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Simultan gezeigte Szenen / Bildebenen / Logiken |
Dies ist ein Unterkapitel zum Kapitel über ➤➤➤ Bildvielheit••• Vor allem im 16. Jahrhundert werden bei der Visualisierung von narrativen Texten aufeinanderfolgende Szenen simultan in einem einzigen Bild dargestellt. ⬇ So werden Handlungszusammenhänge nicht zerrissen, sondern als zwingende Folge dargestellt. Interessant ist, welche narrativen Texte so illustriert werden und welche nicht (z.B. historische Texte wie Chroniken, die in früherer Zeit annalistisch angelegt waren und weniger Geschehenszusammenhänge schilderten). Auch in wissenschaftlichen Illustrationen kommen solche Bilder vor; vgl. hier unten. ••• Es gibt auch den Fall, wo nebeneinander präsentierte Bild-Elemente aus verschiedenen Sphären / Welten stammen. ⬇ ••• Ein Spezialfall sind Bilder, die auf derselben optischen Ebene Dinge visualisieren, die im Text auf zwei verschiedenen ("heterodiegetischen") Ebenen angeordnet sind: die Geschichte, in der ein Erzähler vorkommt – eine "metadiegetische" Geschichte, die er erzählt. ⬇ ••• Die Verfahren kommen auch in Kombination vor. ⬇ ••• Weitere verwandte Beispiele im Kapitel Prozessdiagramme. ••• Im ›Comic strip‹ / in der ›Bande dessinée‹ sind die Szenen durch Bilderrahmen voneinander getrennt, also nicht simultan dargestellt. Literaturhinweis: Jörg Jochen Berns, Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Marburg: Jonas Verlag 2000. |
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Simultan meint hier: anders als im Comic Strip (Bande dessinée), wo die Phasen des Geschehens Szene-für-Szene abgetrennt und nacheinander dargestellt werden. |
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Fabel-Erzählungen••• Von der Königswahl der Frösche Der Staat der Frösche, die gleichberechtigt nebeneinander leben, verwildert ob ihrer Zügellosigkeit. Sie bitten Zeus um einen König. Dieser wirft einen Balken in den Teich. Nach dem ersten Schrecken herrscht Ruhe. Dann werden die Frösche aber wieder aufmüpfig und bitten Zeus um einen besseren König. Er schickt ihnen die Wasserschlange bzw. den Storch, die/der ihnen den Garaus macht.
••• Fuchs und Storch laden einander ein Bei der Einladung setzt der Fuchs dem Storch die Speisen in einer flachen Schüssel vor, so dass dieser sie nicht essen kann. Bei der Einladung des Storchs setzt dieser dem Fuchs die Speisen in einem halsigen Gefäß vor. (Phaedrus I,26).
Jean de la Fontaine (1621–1695) erzählt diese Fabel auch. – Grandville (1803–1847) visualisiert die beiden Szenen so, dass er die eine Geschichte auf dem Tischtuch präsentiert:
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Bibelillustrationen: Sündenfall und Vertreibung aus dem ParadiesGenesis 3, Vers 6 und 23/24 (hier in der Luther-Übersetzung 1545) VND das Weib schawet an / das von dem Bawm gut zu essen were / vnd lieblich anzusehen / das ein lüstiger Bawm were / weil er klug mechte / Vnd nam von der Frucht / vnd ass / vnd gab jrem Man auch da von / Vnd er ass. DA lies jn Gott der HERR aus dem garten Eden / das er das Feld bawet / da von er genomen ist / Vnd treib Adam aus / vnd lagert fur den garten Eden den Cherubim mit einem blossen hawenden Schwert / zu bewaren den weg zu dem Bawm des Lebens.
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Bibelillustrationen: Kain und AbelGenesis 4,1–24: (hinten links im Bild:) Der Ackerbauer Kain (angeschrieben mit CAIM) opfert Gott Früchte, sein Bruder Abel, der Hirt, opfert Schafe. Darauf (mitte-rechts im Bild) erschlägt Kain Abel. (Oben:) Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist Abel, dein Bruder? (ganz rechts): Kain zieht fort.
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Bibelillustrationen: Abraham und IsaakGenesis 22 berichtet von der Erprobung Abrahams, der auf Geheiß Gottes seinen einzigen Sohn Isaak opfern soll. (rechts zu Vers 6) Abraham nahm das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. (links) Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. … 11 Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: […] 12 Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide!
