelicsub00enge/page/31/mode/1up
> https://hdl.handle.net/2027/gri.ark:/13960/t83j9d02s?urlappend=%3Bseq=43

Rechts im Hintergrund: Hiob, der von den Freunden verspottet wird (insbes. Hiob 16,20)

Drittes Beispiel: Eine Fabel und ihre Deutung

(a) Deutung im Hintergrund

Die Fabel vom schlauen Fuchs, der den Raben dazu überlistet, den Käse aus dem Schnabel fallen zu lassen (Vulpes et Corvus, Phaedrus I,13), ist im Vordergund gezeigt; im Hintergrund wird ein feiner Herr umschmeichelt und lässt Geld aus dem Beutel fallen:

Phaedri, Augusti Caesaris liberti, Fabularum Aesopiarum libri quinque; notis perpetuis illustrati, & cum integris aliorum observationibvs Amstelodami: Apud Johannem Janssonium à Waesberge & viduam Elizei Weyerstraet 1667.
> https://archive.org/details/phaedriaugustica00phae

(b) Fabel im Hintergrund

Jean de la Fontaine (1621–1695) doppelt die Fabel von Phaedrus (III,12): Bei ihm ist es ist nicht nur Le Coq et la Perle sondern auch ein (dummer) Mensch, der sich so benimmt. Grandville (1803–1847) visualisiert die beiden Szenen so, dass er die Tierfabel als Bild im Bild zeigt.

Fables des La Fontaine. Illustrations par Grandville, Paris: Garnier 1839; Livre I, Fable 20

Das Huhn und die Perle

Hühnchen fand an einem Ort
Eine Perl’ und trug sofort
Sie zum Juwelier hinüber:
»Glaube, sie hat hohen Preis,
Doch das kleinste Körnchen Mais
Wäre mir bei weitem lieber.«

Eine Handschrift inhaltreich
Erbt’ ein Dummkopf, bringt sogleich
Sie zum Antiquar hinüber:
»Wertvoll, hör’ ich, soll sie sein,
Doch der kleinste Talerschein
Wäre mir bei weitem lieber.«

Lafontaines Fabeln, übersetzt von Ernst Dohm, Berlin: Bondi 1913 [EA 1877]

Viertes Beispiel: Eine paradigmatische Situation und die Deutung als Bild einer Fabel im Hintergrund

Ein unbekannter Graphiker zeigt (ca. 1800/05) den Epikuräer, der nicht weiss, welcher Lust er sich zuwenden soll: "par où commencerai-je?" – dies ist bereits eine ins Karikaturistsche umgesetzte Frage der Entscheidung von Alternativen.

L'épicurien / L'embarras des Richesses !!!

Musée Carnavalet, Histoire de Paris
> https://www.parismuseescollections.paris.fr/en/node/898032

Das Bild an der Wand zeigt "Buridans Esel", der sich nicht zwischen zwei Futtertrögen entscheiden kann, und dabei verhungert: l’âne entre 2 mesures d’avoine. (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Buridans_Esel)

Fünftes Beispiel: Üble Anspielungen als Bild im Bild angebracht

William Hogarth (1697–1764) karikiert die von den Eltern zwangsweise arrangierte Ehe des Sohns eines verarmten Adligen mit einer reichen Bürgerstochter: »Marriage A-la-Mode« in sechs Bildern (1743/44).
> https://en.wikipedia.org/wiki/Marriage_A-la-Mode_(Hogarth)

Das 4.Bild: The countess’s morning levee
> https://en.wikipedia.org/4,_The_Toilette

An der Wand hängen Bilder mit folgenden Motiven. alles üble Paarungen:
(links unten:) Jupiter entführt als Adler Ganymed
(über der Braut): Jupiter schwängert in Nebel gehüllt Io (Ovid, Met. I, 599; das Bild nach Correggio 1531/2)
(über dem Bräutigam:) Die beiden Töchter von Lot lassen sich vom betrunkenen Vater schwängern (Genesis 19,30ff.); hier nur ein Beispiel von vielen: Jan Massys.
(unten rechts:) Das Kind hat im Korb vor sich eine Figur von Aktäon aufgestellt, der von Diana in einen Hirsch verwandelt wird, nachdem er sie zufällig nackt gesehen hat; im Korb ein Teller mit der Szene von Jupiter, der als Schwan Leda schwängert.

Detail:

G. C. Lichtenberg verweist in der »Ausführlichen Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche« (1794–99) darauf, dass im Fauteuil des Bräutigams ein Buch mit dem Titel »Sopha« liegt; ein Roman von Claude-Prosper Jolyot de Crébillon (1742), wo der Erzähler, in ein Sofa verwandelt, die Szenen von Paaren schildert, von denen er Zeuge wird.
> https://www.projekt-gutenberg.org/lichtenb/hogarth/chap012.html

Sechstes Beispiel: Politische Karikatur mit nicht ganz dezent als Bild im Bild eingebrachter Deutung

Der liberal denkende Geistliche Alois Fuchs (1794–1855), der sich 1832 gegen die Allmacht des Papsts, gegen den Zölibat der Priester, für die Verdeutschung der Messe ausgesprochen hatte, wurde vor eine bischöfliche Kommission zitiert, die ihn im Amt suspendierte.

