Fiktives und Faktisches in der alten Zoologie |
Monströses und Empirisches in der frühneuzeitlichen ZoologieDiese Webseite basiert auf dem Aufsatz von Paul Michel, »Monströses in der frühneuzeitlichen Zoologie«, in: Monster. Fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik, Bearb. von Peggy Große, G. Ulrich Großmann, Johannes Pommeranz. Begleitband zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum vom 7. Mai bis 6. September 2015, Nürnberg 2015, S. 47–59. (Das Buch ist ausverkauft.) Übersicht: ▶ Zwei Zugangsweisen zu ›paradoxen‹ Lebewesen ▶ Leitvorstellungen und Schlüsselbegriffe: Neugierde, ›historia‹, Allegorese, Physikotheologie ▶ Büchergelehrsamkeit, Correspondentz und Observation. Wie zoologische Werke zustande kamen ▶ Unzulängliche Klassifikation ▶ Migranten zwischen den literarischen Gattungen ▶ Argumentationsweisen der Kritik
▶ Faktizität oder Fiktivität? ▶ Literaturangaben: Quellen / Forschungen |
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Zwei Zugangsweisen zu ›paradoxen‹ Lebewesen• Versetzen Sie sich bitte in die Lage von Dr. George Shaw, Kurator am British Museum. Sie bekommen 1789 vom Gouverneur von New South Wales den getrockneten Balg und einige Zeichnungen eines Tiers zugesandt, das den Leib und Schwanz eines Bibers hat, aber die Vorder-Füße und den Schnabel einer Ente.
Würden Sie aufgrund Ihrer zoologischen Bildung (Linné klassifiziert Vögel und davon deutlich unterschieden Säugetiere) nicht auch vermuten: at first view it naturally exites the idea of some deceptive preparation by artificial means – on a subject so extraordinary as the present, a degree of scepticism is not only pardonable but laudable?
Was tun? Sie inspizieren das Mönsterchen und findet keine Nähte zwischen den nicht zusammenpassenden Gliedmaßen. Sobald man zu einem zweiten Exemplar kommt, schickt es das Museum einem berühmten Anatomen, dem in Göttingen lehrenden Johann Friedrich Blumenbach (Mitglied der Royal Society), der das abentheuerliche Geschöpf seziert, keine Vorbehalte hat und im stark innervierten Schnabel ein Tastorgan vermutet. Alsbald darf das Ornithorhynchus paradoxus getaufte Tier (dt. Schnabeltier) wirklich existieren. 1884 erbringt dann William H. Caldwell vor Ort den Beweis für eine weitere Monstrosität: das Tier legt Eier und säugt die Jungen.
• Stellen Sie sich jetzt bitte vor, Sie seien der weitherum berühmte Dr. Conrad Gessner in Zürich und bekommen um 1530 von einem Maler das Bild eines im illyrischen Meer gefangenen Wesens, das den Oberkörper eines Menschen und einen Fischleib hat.