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Bibelillustrationen: Samson und DelilaDamit Samson/Simson seine Stärke behalten kann, soll nie ein Schermesser an sein Haar gelangen. So besiegt er die Unterderücker Israels, die Philister, mehrmals. — Er verliebt sich in Dalila. Die Philister bestechen sie, damit sie Samson das Geheimnis seiner Unbezwingbarkeit entlockt. Wie er das Geheimnis verrät schneidet Delila dem Schlafenden die Haare ab und ruft die Philister herbei, die ihn blenden. — Wieder zu Kräften gekommen, bringt er den Tempel der Philister zum Einsturz, indem er sich gegen die Säulen stemmt. Mit den vielen Philistern kommt er selbst ums Leben. (Buch der Richter 16)
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Bibelillustrationen: IsebelHier handelt es sich nicht nur um zwei narrativ aufeinander folgende Szenen, sondern sogar um zwei Geschichten in unterschiedlichen Quellen: Isebel war die Ehefrau Ahabs, des Königs von Israel, eine Götzendienerin, die ihren Mann dazu aufstachelte, Böses gegen den Herrn zu tun. ... Als Ahab den Weinberg verlangte, den Nabot ihm zu verkaufen verweigerte, sorgte Isebel dafür, dass Nabot fälschlicherweise angeklagt und zu Tod gesteinigt wurde. Danach sagte sie ihrem Mann, er solle hingehen und sich den Weinberg aneignen. Der Prophet Elia sagt über Isebel voraus: ›Die Hunde sollen Isebel an der Vormauer von Jisreel fressen‹. (1. Kön 21,5–29). Als Jehu in die Stadt Jisreel kam, schaute Isebel – mit geschminktem Gesicht und geschmücktem Kopf – aus einem Fenster und verhöhnte ihn. Auf Jehus Frage hin, wer zu ihm halte, schauten drei Hofbeamte heraus. Er befahl, sie herunterzuwerfen. [oben im Bild] Sie warfen sie herunter, und ihr Blut spritzte an die Wand, und die Pferde zertraten sie. Als Jehu ihnen befahl, sie zu begraben, fanden sie nur noch ihren Schädel, ihre Füße und Hände [unten im Bild samt den sie auffressenden Hunden – aus der andren Bibelstelle!]. (2. Kön 9,7–37).
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Bibelillustrationen: TobiasIm (apokryphen) Buch Tobit (Vg. Liber Tobiae) wird erzählt: Tobit ist vom Kot von Vögeln, der ihm in die Augen gefallen ist, erblindet. (Tob 2,10f.) – Sein Sohn Tobias wird auf einer Reise vom Engel Rafaël begleitet. Auf dem Weg fängt Tobias einen Fisch, den er auf Anraten des Engels ausnimmt (Szene rechts in der Landschaft). Tobias heilt zuhause dann mit der Fischgalle die Blindheit des Vaters (Szene rechts im Haus).
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Bibelillustrationen: Jonas im großen FischJona(s) wird auf der Schiffsreise von den Seeleuten angeklagt, einen Sturm entfacht zu haben. Er schlägt vor, sich ins Meer werfen zu lassen. Das geschieht, und der Sturm hört auf. Jonas wird von einem großen Fisch verschlungen und nach drei Tagen ans Land ausgespien. Matthäus Merian (1593–1650) zeigt beide Szenen simultan:
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Antike Mythen: ArionGesta Romanorum, Hundertundachtundvierzigstes Capitel:
Gesta Romanorum, übers. Johann Georg Theodor Gräße, Leipzig 1905. Weitere, antike Stellen (ausführlicher) : Herodot, Historien I,23f. — Aulus Gellius, Noctes Atticae XVI,19. — Hygin, Fabulae 149. • Beispiel einer Illustration mit beiden Szenen simultan:
• Im Emblembuch von Alciato sind die Geizigen Thema; deshalb ist die Szene, wo Arion vom Schiff geworfen wird, im Vordergrund, während die Rettung durch den Delphin zurücktritt:
• Das Motiv ohne Doppelung der beiden Szenen in: Esopi appologi sive mythologi: cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant, Basel: Jacob <Wolff> von Pfortzheim, 1501. • Beim Petrarcameister hat Arion verschiedene Kopfbedeckungen und spielt auf verschiedenen Instrumenten: Von der Arzney bayder Glück, des guten und widerwertigen, Augsburg, 1532. 1.Buch, Kap.23 = Fol. XXVII verso |
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Metamorphosen-IllustrationenOvid beschreibt in den »Metamorphosen« I, Verse 438ff. dies: Nach der großen Flut säen Deucalion und Pyrrha Steine, aus denen ein neues Menschengeschlecht wird. Aus Feuchte und Wärme der Erde entstehen unzählige Arten von Lebewesen, darunter auch die Schlange Python, die von Apollon getötet wird. Wie Apollo den Cupido einen Bogen spannen sieht, prahlt er mit dieser Tat. Cupido wettet, dass sein Pfeil sogar den Apollo besiege. Er erörtert die Wirkung der beiden Pfeile mit der goldenen (die Liebe entzündenden) und der bleiernen (die Liebe verscheuchenden) Spitze und verschießt sie auf Apollo und Daphne. Apollo sieht Daphne und ist sofort von der Liebe zu ihr ergriffen. Daphne enteilt, in der Flucht erscheint sie noch anmutiger, Apoll wird dadurch noch mehr angetrieben, sie zu verfolgen. Die Nymphe bittet ihren Vater, den Flussgott Penëus, sie zu verwandeln. Sofort findet die Metamorphose zum Lorbeerbaum statt. Apoll umschmiegt den Baum und gelobt, dass er ihm geweiht sein soll als Ehrenzeichen der Helden und Dichter.