Die Karikatur von Martin Disteli (1802–1844) im »Republikaner-Kalender« 1834 zeigt den sich verteidigenden A.Fuchs im Gerichtszimmer.

Ditigalisat der Zentralbibliothek Solothurn

An der Wand hängen zwei Bilder, mit denen Disteli Stellung gegen die Ankläger bezieht. Zum Vergleich (auch wenn es keine ganz genauen Bild-Übernahmen sind; Disteli hat sich von dieser Ikonographie inspirieren lassen):

Links im Detail:

Es ist die Szene, wo Susanna im Bad von den zwei Alten bedrängt wird (Buch Daniel, Kap 13); der eine der beiden Männer trägt den typischen Hut der Jesuiten. — Vgl. den Holzschnitt von Tobias Stimmer (1625):

Rechts eine bildliche Umsetzung des Gleichnisses vom Sämann und dem Teufel, der Unkraut sät unter den Weizen (Matthäus 13.24–30):

Vgl. den Stich von Isaac Nicolai / Claesz von Swanenburg (1537–1614)
> MeisterDrucke-1362587:

Dass auf beiden Bildern Jesuiten gemeint sind, ist an der Kopfbedeckung zu erkennen, die sie auch auf der Karikatur im Schweizer Satire-Magazin »Der Gukkasten« (Zweiter Band; Vierter Jahrgang; 8. März 1844) tragen:

Die Zukunft des Luzerner Volkes.

Hinweis auf eine Website zu Distelis Karikaturen > http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen34.htm

Weitere Beispiele für Bilder-im-Bild: hier und hier und hier und hier

Siebentes Beispiel: Ein in derselben Realitätsebene erscheinendes Element deutet das Dargestellte

Petrarca kritisiert in »De remediis utriusque fortunae« die Freude über köstliche Gemälde. Der Illustrator kommt nicht umhin, eine prächtige Malerwerkstatt darzustellen, wo ein würdiger Herr portraitiert wird, eine Statue bemalt wird und Besucher ein fast vollständiges Gemälde betrachten, das Trauben an einem Weinstock darstellt:

Von der Arzney bayder Glück, des guten und widerwertigen, Augsburg, 1532, Kapitel I,40.

Ein winziges Detail bringt die Kritik ins Bild: Ein Vogel fliegt auf dieses Bild zu und versucht, Trauben zu naschen. Das bezieht sich auf eine Stelle bei Plinius, naturalis historia XXXV, xxxvi, 65:

Parrhasios soll sich mit Zeuxis in einen Wettstreit eingelassen haben; dieser habe gemalte Trauben so erfolgreich dargeboten, dass die Vögel zum Schauplatz herbeiflogen; Parrhasios aber habe einen so naturgetreu gemalten leinenen Vorhang [auf einem Bild] angebracht, dass der auf das Urteil der Vögel stolze Zeuxis verlangte, man solle doch endlich den Vorhang wegnehmen und das Bild zeigen; als er seinen Irrtum einsah, habe er ihm in aufrichtiger Beschämung den Preis zuerkannt, weil er selbst zwar die Vögel, Parrhasios aber ihn als Künstler habe täuschen können.

Damit ist (sapienti sat!) angedeutet, dass die Malerei Augentrug ist. Man soll nicht von Menschen angemalte Bretter angaffen, sondern das Bild, das Gott geschaffen hat. In der Ausgabe 1539 steht der Vers von Johannes Pinicianus:

Wer Sonn vnd Mond/ vnd Himmels schön
    Besicht/ vnd alles erdtrichs grön/
Der mag sich von verwundern dran/
   Vnd ander gmäl hinfaren lan.

Maria Gräfin Lanckorońska (Selbstbildnisse des Petrarkameisters, in: Stultifera Navis 10 (1953), S. 31–35) hielt das Gesicht des porträtierenden Malers für ein Selbst-Porträt des Meisters. Das wäre dann noch eine weitere integrierte Ebene:

Achtes Beispiel: Praxis und Symbol für die dahinterstehende Theorie

Johann Jacob Scheuchzer (1672–1733) akzeptiert 1703 die Fluttheorie von John Woodward und erklärt die fossilen Pflanzen und Tiere als verschüttete Lebewesen der Sintflut. — 1709 publiziert er eine Reihe von Bildern seiner Fossilien-Sammlung unter dem Titel »Herbarium Diluvianum«; das Titelblatt zeigt die Arche Noah in der Sintflut. — 1716 veröffentlicht er ein Buch u.d.T. »Museum Diluvianum« mit diesem Titelblatt (Radierung von Johann Melchior Füssli):

> https://doi.org/10.3931/e-rara-10495

Mehrere Sphären sind ins Bild integriert: (1) Die Landschaft wird charakterisiert durch einen hackender Bergarbeiter. (2) In modischer Kleidung mit Allonge-Perücke – eher in eine städtische Kunstkammer passend – ein Gelehrter, der mit einem Stock auf die ausgegrabenen Fossilienfunde zeigt. (3) Hinten oben auf dem Berg die gelandete Arche Noah, das Symbol für das Erklärungsmuster der Fossilien.