Als Universalgelehrter assoziieren Sie sofort den Triton der Mythologie und suchen nach Stellen bei antiken Schriftstellern, wo so ein Meermann vorkommt; da finden sich bei Aelian, Plinius, Pausanias etliche Beschreibungen. Weil das Monstrum auf dem Bild Hörner hat, denken Sie auch an Pan und da erinnern Sie sich an die von Plutarch überlieferte Geschichte:
Ist das nicht ein vortrefflicher Beweis dafür, dass es dieses Wesen Pan gibt? |
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Leitvorstellungen und Schlüsselbegriffe: Neugierde, ›historia‹, Allegorese, PhysikotheologieWas als monströs oder paradox gelten soll, hängt vom je verschiedenen Vorverständnis der Menschen ab. Ein uns begegnendes Wesen (Mensch, Tier, Pflanze) gilt dann als monströs, wenn es von einer alltäglichen und kulturell eingeübten Normvorstellung abweicht und dennoch als faktische oder psychische Realität akzeptiert werden muss. Für Kinder oder Menschen, deren Normen nicht stark fixiert sind, können Wesen als nicht-monströs gelten, die den punkto Normerwartungen Eingeübten als Monstrum vorkommen. (Wenn es, wie Konrad Lorenz einmal formulierte: »für den Forscher ein guter Morgensport ist, täglich vor dem Frühstück eine Lieblingshypothese einzustampfen«, dann sollten eigentlich den Naturforschern prima vista keine Monstren begegnen, weil ihr Blick offen ist für Unerwartetes.) Neugierde (lat. curiositas) ist unter Naturwissenschaftlern seit der Antike eine Tugend. Das Wort curiosus bedeutet, bezogen auf die Haltung eines Menschen ›aufmerksam, interessiert, wissbegierig, offen für Ungesichertes‹, bezogen auf die damit erkundete Sache ›eigenartig, merkwürdig, seltsam, sonderbar, ausgefallen‹. Cicero schreibt einmal (de natura Deorum I, ¶ 97):
In der »Encyclopédie« heißt es im Artikel Curiosité (tome IV, 1754):
Die Suche nach Unbekanntem hat den Sammeleifer der Forscher beflügelt. Das 16. Jh., das 17. und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Epochen der großen Sammlungen: Zitate aus den verehrten antiken Schriftstellern wurden in Büchern zusammengestellt, Naturalien und Artefakte in Museen Kuriositätenkammern. Das Wort curios kam in Büchertiteln unzählige Male vor.
Der Curiose sammelt zunächst wissbegierig; unter seinen Exponaten wünscht er sich Curioses; kritisches Ausscheiden vertagt er meist.
In den Werktiteln der älteren Tierkunde seit Aristoteles findet sich immer wieder der Begriff historia: »Historia Naturalis«; »Historiæ animalium»; »The history of four-footed beasts; »Histoire naturelle«; »Naturgeschichte und Abbildungen der Säugethiere«. Das Wort darf man nicht unbesehen mit dem modernen Wort ›Geschichte(n)‹ übersetzen; es stammt von griechisch historeo ›erforschen, erkunden, beobachten, in Erfahrung bringen, das Erforschte berichten‹. Historia meint den Bericht über Erfahrungen, Aufzeichnung unverbundener Tatsachenwahrheiten (im Gegensatz zu einem System kausal begründeter Wahrheiten).
In dieser Tradition steht die ältere Tierkunde. Ihr – die Grenze zur moderneren Zoologie ist chronologisch nicht scharf bestimmbar , aber das Gesagte ist gerade ein Wesensmerkmal – ging es nicht darum, neue Erkenntnisse zu gewinnen, sondern um die Verwaltung und das Bereitstellen von vorhandenem Wissen, egal, ob dieses aus der Antike stammte oder aus jüngsten Berichten. (Scharfsinnige Autoren wie Conrad Gessner haben immerhin miteinander in Widerspruch stehende Aussagen kritisch gegeneinander abgewogen.) Das ist kein Unvermögen, sondern dahinter steht das Konzept historia. Bei der Frage, was die Erkundung von Eigenschaften einzelner Tiere angeregt hat, müssen noch zwei spezifisch dem Christentum innewohnende Faktoren bedacht werden. (A) Die Auslegung der Heiligen Schrift und die Anreicherung der Predigt funktionierte von der Spätantike bis ins 17. Jahrhundert nach dem Prinzip der Allegorese. Die Allegorese zergliedert ein in der Bibel oder in der Schöpfung vorkommendes Ding (Steine, Pflanzen, Tiere und andere Naturerscheinungen) nach seinen Eigenschaften, von denen aus der Ausleger den Sprung in die ›eigentlich gemeinte‹ geistige Welt bewerkstelligen kann.