Ovid lässt in den »Metamorphosen« IV, 769–804 Perseus erzählen, wie er Medusa ihr schlangenumwundenes Haupt abgeschlagen hat: Ihr Blicke versteinerte alles was ihr begegnete; doch Perseus betrachtete sie in einem spiegelnden Schild, der ihre Blicke unschädlich machte, und konnte sie so töten. Aus dem Blut der Medusa entsprang das geflügelte Pferd Pegasus. (links im Bild) Met. IV, 663–764 erzählt Ovid, wie Perseus die an einen Felsen gekettete und einem Ungeheuer (Vers 715: draco) zum Fraß hingegebene Andromeda im Sturzflug tötet. (rechts im Bild)
Ovid, Geschichte von Philemon und Baucis, »Metamorphosen« VIII, Verse 618 – 725. Jupiter und Hermes besuchen eine Stadt; niemand gewährt ihnen Obdach. Einzig ein altes Ehepaar – Philemon (›der Liebende‹) und Baucis (›die Zärtliche‹) – bewirtet die Wanderer freundlich in ihrer ärmlichen Hütte. Die beiden erahnen am sich stets neu füllenden Weinkrug, dass ihre Gäste Götter sind und wollen ihnen ein Opfer darbringen; ihre einzige Gans. Das wehren die Götter aber ab. Die Götter wollen die üblen Nachbarn strafen und das gastfreundliche Paar belohnen. Sie begleiten die beiden auf eine Anhöhe zu einem Tempel, während die ganze sonstige Gegend im Sumpf versinkt. Philemon und Baucis wünschen sich, dort Priester zu werden. Die Götter verwandeln sie am Ende des Lebens in Bäume.
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Sammeldarstellungen zu antiken TextenIn der antiken Literatur gibt es verschiedene Aufstellungen der heroischen Taten von Herakles/Hercules – Gustav Schwab und die Wikipedia vereinfachen dies sträflich. (Präziser bei: https://de.wikisource.org/wiki/RE:Herakles) Boethius († 524) erwähnt in der »Consolatio Philosophiae« (Lib. IV, metr. 7) die Arbeiten des Hercules in folgendem Zusammenhang: Die personifizierte Philosophie erklärt dem im Gefängnis seine Hinrichtung erwartenden Boethius, dass das Wort Tugend (virtus) von Kraft (vires) herkomme, weil sie von Widerwärtigem nicht besiegt werden könne. Sowohl für den Weisen wie für den Helden bedeuten Schwierigkeiten Anregungen.
In vielen illustrierten Ausgaben von Ovids »Metamorphosen« ist jedem ›Buch‹ ein einziges ›Wimmelbild‹ beigegeben, hier als Beispiel nochmals die Taten des Hercules, die Ovid im 9.Buch, Verse 182ff. einstreut:
Auch die Gesänge von Vergils »Aeneis« werden mit solchen Bildern eingeleitet. Hier dasjenige zum 6. Buch (Unterweltsfahrt des Aeneas):
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Sammeldarstellung zu ExodusSolche Bilder gibt es selten auch in Bibeln. Hier ein ›Sammelbild‹ zum 2. Buch Moses aus einer Bibel Frankfurt: Balthasar Weydt 1702.