Vgl. Urs B. Leu, Johann Jacob Scheuchzer. Pionier der Alpen und Klimaforschung, Zürich: Chronos 2022; S. 151ff.

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Kombinationen — 1: metadiegetisch (und ggf. mehrere Phasen)

Erstes Beispiel

Hecuba war die Gemahlin des Priamus, des Königs von Troja. Bei ihrer zweiten Schwangerschaft (1) träumte ihr, sie brächte eine Fackel zur Welt, die ganz Troja verzehrte. Das Kind war Paris, der vorne schon als (2) Wickelkind getragen wird. Im Hintergrund bereits (3) das brennende Troja.

[Guido de Columna, Historia destructionis Troiae] / Hans Mair von Nördlingen, Ein hübsche histori von der künngclichenn stat troy wie si zerstörett wartt, Straßburg: M. Schott 1489.
> http://diglib.hab.de/inkunabeln/277-hist-2f-2/start.htm

Zweites Beispiel

Abgebildet ist (rechts) die vielgestaltige Sphinx sowie – ohne dass es durch einen Rahmen oder sonst ein Gestaltungsmittel abgegrenzt ist – das von ihr gestellte Rätsel, welches Lebewesen zugleich zwei-, drei- und vierfüßig sei, und zwar – weil dieser abstrakte Satz graphisch nicht realisierbar ist – in Form der Lösung: Kind, Erwachsener und Greis.

Esopi appologi sive mythologi cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant, [Basel 1501]
> http://www.e-rara.ch/bau_1/content/pageview/1722608
> http://www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/esop/seite360.html

Vgl. Sebastian Brant, Fabeln. Carminum et fabularum additiones Sebastiani Brant; Sebastian Brants Ergänzungen zur Aesop-Ausgabe von 1501. Mit den Holzschnitten der Ausgabe von 1501 hrsg., übers. und mit einem Nachw. vers. von Bernd Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1999 (Arbeiten und Editionen zur mittleren deutschen Literatur N.F. 4).

Drittes Beispiel

Vergil erzählt in »Georgica« (IV.Buch) die Geschichte des mythischen Imkers Aristaeus, der wissen will, weshalb seine Bienenvölker gestorben sind. Auf Rat seiner Mutter Cyrene befragt Aristaeus den Seher Proteus und erfährt von ihm den Grund des Bienensterbens. — Proteus erzählt ihm dazu die Geschichte von Orpheus und Eurydike: Aristaeus hatte sich sich in Eurydike verliebt, die Frau des Sängers Orpheus, und sie verfolgt. Diese trat bei der Flucht vor ihm auf eine Schlange, an deren Biss sie starb und in die Unterwelt kam, von wo sie Orpheus beinahe wieder erretten konnte (vgl. auch Ovid, Metamorphosen 10,1-85). – Die Schwestern von Eurydike ließen darauf aus Rache die Bienen von Aristaeus sterben.

Vergil, Georgica / Vom Landbau, Lat./Dt, übersetzt [und kommentiert] von Otto Schönberger, 2.Aufl. Stuttgart 2010 (Reclams UB 638); IV, 281ff.

Publij Virgilij maronis opera cum quinque vulgatis commentariis […] expolitissimisque figuris atque imaginibus nuper per Sebastianum Brant superadditis […], Straßburg: Grüninger 1502.
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/vergil1502

Das Bild hat zwei Ebenen: (1) Die Geschichte von Aristaeus und Proteus. — (2) Die von Proteus erzählte Geschichte von Orpheus und Eurydike, die des Proteus Antwort auf Aristaeus’ Frage ist. Hierbei werden die beiden Phasen Anfang (2a Schlangenbiss) und der Tod des Orpheus (2b zerfetzer Leib) simultan dargestellt.

(1) Aristaeus zwingt Proteus zu erzählen, woran die Bienen gestorben sind:
(2b) Tod des Orpheus (zerfetzter Leib)
(2a) Die Schlange beißt Eurydike

Proteus wird mit vier Tierköpfen dargestellt, die für die Wandlungsfähigkeit (Verse 405ff.) stehen. Ferner Flammen, die aus seinem Mund kommen (409: aut acrem flammae sonitum dabit)

Unter Eurydike sichtbar die Schlange, die sie gebissen hat (hydrum non vidit 458).

Unter Orpheus und Eurydike allenfalls der brüllende Avernus (493), der Eurydike zur Unterwelt zurückruft, nachdem sich Orpheus gegen die Abmachung zu ihr umgedreht hat.

Links mit dem Seil in der Hand Aristaeus, der von seiner Mutter Cyrene an Proteus verwiesen wurde, den er fesseln soll (395ff.), was er tut (439), um ihn zur Weissagung zu zwingen.

Die verstreuten Körperteile links aussen – auf die Proteus mit den Händen zeigt – sind jene von Orpheus, der von kikonischen Weibern zerfetzt wurde (deshalb liegt vorne links auch die Harfe im Wasser (520ff: spretae Ciconum quo munere matres / inter sacra deum nocturnique orgia Bacchi / discerptum latos iuvenem sparsere per agros).