Die poetische Verschlüsselung eines abstrakten Gedankens in einem konkreten Bild nennen wir ›Allegorie‹, das Decodieren eines konkreten Bildes auf einen abstrakten Gedanken hin nennt man mit einem modernen Fachterminus ›Allegorese‹. Mittels Allegorese wird aus einer anschaulichen Schilderung der vermutete ›Hintersinn‹ des Bibelworts heraus-interpretiert (oder meist: ihm unterlegt). Die Eigenschaften des auszulegenden Dings haben die Ausleger freilich nicht durch Betrachtung der Natur gewonnen, sondern aus alten Enzyklopädien abgeschrieben. Das Verfahren funktioniert besonders gut bei monströsen Wesen, die beispielsweise als Personifikation des Lasters aufgefasst und Glied-um-Glied in die religiöse Welt übertragen (und so gleichsam entsorgt) werden. (B) Das Denkmodell der Physikotheologie führt zu einer liebevollen Versenkung in die Welt der Erscheinungen. Die sinnlich erscheinende Welt (der Wuchs der Pflanzen, der Instinkt der Tiere, die Anatomie des Menschen) ist erstaunlich gut funktionsfähig und zweckmäßig eingerichtet; sie ist – für jemand, der an die Schöpfung der Natur durch Gott glaubt – ein vernünftiger Beweisgrund für die Existenz Gottes bzw. Anlass, um seine Allmacht, Weisheit und Güte zu erkennen und Anlass für sein Lob und die Liebe zu ihm. Ein guter Teil der modernen Biologie verdankt ihren Impetus dem physikotheologischen Interesse; als Beispiel seien die Forschungen von Jan Swammerdam (1637–1680) genannt. Hier ist für Phantastisches kein Platz – der Blick durchs Mikroskop auf die Larve eines Kuhkäfers zeigt indessen etwas ziemlich Monströses:
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Büchergelehrsamkeit, Correspondentz und Observation. Wie zoologische Werke zustande kamenÜber die einheimischen Tiere wussten diejenigen, die mit ihnen umgingen, immer recht gut Bescheid. Das zeigen die Abhandlungen über Haustiere, etwa Vergils »Georgica« oder die Hausväterbücher des 17./18. Jahrhunderts, oder die Jagdtraktate, allen voran »de arte venandi cum avibus« von Kaiser Friedrich II. (1194–1250). Wir müssen uns Rechenschaft geben, wie das Wissen über exotische Tiere zustande kam, bevor ausgebildete Zoologen in fremde Gebiete reisten. Den Autoren kamen nur in seltenen Fällen lebende Tiere vor Augen; sie schöpften ihre Kenntnisse aus älteren Büchern oder aus Berichten von Reisenden. Schien ein Bericht unglaubwürdig, so konnten sie ihn nicht durch empirische Anschauung falsifizieren. Plinius (der Ältere; ca. 23/24 – 79) beschreibt – woher auch immer er das weiß – wie die Tier-Enzyklopädie des Aristoteles zustande gekommen sei: Alexander der Große, von der Begierde entflammt, die Natur der Tiere zu erkennen, beauftragte Aristoteles mit diesen Forschungen, und einige tausend Personen in ganz Asien und Griechenland, die sich alle durch Jagd, Vogelfang und Fischerei ernährten und Tiergärten, Herden, Bienenstöcke, Fischteiche und Vogelhäuser zu besorgen hatten, erhielten Befehl, seinen Wünschen zu entsprechen, damit kein Lebewesen unbekannt bleibe. Nach ihren Berichten verfasste Aristoteles nahezu fünfzig bedeutende Bücher über Tiere. (Naturalis historiae Liber VIII, xvii, 44) Conrad Gessner (1516–1565) zitiert die Plinius-Anekdote ausführlich im Widmungsbrief seiner »Historia Animalium« und hängt – wohl gerichtet an die knausrige Zürcher Obrigkeit – Überlegungen an zum Geld-Betrag, den der König dem Aristoteles zukommen ließ. In der Præfatio ad lectorem charakterisiert er seine Arbeitsweise so: Teils liest er am Schreibtisch Bücher und macht Auszüge; dem fügt er eigene Beobachtungen hinzu (his plurimas observationes proprias adieci); außerdem befragt er auf dem Korrespondenzweg Sachkundige aus ganz Europa: Gelehrte, aber auch Reisende, Jäger, Fischer, Vogelfänger, Hirten. (C. Gessner, De Quadrupedibus Uiuiparis, Zürich 1551, Epistola Nuncupatoria; englische Übersetzung bei C. Gmelig-Nijboer (1977), S. 145ff.) Eine Zusammenstellung der Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung findet sich bei Michel Bernhard Valentini (1657–1729), der eine Enzyklopädie frembder Naturalien zusammengestellt hat. Er schreibt in seinem »Ost-Indianische Send-Schreiben« im Eingang:
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Unzulängliche KlassifikationAristoteles (384–322) hatte das Tierreich – intuitiv und weitgehend auf das äußere Erscheinungsbild der Tiere gestützt – folgendermaßen systematisiert: Bei den Bluttieren (das sind die Tiere mit rotem Blut im Gegensatz zu den Insekten und Mollusken) unterscheidet er vereinfacht gesagt: Säuger (mit Haaren), Vögel (mit Federn), Reptilien (mit Schildschuppen), Fische (mit Fischschuppen). Aristoteles, Tierkunde. Übersetzt von Paul Gohlke, Paderborn: Schöningh 1949 (Aristoteles: Die Lehrschriften Bd. 8,1) Spätere Autoren unterscheiden etwas anders: lebendgebärende Vierfüßer und eierlegende (Reptilien). Innerhalb der Großgruppen wurde nicht genauer unterteilt; das Werk von Plinius lässt hier keine Ordnung erkennen; ebensowenig Isidor von Sevilla in den »Etymologien« und Hrabanus Maurus in seiner »de universo« genannten Enzyklopädie (9. Jahrhundert). Bartholomaeus Anglicus in »De proprietatibus rerum« (nach 1235), Thomas von Cantimpré in »Liber de natura rerum« (1225/1241) ordnen die Tiere a l p h a b e t i s c h. Albertus Magnus († 1280) übernimmt das in den Büchern 22–26 von »De animalibus libri XXVI«; der Druck von Alberts »Thierbuch« von 1545 übernimmt dies Ordnung (Es ist also nicht so, dass Conrad Gessner der erste wäre mit einer Ordnung nach dem Abc) Carl von Linné (1707–1778) unterscheidet in seinem taxonomisch angelegten »Systema naturae« (1735) das Tierreich feiner aufgrund der Form des Gebisses und anderer morphologischer Merkmale. Solange eine biologisch begründete Systematik fehlt, lässt sich auch nur schwer ausmachen, ob ein bestimmtes Tier ›normal‹ (und das heißt: ins System passend) oder ›monströs‹ (und dann allenfalls mythisch oder poetisch oder ein Hoax) ist. Conrad Gessner unterscheidet in seinem Fischbuch grob im Meerwasser und im Süßwasser lebende Wassertiere. Aber wir staunen, was hier alles zusammenkommt. Eine Auswahl:
Wenn man das 1642 postum erschienenen Buch »Monstrorum historia« von Ulisse Aldrovandi (1522–1605) durchblättert, so fällt auf, welches Allerlei hier versammelt ist: Da findet man Gestalten aus dem Repertoire der ›Völker des Ostens‹ (z.B. Kranichschnäbler, Kynokephalen), natürliche Entstellungen (Hypertrichose, Hermaphroditen, siamesische Zwillinge), Erscheinungen aus der antiken Mythologie (Satyrn, Kentauren, die Chimäre, Harpye), allegorische Figuren (Mönchskalb, Krakauer Monstrum), ägyptische Gottheiten, Prodigia im Stile des Lycosthenes, seltsame Wesen in der Natur (die Drachen, das Meer-Schwein) – all diese Wesen werden mit demselben wissenschaftlichen Ernst beschrieben wie einheimische Wölfe, Nachtigallen, Bienen. (Ulisse Aldrovandi, Monstrorum Historia, Préface de Jean Céard, Les Belles Lettres / Nino Aragno Editore, Paris/Turin 2002.) |
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Migranten zwischen den literarischen GattungenWir unterscheiden heutzutage ganz selbstverständlich, in welchen literarischen oder ikonographischen Gattungen oder medialen ›Sendegefäßen‹ die Darstellung eines Monstrums erscheint, und ordnen ihm aufgrund des Mediums Realitätscharakter (+) zu oder sprechen ihm diesen ab (ø).