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St. Gallus in der LegendeWalahfrid Strabo († 849) schreibt in der Vita des heiligen Gallus (Kap. 11): Gallus und ein Gefährte [Hiltibold] kamen zur Steinach, einem kleinen Fluss, wo Gallus sich niederlassen will. Sie fangen dort Fische, braten sie am Feuer und essen sie. Nachts – Gallus betet, während Hiltibold schläft – kommt ein Bär vom Berg herab und frisst die Essensreste auf. Gallus sagt zu dem wilden Tier: »Bestie, ich befehle dir im Namen des Herrn: Hole ein Stück Holz und lege es ins Feuer.« Der Bär gehorcht. Gallus gibt ihm daraufhin aus seiner Tasche einen Laib Brot und heisst ihn, das Tal zu verlassen und auf den umliegenden Hügeln zu leben, ohne Vieh und Menschen zu schaden.
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NovelleBoccaccio (1313–1375) erzählt in »De claris mulieribus« (1361/1362) im 72. Kapitel: Nach dem Sieg des römischen Heers über die Gallograeci wurde auch die Gattin des Königs Drigiagon gefangengenommen. Als aber der gefangenen haubtmann die schöne vnd plüende jugent der Künigin vermerckt/ ward er in vnordenlich liebe entzündet, so dass er sie notzüchtigt. Die Frau sinnt auf Rache, und wie der Freikauf der Gefangenen geschieht, ordnet sie an, dass der Täter geköpft werden soll. Das geschieht, und wie sie ihrem Mann wieder begegnet, erzählt sie von ihrer Schmach und wirft ihm das abgeschlagene Haupt vor die Füße.
Literaturhinweise: Kristina Domanski, Lesarten des Ruhms. Johann Zainers Holzschnittillustrationen zu Giovanni Boccaccios "De mulieribus claris", Köln/Weimar: Böhlau 2007 (ATLAS. Bonner Beiträge Zur Kunstgeschichte, Bd. 2). Irena Dubois-Reymond / Wolfgang Augustyn, "Frauen, berühmte (Giovanni Boccaccio"), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. X (2010), Sp. 641–656; > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=81621 |
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Geschichtsschreibung: Romulus und RemusLivius berichtet in seiner Chronik »Ab urbe condita« von den Zwillingen Romulus und Remus, dass sie eine Stadt gründeten und erbauten. Weil Remus seinen Bruder wegen eines Befestigungsgrabens, den er überspringen kann, verspottete, wurde er vom erzürnten Romulus erschlagen. Der Verleger der deutschen Livius-Ausgabe 1557 stellt verschiedene Holzschnitte zu einem zusammen: oben einen zum Thema Städtebau; unten rechts die Szene eines Totschlags. Unten links: Im lat. Text sagt Romulus nach dem Totschlag: So geschehe es in Zukunft jedem, der meine Mauern überspringt! (ab urbe condita I, vii, 2: Sic deinde, quicumque alius transiliet moenia mea.) — In der deutschen Bearbeitung wird daraus ein Weiser, der eine andere Moral von der Geschicht verkündigt: Dabey uns am ersten zuverstehen geben würt/ das ein yegklich Reich nit wol ein ebengenossen erleiden mag.
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Geschichtsschreibung: Henry VIII.Eine üble Illustration enthält das Geschichtswerk von Johann Ludwig Gottfried (1584–1633). Im Vordergrund wird am 19. Mai 1536 Anne Boleyn enthauptet; im Hintergrund heiratet König Heinrich VIII. einen Tag später Jane Seymour.
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Dante zu Beginn des WegesDante (angeschrieben mit Banderolen, Tituli) erscheint drei Mal im selben Bild. Die Szenen beziehen sich auf Textteile des Canto primo des Inferno.
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Phasen mit BewertungenDie Lebensphasen von Napoleon sind in prägnanten Phasen gezeichnet: Corsischer Knabe – Militair Schüler – Lieutenant – General – Consul – Kaiser – Abschied aus Spanien – Schlittenfahrt aus Moskau – Lebewohl aus Deutschland – Ende. Das jeweilige "soziale Kapital" ist für jede Phase durch die Höhe der Treppe visualisiert.
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Tun-Ergehn-ZusammenhangDer Begriff stammt aus der Bibelwissenschaft, vgl. den Artikel hier. Erstes Beispiel Die Bestrafungs- bzw. Hinrichtungsinstrumente, die den Übeltätern bevorstehen, sind über ihren Häuptern gezeichnet, ähnlich wie die Helmzimier bei turnierenden Rittern. Die eine Sphäre: in der Gegenwart, wüstes Tun an der Tafel – die andere Sphäre: in der Zukunft, üble Folgen.