Literaturhinweis: Christoff Neumeister, Aristaeus und Orpheus im 4. Buch der Georgica, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft, Neue Folge, Band 8 (1982), S. 47–56.
> https://doi.org/10.11588/wja.1982.0.25788

Für dieses Beispiel mit wertvollen Hinweisen von Kathia Müller (UZH) 30.10.2019

Viertes Beispiel: Nathans Parabel

Erinnert sei zunächst an die Geschichte von David und Batseba aus dem 2. Buch Samuel, 11–12:

Eines Abends spaziert David auf dem flachen Dach seines Palasts . Da fällt sein Blick auf eine Frau, die im Hof eines Nachbarhauses ein Bad nimmt. David sendet Boten zu ihr und lässt sie holen. Batseba kommt, und er schläft mit ihr. David schickt ihren Ehemann Uria{s} in den Tod. (Uriasbrief) Der Herr aber verabscheute, was David getan hatte.

12,1 Der Herr sandte den Propheten Nathan zu David. Als Nathan vor dem König stand, sagte er zu ihm: »Ich muss dir etwas erzählen: Ein reicher und ein armer Mann lebten in derselben Stadt. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder, 3 der Arme aber besaß nichts außer einem kleinen Lamm, das er erworben hatte. Er versorgte es liebevoll und zog es zusammen mit seinen Kindern groß. Es durfte sogar aus seinem Teller essen und aus seinem Becher trinken, und nachts schlief es in seinen Armen. Es war für ihn wie eine Tochter. 4 Eines Tages bekam der reiche Mann Besuch. Er wollte seinem Gast, der einen weiten Weg hinter sich hatte, etwas zu essen anbieten. Aber er brachte es nicht über sich, eines seiner eigenen Schafe oder Rinder zu schlachten. Darum nahm er dem Armen sein einziges Lamm weg und bereitete es für seinen Besucher zu.« 5 David wurde vom Zorn gepackt und brauste auf: »Dieser Mann hat den Tod verdient!6 Dem Armen soll er vier Lämmer geben für das eine, das er ihm rücksichtslos weggenommen hat.« 7 Da sagte Nathan zu David: »Du bist dieser Mann!«
> https://www.bibleserver.com/HFA/2.Samuel12

In Illustrationen wird gezeigt: Nathan vor David / der Inhalt von Nathans Parabel:

Matthäus Merian zeigt den Armen und sein Lamm gleichsam inderselben Bildsphäre wie David und Nathan; im Hintergrund an Wandgeälden rechts oben: David und die badende Batseba; links oben: Urias fällt in der Schlacht.

hier im (seitenverkehrten) Nachdruck in: Afbeeldingen der voornaamste historien, soo van het Oude als Nieuwe Testament : door verscheide van de geestrykste en vermaardste tekenaars en plaatsnyders seer kunstig afgebeeld: […] Tot Amsteldam: uitgegeven door Nicolaus Visscher, met privilegie [Date of publication conjectured 1700]

Julis Schnorr von Carolsfeld (1794–1872) zeigt das in seiner Bilderbibel 1860 so:

Aussen realistisch in dieselbe Bildebene gebracht links der tote Urias; rechts Batseba mit ihrem Erstgeborenen. — Die Inhalte von Nathans Parabel sind in "Sprechblasen" dargestellt: rechts die Verführung von Batseba beim Brunnen / links der Kriegs-Tod von Urias – allerdings nicht sehr klug, denn Nathan erzählt je gerade nicht die Geschichte von Davids Vergehen, sondern camoufliert sie in der Parabel vom armen Mann und dem Lamm ...

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Kombinationen — 2: metadiegetisch und verschiedene Sphären

Erstes Beispiel:

Der Einsiedler Barlaam erzählt dem ihm zur Erziehung anvertrauten Prinzen Josaphat eine Geschichte (hier verkürzt, ausführlicher hier):

Barlaam erzählt, dass der Sünder einem Menschen gleiche, der – als er vor einem Einhorn floh – in einen Abgrund stürzte. Bei seinem Fall packte er mit den Händen einen kleinen Baum, der aus der Tiefe emporragte; und als er hinunterschaute, erblickte er am Fuße des Baumes einen scheusslichen Pfuhl und einen schrecklichen Drachen, der den Baum umschlängelte und mit offenem Rachen auf sein Herabfallen lauerte. […] Er erblickte einen Honigquell, der von den Ästen des Baumes herabtröpfelte, […] und überließ sich dem süßen Genuss.

Dann folgt eine allegorische Moralisation: Dise gruob aber ist dise welt die ist vol alles úbels vnd tötlicher strick. […] Der grausamist drack in der gruoben der bedeútet den erschrockenlichen bauch der helle der do begeret die zeenpfahen vnd ze verschlinden die das honig daz ist die süessigkeyt dieser welt setzen in irem willen vnd gemüet fúr die ewigen guotheyt vnd süessigkeyt.

Hie vahet an eyn gar loblich vnnd heylsam allen christglaubigen cronica. Sagend von eynem heyligen kúnig mit namen Josaphat [Augsburg] [ca. 1476]
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00025330/image_48

Der Holzschnitt zeigt rechts den Ort, wo Barlaam Josaphat unterweist – in der Mitte ist die Szene mit dem Sturz in den Abgrund gezeichnet, die ihm als Gleichnis dient – links ist die allegorische Auslegung dargestellt: der Höllenrachen packt ein dem süßen Leben hingegebenes Liebespaar.

Zweites Beispiel:

Das Titelbild zum Markus-Evangelium in einer Bibel zeigt (1) den schreibenden Evangelisten Markus — (2) mit seinem Attribut, dem (geflügelten) Löwen — (3) rechts das, was er im Evangelium erzählt: den auferstehenden Christus (mit einem schlafenden Wächter am Grab, was Matth. 28,13 erwähnt wird) — (4) im Hintergrund Samson/Simson, der die ausgehängten Torflügel von Gaza trägt (Richter 16,1–3), d.h. die (typologische) Präfiguration im Alten Testament: So überwindet Christus die Pforten der Vorhölle. — Der Schwan im Fluss ist wohl nur Dekoration.

Biblia germanica. Das ander teyl der Bibel, Augsburg: Johann Schönsperger, 9. November 1490.

Vgl. hierzu das Kapitel zur Typologie in der Bibelexegese

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Auch in wissenschaftlichen Werken werden Simultanbilder verwendet

Aufeinanderfolgende Phasen — Realismus/Modell — Aussen- / Innenansicht — u.a.m.

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Erstes Beispiel

Entwicklung des Krötenfrosches aus Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 6., gänzlich neubearbeitete u. vermehrte Auflage. 20 Bde. Bibliographisches Institut, Leipzig u. Wien 1902–08.

Zweites Beispiel

Étienne-Jules Marey (1830–1904) hatte eine Camera entwickelt, mit der er durch ein Uhrwerk im Verschlussmechanismus 12 Bilder pro Sekunde knipsen konnte. Einige dieser Studien stellte er in Einzelbildern nebeneinander zusammen, bei anderen überlagerte er die Phasen und stellte sie in einem einzigen Bild dar.

Hier die Darstellung eines laufenden Menschen, der schwarz gekleidet und dessen Arme und Beine mit weißen Streifen markiert wurden:

Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 131–132.
> http://www.zeno.org/nid/20006426689

Ein anderer Photograph, der dieselbe Technik entwickelte, war der Engländer Eadweard Muybridge (1830–1904), von dem viele Aufnahmen im WWWeb zu finden sind (nicht nur sich bewegende Pferde und Elefanten …).

Marcel Duchamp hat sich für sein Bild »Nu descendant un Escalier« (1912) sicherlich von solchen Photographien anregen lassen.

Drittes Beispiel: Durchzug eines Kometen 1556

Der Comet im Mertzen des Lvj. Jars zů Wienn in Osterreich erschinen

Zentralbibliothek Zürich, Wickiana PAS II 2/16
> https://www.e-manuscripta.ch/zuzneb/content/titleinfo/2725253

Viertes Beispiel: Gegenwart und Zukunft überlagert

10./11. Mai 1861 brannte ein großer Teil von Glarus ab. Die beiden Architekten Johann Kaspar Wolff und Bernhard Simon legten bereits nach wenigen Wochen ihre Planung vor, deren Basis ein Schachbrettmuster nach dem Vorbild von New York oder La Chaux-de-Fonds (1794) war. Auf dem Plan sind die neuen Häuserblocks in anderer Farbe dem alten Grundriss überlagert.

Plan des alten und neuen Glarus, gedruckt in der Topographischen Anstalt von J. Wurster und Comp. in Winterthur 1861.
> http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-34597

Fünftes Beispiel: realistische Darstellung — Modell

Die Taucher-Glocke wird einerseits "in situ" gezeigt, im Einsatz unter Wasser; anderseits auf der (von Engeln gehaltenen) Leinwand mit einer Darstellung eines technischen Modells (Fig. ii) , damit die Invention leicht zu begreifen ist; in Fig. iii wird dieses in einem Wasserglas untergetaucht.

E. G. Happelii gröste Denckwürdigkeiten dieser Welt: Oder so genannte Relationes curiosae : Worinn dargestellet, und Nach dem Probier-Stein der Vernunfft examiniret werden, Alle so Physicalische, alß Mathematische, Historische und andere merckwürdige Seltzamkeiten ... 4. Theil , Hamburg: Wiering 1689, S. 522.

Sechstes und siebentes Beispiel: Aussen- / Innansicht

Biologie. Diese Darstellungstechnik von Claude Perrault (1613–1688) wurde öfters nachgeahmt. Die Aussenansicht zeigt das Tier wie in der Natur zu sehen; die Innenansicht wie auf einem Blatt gezeichnet.