Zweites Beispiel Drei Männer spielen 1553 in Willisau bei Luzern Karten. Der erste schwört fräfentlich unverholen: »Verlür ich das spyl, so wolt ich Gott erstechen.« Er verliert, zückt seinen Dolch und wirft ihn nach oben; der verschwindet, und es fallen fünf Blutstropfen auf den Tisch; dann wird er vor den Augen der Mitspieler vom Teufel geholt. Die beiden andern können das Blut in einem Bach nicht vom Tisch abwaschen. Die durch das teuflische Getöse aufmerksam gewordenen Stadtbewohner wollen sie ins Gefängnis abführen. Auf dem Weg wird der eine der Spieler von Läusen angefallen, die ihn auffressen. Der dritte wird geköpft. Der in den Wickiana (Signatur: PAS II 2/27) überlieferte Holzschnitt zeigt die Todesarten der drei Spieler:
In der Reihe »Nova Reperta« — Zeichner: Jan van der Straet (1523–1605); Stich Jan Collaert (1566–1628) zugeschrieben; im Verlag von Philips Galle (1537–1612), Antwerpen um 1591 — wird die Entdeckung des Gujakholzes als Medikament gegen die Siphylis gefeiert. Die Siphylis hatte sich seit dem Sacco di Roma von 1527 als Superspreader-Event in der Alten Welt ausgebreitet. Ulrich von Hutten hatte sich in Leipzig oder auf den Wanderjahren in Italien mit Lues infiziert und glaubte, von Dekokten des Guajakholzes profitiert zu haben, was ihn 1519 zur Publikation von »De Guaiaci medicina sive morbo Gallico liber unus« anregte. Die herkömmliche Quecksilberkur hatte bei ihm schwere Vergiftungssymptome hervorgerufen.
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Simultanbild in wissenschaftlichen IllustrationenDie simultan dargestellten, aufeinander folgenden Phasen gehören hier nicht einer poetischen Erzählung an. Erstes Beispiel
Zweites Beispiel Étienne-Jules Marey (1830–1904) hatte eine Camera entwickelt, mit der er durch ein Uhrwerk im Verschlussmechanismus 12 Bilder pro Sekunde knipsen konnte. Einige dieser Studien stellte er in Einzelbildern nebeneinander zusammen, bei anderen überlagerte er die Phasen und stellte sie in einem einzigen Bild dar. Hier die Darstellung eines laufenden Menschen, der schwarz gekleidet und dessen Arme und Beine mit weißen Streifen markiert wurden:
Ein anderer Photograph, der dieselbe Technik entwickelte, war der Engländer Eadweard Muybridge (1830–1904), von dem viele Aufnahmen im WWWeb zu finden sind (nicht nur sich bewegende Pferde und Elefanten …). Marcel Duchamp hat sich für sein Bild »Nu descendant un Escalier« (1912) sicherlich von solchen Photographien anregen lassen. Drittes Beispiel: Durchzug eines Kometen 1556 Der Comet im Mertzen des Lvj. Jars zů Wienn in Osterreich erschinen Zentralbibliothek Zürich, Wickiana PAS II 2/16
Viertes Beispiel: Gegenwart und Zukunft überlagert 10./11. Mai 1861 brannte ein großer Teil von Glarus ab. Die beiden Architekten Johann Kaspar Wolff und Bernhard Simon legten bereits nach wenigen Wochen ihre Planung vor, deren Basis ein Schachbrettmuster nach dem Vorbild von New York oder La Chaux-de-Fonds (1794) war. Auf dem Plan sind die neuen Häuserblocks in anderer Farbe dem alten Grundriss überlagert.
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Vgl. auch das Unterkapitel zu den Bildern in Sprechblasen |
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Erzähler und Erzähltes simultanErstes Beispiel Die als Kapitel-Anfänge dienenden Bilder im »{H}ortus Sanitatis« (Mainz: Jacob Meydenbach 1491) sind so organisiert: Gelehrte disputieren miteinander über den Gegenstand, der jetzt dann behandelt wird. (Streng genommen sind es nicht Erzähler und Erzähltes, aber die Zusammen-Schau von zwei Ebenen ist logisch ebenso geartet.) Zweites Beispiel Das Titelbild der Aesop-Ausgabe Esopi appologi sive mythologi cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant, [Basel: Phortzheim 1501] zeigt den Fabelerzähler (Aesop wird in seiner fiktiven Vita als missgestaltig geschildert) sowie Pictogramme, die auf die von ihm erzählten Fabeln verweisen: Diese Technik ist in Aesop-Ausgaben beliebt. Während der Holzschnitt des frühen 16. Jh. die Ebenen darstellerisch trennt, befindet sich im 17.Jh. der Dichter gleichsam mitten unter den Tieren seiner Texte:
Die Ausdrücke ›Superimago‹ und ›Subimago‹ verwendet Jörg Jochen Berns bei der Besprechung des Titelbilds der Aesopausgabe von Zainer in Ulm um 1476/1477 in seinem Buch Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Marburg: Jonas Verlag 2000. S.48–55. Drittes Beispiel Matthäus 13,24ff.: Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. (Der Text unter dem Bild sagt: des menschen feind – gemeint ist der Teufel, vgl. die Füße des Unkraut Säenden!)
Viertes Beispiel Im Matthäus-Evangelium 3,1ff. steht die Geschichte von Johannes dem Täufer. Das Bild zeigt links vorne den predigenden Johannes, rechts die Predigthörer*innen — rechts im Hintergrund aus dem Inhalt der Predigt: das Fällen und Verbrennen von Bäumen — links im Hintergrund unter der Taube des hl. Geists die Taufe im Jordan. (Insofern gehört dieses Bild auch in die erste Rubrik = simultane Darstellung historischer Szenen).
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Realität und VisionErstes Beispiel Im zweiten Makkabäer-Buch wird berichtet, dass den Truppen eine englische Lichtgestalt vorausreitet, um sie zu ermutigen. DA aber Maccabeus vnd die seinen höreten/ das er den Flecken stürmet/ baten sie vnd der gantze Hauff mit süfftzen vnd threnen/ den HERRN/ Das er einen guten Engel senden wolte/ der Jsrael hülffe. Vnd Maccabeus war der erste der sich rüstet/ vnd vermanet die andern/ Das sie sich mit jm wogen vnd jren Brüdern helffen wolten/ Vnd zogen also mit einander aus. Als bald sie aber fur die stad Jerusalem hin aus kamen/ Erschiene jnen Einer zu Ross in einem weissen kleide/ vnd güldenem Harnisch/ vnd zoch fur jnen her. Da lobten sie alle den barmhertzigen Gott/ vnd wurden keck/ das sie jre Feinde schlagen wolten/ wenn sie gleich die wildesten Thier were / vnd hetten eiserne mauren fur sich. Mit einem solchen mut reisete der gantze Zeug fort/sampt jrem Gehülffen/ den jnen der barmhertzige Gott von Himel gesand hatte/ Vnd grieffen jre Feinde an / wie die Lewen / vnd erschlugen jr eilff tausent zu fuss / vnd sechzehen hundert zu Ross. Das Bild zeigt miteinander die Krieger als auch den Engel, der ihnen (ihnen!) erscheint.
Zweites Beispiel Eine um das Jahr 1000 entstandene Handschrift der Staatsbibliothek Bamberg (Msc. Bibl. 22) zeigt die Szene der Vision des Nebukadnezar (Buch Daniel 2,31–35) von den vier Weltreichen, die Daniel dann auslegt. (Mehr dazu auch hier.)
Drittes Beispiel Genesis 28,11 steht: Jakob kam an einen bestimmten Ort und übernachtete dort, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. Da hatte er einen Traum: Siehe, eine Leiter stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. Die Visualisierung muss mit zwei Ebenen rechnen: (a) die Geschichte von Jakob und (b) das, was Jakob in seiner Vision sieht: die Himmelsleiter. In der Darstellung der Lübecker Bibel 1494 sind (a) und (b) visuell nicht auseinandergehalten; es sieht beinahe so aus, als sei die Leiter in Jakobs Brustkorb gerammt:
Dieser Illustrator macht dadurch, dass er die Leiter wolken-umhüllt zeigt, deutlich, dass es sich um eine Vision handelt:
Viertes Beispiel In Saadis »Golestan« (13. Jh. u.Z.) wird erzählt, dass ein Derwisch im Traum sieht, daß ein König im Paradieß/ und ein Derwisch in der Höllen saß/ über welches er sich nicht wenig verwunderte. Man gibt ihm zu verstehen: Der König ist wegen seiner Liebe zu den Derwischen im Paradiese, und der Derwisch ist wegen seines Umgangs mit den Königen in der Hölle.