Description Anatomique d’un Caméleon

Claude Perrault, Memoires pour servir a l’histoire naturelle des animaux; A Paris, de l’Imprimerie Royale 1671.
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b7300360x

Technik: Ein Kalk-Brennofen

Die Errichtung des dazu gebräuchlichen Ofens, welchen man Fig. 1794 a) im Prospect; Fig. 1794 b) im Plan [Grundriss] , und Fig. 1794 c) im Durchschnitt abgebildet sieht, geschieht, nach der Beschreibung des Hrn. Reg. R. v. Brocke, im 4 Th. seiner Forstwiss. Lpz. 1775.

[Johann Georg Krünitz] Oekonomische Enzyklopädie oder allgemeines System der Land-, Haus- und Staats-Wirthschaft in alphabetischer Ordnung; Band 32 (1789), Tafel XXXII; Erklärung S. 725.

Vgl. dazu auch die Aufklappbilder hier.

Achtes Beispiel: Oberseite /Unterseite

Procyanea protosema. Die Figur zeigt in der oberen Hälfte den Unterschirm (Subumbrella) nach Entfernung der vier Mundarme; in der unteren Hälfte die Außenfläche des Oberschirms (Exumbrella) mit ihrem eigentümlichem Getäfel und den vorspringenden Sternleisten.

Ernst Haeckel (1834–1919), Kunstformen der Natur, Leipzig: Bibliographisches Institut 1899–1904; Tafel 98 / Figur 9.
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b525055842/f495.item

Neuntes Beispiel

Eine seltsame Zusammenstellung hat der Kupferstecher Johann Heinrich Lips (1758–1817) hier gewagt (hier zwei von vier Bildern:

Man verwundere sich nicht daß der Mohr in eine Gegend in Wallis, der Elephant, der Löwe und weisse Bär in Moustier Travers, der Strauß und Pelican in die Gegend von Pfeffers, und die Klapperschlange an den Wallenstadtersee gesetzt worden. Diese Gegenden sind freylich nicht das ursprüngliche Vaterland dieser Geschöpfe, allein die Absicht und der Zweck der beygefügten kleinern Küpfergen war, mit einer Naturgeschichte von Thieren zugleich einige schöne Scenen von unsrer Schweiz darzustellen.

An die sittsame und lernensbegierige Züricherische Jugend – Auf das Neujahr 1796. Aus der Conventstube auf der Chorherren. Achtzehntes Stück: J. J. Scheuchzer — Seite 6; Anmerkung **

Mehr Beispiele dazu im >>> Kapitel Bildvielheit

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Bildnerische Techniken, mit denen die Gegenstücke concomotiert werden

Für alle Techniken finden sich oben bereits Beispiele.

Eine der Sphären wird bildnerisch markiert

Die Träume des Pharaos (Genesis Kap. 41) von den sieben Kühen und sieben Ähren sind in ›Denkblasen‹ dargestllt:

Gantz neue Biblische Bilder-Ergötzung: Dem Alter und Der Jugend Zur Beschauung und Erbauung/ Aus dem alten \ neue[n] Testament angestellet und mitgetheilet: Von Johann Andreæ Endters Seel. Söhnen in Nürnberg [ca. 1700]

Hier wird die zweite Realitätsebene durch einen (natürlich erscheinenden) Wolkenkranz abgegrenzt. Daniel deuet den Traum von Nebukadnezar: eine Bildsäule, bestehend aus vier Materialien, welche vier Weltreiche bedeuten (Daniel 2, bes. 31–35; Text hier)

Afbeeldingen der voornaamste historien, soo van het Oude als Nieuwe Testament: door verscheide van de geestrykste en vermaardste tekenaars en plaatsnyders seer kunstig afgebeeld: … Tot Amsteldam uitgegeven door Nicolaus Visscher [Date of publication conjectured 1700; Kopie aus M.Merian s.unten]

Ein realistisches Detail trennt die beiden Sphären

Nochmals die Träume des Pharaos (Genesis Kap. 41) von den sieben Kühen und sieben Ähren, hier in einer Hans Holbein d. J. zugeschriebenen Version: Die beiden Bildsphären sind hier durch einen Vorhang getrennt:

Historiarum veteris Testamenti Icones ad vivum expressae, Lugdunum, 1538 (bereits früher bereitliegend; in Kopie in der Zürcher Bibel Foschauer 1531). Bildgröße 6 x 9 cm.

Links die Szene der Enthauptung von Johannes dem Täufer; durch die Säule getrennt die Szene, wo die Tochter von Herodias (›Salome‹) das Haupt ihrer Mutter präsentiert. — Matthäus 14,3ff. und Markus 6,17ff.

Israhel von Meckenem († 1503)

Die beiden Sphären werden nicht getrennt

Der Prophet Micha prohezeit (Kapitel 5,2), das aus Betlehem der Herrscher über Israel hervorgehen wird; das wurde auf Christus hin ausgelegt; diese Szene der Geburt Jesu in Betlehem ist ganz realistisch in der Landschaft zu sehen, als ereigne sich das Geschehen gerade dort.