Fünftes Beispiel
Sechstes Beispiel Die Gregorsmesse. Papst Gregor I. zelebriert die Messe. Das Mysterium der Transsubstantiation von Brot und Wein in Leib und Blut Christi wird so dargestellt, dass der aus dem Sarg Auferstehende sowie einige der Leidenswerkzeuge realistisch abgebildet sind bzw. bei diesem Wunder wirklich zu sehen waren (ein Jesus Verspottender, die Dornenkrone, der Hammer zur Annagelung, Würfel der um Jesu Kleider würfeldden Grabwächter, der Hahn u.a.m.)
Siebentes Beispiel Sigmund Freud zitiert in der »Traumdeutung« einen Comic strip: Der Traum eines Knaben, der urinieren muss; er träumt von einem Spaziergang entlang eines Flusses, wobei er den Reiz in einen immer mächtiger werdenden Wasserstrom übersetzt. Erst das letzte Bild, welches das Erwachen der Bonne infolge des Geschreis des Kindes enthält, zeigt uns, daß die früheren sieben die Phasen eines Traumes darstellen.
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Diesseits und JenseitsErstes Beispiel In Genesis 4,1–24 wird die Geschichte von Kain und Abel erzählt: ES begab sich aber nach etlichen tagen / das Kain dem HERRN Opffer bracht von den Früchten des feldes/ Vnd Abel bracht auch von den Erstlingen seiner Herde vnd von jrem fetten. Vnd der HERR sahe gnediglich an Abel vnd sein Opffer/ Aber Kain vnd sein Opffer sahe er nicht gnediglich an. (Luther-Übersetzung 1545 > http://www.zeno.org/nid/2000531979X) Der Illustrator Johann Teufel zeigt unten im Vordergrund die Szenen mit den beiden Opfernden Kain und Abel – oben – die Sphäre wird durch ein Wolkenband optisch abgegrenzt – GOtt, der sich zu Abel wendet und einen Lichtstrahl zu ihm sendet.
Zweites Beispiel Das Lukasevangelium 16,19ff. erzählt die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus:
Drittes Beispiel Auf den Planetenbildern im Hausbuch der Grafen von Waldburg-Wolfegg-Waldsee (zwischen 1475 und 1500) werden im oberen Bildbereich die Planetengötter und -Göttinnen gezeigt; daneben die dominierenden Sternbilder (›Häuser‹) als Pictogramme. Im unteren Bildbereich sind die Planetenkinder dargestellt, d.h. nach astrologischer Vorstellung die Charaktertypen der durch die Gottheiten beeinflussten Menschen und ihre Tätigkeiten.
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Der Imaginiernde und das von ihm ImaginierteDer Petrarcameister zeigt zum Thema Von der gedechtnus einen Gelehrten, der sich anhand von mnemotechnischen Hilfs-Bildern sich etwas (eine Rede z.B.) einprägt; im Kontrast dazu eine weinende Frau, die von einem Buch auf dem Kopf bedrückt wird.
Literaturhinweise: Ludwig Volkmann, Ars memorativa, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Neue Folge, Band 3, Wien 1929. Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber u.a.: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400–1700, (Frühe Neuzeit 15), Tübingen: Niemeyer 1993. |
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Dieselbe Fabel in zwei WeltenJean de la Fontaine (1621–1695) doppelt die Fabel von Phaedrus (III,12): Bei ihm ist es ist nicht nur Le Coq et la Perle sondern auch ein Mensch, der sich so benimmt. Grandville (1803–1847) visualisiert die beiden Szenen so, dass er die Tierfabel als Bild im Bild zeigt.
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Kombinationen — 1: metadiegetisch und mehrere PhasenErstes Beispiel Hecuba war die Gemahlin des Priamus, des Königs von Troja. Bei ihrer zweiten Schwangerschaft (1) träumte ihr, sie brächte eine Fackel zur Welt, die ganz Troja verzehrte. Das Kind war Paris, der vorne schon als (2) Wickelkind getragen wird. Im Hintergrund bereits (3) das brennende Troja.
Zweites Beispiel Abgebildet ist (rechts) die vielgestaltige Sphinx sowie – ohne dass es durch einen Rahmen oder sonst ein Gestaltungsmittel abgegrenzt ist – das von ihr gestellte Rätsel, welches Lebewesen zugleich zwei-, drei- und vierfüßig sei, und zwar – weil dieser abstrakte Satz graphisch nicht realisierbar ist – in Form der Lösung: Kind, Erwachsener und Greis.