Detail:

[Kupferstich von Matthaeus Merian (1593–1650)] Icones biblicæ præcipuas sacræ scripturæ historias eleganter & graphice repræsentantes. Biblische Figuren/ darinnen die Fürnembsten Historien/ in Heiliger und Göttlicher Schrifft begriffen/ Gründtlich und Geschichtsmessig entworffen/ zu Nutz und Belustigung Gottsförchtiger und Kunstverständiger Personen artig vorgebilget [sic] / an Tag gegeben durch Matthaeum Merian von Basel. Mit Versen vnd Reymen in dreyen Sprachen gezieret vnd erkläret, Franckfurt am Mayn 1625–1629.

Psalm 42,5 (Vulgata): Quare tristis es anima mea? (Warum bist du traurig, meine Seele?)

David (der als Sprecher dieses Psalms gilt; gekennzeichnet durch seine ›Harfe‹); daneben im typischen Gestus des Melancholischen das Symbol seiner Seele (ANIMA), realistisch, als würde sie dort auf dem Hügel sitzen.

Stuttgarter Psalter (entstanden 820/830) – Württembergische Landesbibliothek. Cod.bibl.fol.23
> http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz307047059

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Eine ikonographisches Problem:

Die vielen Äpfel beim Sündenfall — eine Simultandarstellung?

Die bildrelevanten Textabschnitte aus Genesis 2,25 und 3,1–7:

Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.

Die Schlange … sagte zu der Frau: »Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?«

Die Frau entgegnete: » … nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen … sonst werdet ihr sterben.«

Darauf sagte die Schlange zur Frau: »… Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.«

Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum … dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß;

sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.

Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.

Folgende Bild-Elemente sind erklärungsbedürftig:

• Der Apfel als Frucht (in der hebräischen Bibel ist von ›Frucht‹ die Rede: pǝrij) scheint zunächst erklärbar aus dem Wortspiel lateinisch mălum (mit kurzem a): das sittlich Schlechte / mālum (mit langem a): der Apfel. Die Kirchenväter lehnen diese Pseudo-Etymologie indessen ab; vgl. Hans-Günter Leder, Arbor Scientiae. Die Tradition vom paradiesischen Apfelbaum. In: Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft 52 (1961), S. 156–189.

• Die Schlange mit dem Apfel im Maul. Könnte das — zu einer Zeit, als man noch kaum Sprechblasen im Stil von Micky Maus verwendete (vgl. Labelling.html#Sprechblasen) — besagen: Die Schlange spricht vom Apfel?

• Weshalb weden diese Schlangen oft gekrönt dargestellt? Das könnte ein Hinweis auf ihr satanisches, imperiale Macht usurpierendes Wesen sein. (Aber auch in der paganen Naturkunde wurde diskutiert, ob Schlangen gekrönt ein könnten (Plinius, hist.nat. VIII, xiii, 35: cristati; vgl Ovid, met. IV,599).

• Adam und Eva haben die Scham oft durch Laub bedeckt. Das muss nicht zwingend als Antizipation von Genesis 3,7 (Feigenblätter) verstanden werden; es ist evtl. ein schamhaftes Verdecken der Pudenda, wie man es bei ›keuschen‹ Akt-Darstellungen oft findet (Botticellis Venus bedeckt sich mit dem eigenen Haupthaar):

Beatus von Liébana, El Escorial manuscrito del siglo X Biblioteca de San Lorenzo, Ms & II. 5 f° 18
> https://en.wikipedia.org/wiki/File:B_Escorial_18.jpg; vgl. unten bei Lucas Cranach und Dürer 1504.

[nicht genannter Holzschneider, aus:] Polydorus Vergilius Urbinas. Von den erfyndern der dingen […] Augspurg: Heynrich Steyner 1537.

••• Insbesondere die vielen Äpfel: Wieso sind in Sündenfall-Szenen oft mehrere ›Früchte der Erkenntnis‹ (meist als Äpfel) im Maul der Schlange und in den Händen von Adam und Eva dargestellt? Dass Eva mehrere Früchte gepflückt hätte, steht nicht explizit im Bibeltext; aber auch nicht, dass es éine Frucht gewesen sei:

Im hebräischen Text steht bei der Frucht die Partikel min, was mit engl. ›a part of‹ übersetzt wird (Strong #4480).

In der Vulgata steht Gen 3,6: et tulit de fructu illius, et comedit

Die Zürcher Bibel 1531 übersetzt: vnd brach der frücht ab/ vnd aß (›der Früchte‹ ist partitiver Genitiv: ›von den Früchten‹)

Luther 1545: Vnd nam von der Frucht / vnd aß

Ob bei den Bildern mit mehreren Früchten mehrere Phasen des Geschehens überlagert dargestellt werden?

Als ›Bande dessinée‹ ist die Geschichte visualisiert (Hinweise bei R.Hoffmannn, s. unten; S. 63ff.):

in der Grandval Bible (um 840), British Library, Additional MS 10546, fol. 5b
> http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Add_MS_10546
>direkt zum Bild auf Wikipedia

auf den sog. Bernwards-Türe des Doms von Hildesheim (Bronze, 1015)
> https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1e/Bernwardst%C3%BCr.jpg

im Kuppel-Mosaik in der West-Vorhalle von San Marco in Venedig (um 1200)
> https://de.wikipedia.org/wiki/Markusdom#/media/Datei:StMarkBasilicaCeilingView.jpg

im Codex Palatinus Latinus 871 (14./15.Jh.)

> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_871/0014/image

Hier eine nicht-chronologische Liste von Darstellungsweisen:

Textgetreu ist die Darstellung im Speculum humanae salvationis, Basel: Bernhard Richel 1476: Schlange ohne Apfel im Maul; nur 1 Apfel:

> https://doi.org/10.3931/e-rara-8656
> http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz492295905

• Ebenso bei Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553)

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Lucas_Cranach_d.%C3%84._-_Adam_und_Eva_(Courtauld_Institute_of_Art).jpg

• In Dürers Darstellung in der ›Kleinen Holzschnitt-Passion‹ (1511) und dann bei Virgil Solis (1563) hält die Schlange einen Apfel im Maul; nur dieser éine Apfel ist sichtbar; Eva greift danach. (Der Gestus Adams bei Dürer ist eher fragend-abweisend; bei V.Solis eher zustimmend.)

Passio unsers Herren Jesus Christi, auß den vier Evangelisten gezogen, mit schönen Figuren gezieret: auch mit schönen christlichen andechtigen Gebeten, einem yeden Christen sehr nützlich zu lesen, Nürnberg: Gryßler 1563.
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00077359?page=14

• Ebenso auf dem Bild von Caspar Luyken, gestochen von Ch. Weigel:

Historiae celebriores Veteris Testamenti iconibus repraesentatae et ad excitandas bonas meditationes selectis Epigrammatibus exornatae., Nürnberg, Chr. Weigel 1708.

• Ebenso bei Tizian (1490–1576) — Museo del Prado

•• In der Darstellung von Conrad Meyer (1618–1689) hat Eva den Apfel auf Anraten der Schlange vom Baum genommen und gibt ihn (in Gestalt eines zweiten Apfels) an Adam weiter.

Sterbensspiegel/ das ist sonnenklare Vorstellung menschlicher Nichtigkeit durch alle Ständ’ und Geschlechter: […] angefangen durch Ruodolffen Meyern S. von Zürich etc. jetz aber […] zu End gebracht und verlegt durch Conrad Meyern […] Getrukt zu Zürich/ Bey Johann Jacob Bodmer 1650.
> https://doi.org/10.3931/e-rara-9833

••• In der Historienbibel (um 1460) aus der Werkstatt von Diebold Lauber (Fol. 23v) ist der Sündenfall mit drei Früchten (Schlange – Eva – Adam) so dargestellt:

vnd nam ein apfel vnd as vnd da sú sach das si nit starp zuohant da gap si adam ouch

Solothurn, Zentralbibliothek, Cod. S II 43
> http://www.e-codices.unifr.ch/de/zbs/SII-0043/23v

•••• Im Fresko in der Bischofskapelle von Gurk sind sogar vier Äpfel abgebildet: die Schlange hält einen im Maul; Eva kostet einen; Eva reicht einen an Adam weiter; Adam führt ihn zum Mund.

> https://de.wikipedia.org/wiki/Dom_zu_Gurk#/media/Datei:Gurk_Bischofskapelle_Sündenfall.jpg

• Noch eine Komplikation: Dürers Kupferstich 1504:

> https://sammlung.staedelmuseum.de/de/werk/adam-und-eva-der-suendenfall

Sehr seltsam ist, dass Eva einen ›zweiten‹ Apfel vor Adam zu verstecken scheint. Vgl. hierzu die subtilen Überlegungen im Buch von Rainer Hoffmann, Im Paradies. Adam und Eva und der Sündenfall – Albrecht Dürers Darstellungen, Köln: Böhlau 2021. — Hier S. 25f. »Doppelmotiv der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«.

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Mehr zu diesem Thema auch im Kapitel Bildvielheit.

Auch einfache Strukturen von Prozessdiagrammen arbeiten mit Simultanbildern.

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Literaturhinweise zur "kalkulierten Zusammenstellung von ausgewählten Bildobjekten – Gemälden, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen – zu einer neuen, übergreifenden Einheit":

Ehrenfried Kluckert, Die Erzählformen des mittelalterlichen Simultanbildes, Diss. Tübingen 1974.

Jörg Jochen Berns, Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Marburg: Jonas Verlag 2000.

Felix Thürlemann, Mehr als ein Bild. Für eine Kunstgeschichte des "hyperimage", Paderborn: Fink 2013

Zusammenfassende Besprechung von Elke Anna Werner in: ArtHist.net, 28.11.2014.
> https://arthist.net/reviews/9015

Das Bild im Plural. mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart; hgg. David Ganz / Felix Thürlemann, Berlin: Reimer 2010.

Besprechung von Carsten Juwig in: KUNSTFORM 12 (2011), Nr. 7
> https://www.arthistoricum.net/kunstform/rezension/ausgabe/2011/7/19003/

Susanne Köbele / Coralie Rippl (Hgg.), Gleichzeitigkeit. Narrative Synchronisierungsmodelle in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit Würzburg: Känigshausen & Neumann 2015.

 

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Zusammengestellt von P.M., November 2019; immer wieder ergänzt, zuletzt im November 2023.

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