Drittes Beispiel Vergil erzählt in »Georgica« (IV.Buch) die Geschichte des mythischen Imkers Aristaeus, der wissen will, weshalb seine Bienenvölker gestorben sind. Auf Rat seiner Mutter Cyrene befragt Aristaeus den Seher Proteus und erfährt von ihm den Grund des Bienensterbens. — Proteus erzählt ihm dazu die Geschichte von Orpheus und Eurydike: Aristaeus hatte sich sich in Eurydike verliebt, die Frau des Sängers Orpheus, und sie verfolgt. Diese trat bei der Flucht vor ihm auf eine Schlange, an deren Biss sie starb und in die Unterwelt kam, von wo sie Orpheus beinahe wieder erretten konnte (vgl. auch Ovid, Metamorphosen 10,1-85). – Die Schwestern von Eurydike ließen darauf aus Rache die Bienen von Aristaeus sterben. Vergil, Georgica / Vom Landbau, Lat./Dt, übersetzt [und kommentiert] von Otto Schönberger, 2.Aufl. Stuttgart 2010 (Reclams UB 638); IV, 281ff.
Das Bild hat zwei Ebenen: (1) Die Geschichte von Aristaeus und Proteus. — (2) Die von Proteus erzählte Geschichte von Orpheus und Eurydike, die des Proteus Antwort auf Aristaeus’ Frage ist. Hierbei werden die beiden Phasen Anfang (Schlangenbiss) und der Tod des Orpheus (zerfetzer Leib) simultan dargestellt.
Literaturhinweis: Christoff Neumeister, Aristaeus und Orpheus im 4. Buch der Georgica, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft, Neue Folge, Band 8 (1982), S. 47–56. Für dieses Beispiel mit wertvollen Hinweisen von Kathia Müller (UZH) 30.10.2019 |
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Kombinationen — 2: metadiegetisch und verschiedene SphärenErstes Beispiel: Der Einsiedler Barlaam erzählt dem ihm zur Erziehung anvertrauten Prinzen Josaphat eine Geschichte (hier verkürzt, ausführlicher hier): Barlaam erzählt, dass der Sünder einem Menschen gleiche, der – als er vor einem Einhorn floh – in einen Abgrund stürzte. Bei seinem Fall packte er mit den Händen einen kleinen Baum, der aus der Tiefe emporragte; und als er hinunterschaute, erblickte er am Fuße des Baumes einen scheusslichen Pfuhl und einen schrecklichen Drachen, der den Baum umschlängelte und mit offenem Rachen auf sein Herabfallen lauerte. […] Er erblickte einen Honigquell, der von den Ästen des Baumes herabtröpfelte, […] und überließ sich dem süßen Genuss. Dann folgt eine allegorische Moralisation: Dise gruob aber ist dise welt die ist vol alles úbels vnd tötlicher strick. […] Der grausamist drack in der gruoben der bedeútet den erschrockenlichen bauch der helle der do begeret die zeenpfahen vnd ze verschlinden die das honig daz ist die süessigkeyt dieser welt setzen in irem willen vnd gemüet fúr die ewigen guotheyt vnd süessigkeyt.
Zweites Beispiel: Das Titelbild zum Markus-Evangelium in einer Bibel zeigt (1) den schreibenden Evangelisten Markus — (2) mit seinem Attribut, dem (geflügelten) Löwen — (3) rechts das, was er im Evangelium erzählt: den auferstehenden Christus (mit einem schlafenden Wächter am Grab, was Matth. 28,13 erwähnt wird) — (4) im Hintergrund Samson, der die ausgehängten Torflügel von Gaza trägt (Richter 16,1–3), d.h. die (typologische) Präfiguration im Alten Testament: So überwindet Christus die Pforten der Vorhölle. — Der Schwan im Fluss ist wohl nur Dekoration.
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Mehr zu diesem Thema im Kapitel Bildvielheit. Auch einfache Strukturen von Prozessdiagrammen arbeiten mit Simultanbildern. ——————— Literaturhinweise zur "kalkulierten Zusammenstellung von ausgewählten Bildobjekten – Gemälden, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen – zu einer neuen, übergreifenden Einheit": • Felix Thürlemann, Mehr als ein Bild. Für eine Kunstgeschichte des "hyperimage", Paderborn: Fink 2013
• Das Bild im Plural. mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart; hgg. David Ganz / Felix Thürlemann, Berlin: Reimer 2010.
——————— Zusammengestellt von P.M., November 2019; ergänzt April 2020, ……, Januar 2021. |
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