Wenn wir die Bibel noch in Betracht nehmen, so erkennen wir, dass auch die Einstellung zum Text eine Rolle spielt: ein fundamentalistischer Ausleger wird den Leviatan (Hiob 40,25 – 41,26) anders einschätzen als ein mythengeschichtlich orientierter Exeget. In früheren Zeiten hatte man offenbar für solche Zuordnungen ein schwach ausgeprägtes Bewusstsein: Texte und Bilder werden per ›copy paste‹ nicht nur von älteren Werken in jüngere übernommen, sondern werden gelegentlich auch von einem Werk einer bestimmten Gattung in eines überführt, das wir heutzutage einer anderen Gattung zuordnen würden. Erstes Beispiel: Eine Haupteinfallspforte für monströses Getier sind die Reiseberichte. Ihr Realitätsgehalt ist seit alters nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Marco Polo († 1324), der öfters betont, er berichte nur, was er mit eigenen Augen gesehen habe, flunkert bisweilen. Walter Raleigh, der 1595 eine Expedition nach Südamerika durchgeführt hat, will dort ein kopfloses Volk angetroffen haben, das das Gesicht auf der Brus trägt: die seit der Antike bekannten Blemmyer (vgl. Plinius, nat. hist. V, viii, 46: Blemmyes traduntur capita abesse, ore et oculis pectore adfixis).
Conrad Gessner hat seine Tierbücher immer wieder aufgrund der neuesten Lesefrüchte und Zusendungen von Briefpartnern ergänzt. In der gekürzten Ausgabe des Tierbuchs stellt er ein Tier namens Su vor, das dem eben gerade erschienenen Bericht des Brasilienreisenden André Thevet (1516–1590) entlaufen ist.
In der lateinischen Erstausgabe »de Quadrupedibus uiuiparis« 1551 und in den »Icones« 1553 kannte Gessner das Tier noch nicht. Gessner besaß die Pariser Ausgabe des Werks von Thevet und die von Antwerpen; beide hat er eifrig annotiert; vgl. Urs Leu (1992). In der deutschen Übersetzung von 1563, wo es dann auch das Titelblatt ziert, ist es Das aller schützlichest thier so geseyn mag/ Su genant in den neüwen landen.
Zweites Beispiel: Conrad Lycosthenes (1518–1561) publiziert 1557 auf lateinisch und deutsch ein mit gegen zweitausend (oft wiederholten) Holzschnitten ausgestattetes Buch, bestehend aus einer chronologisch geordneten Aufzählung von ›Wunderwerken Gottes‹, ›Prodigien‹, Erscheinungen, die ungewöhnlich sind (praeter naturae ordinem, motum, et operationem), von den üblichen Ordnungsregeln der Natur abweichen. Diese Monstra werden verstanden als Fingerzeig Gottes, der mahnt und droht; freilich werden die Ermahnungen selten ausgetextet. Hier heißt es zum Jahr 1523, im September sei in Neapel ein Strobelstern (Komet) erschienen. Dann (in der deutschen Übersetzung von Johann Herold):
Gessner bringt im Fischbuch (1558) das Bild eines Meerwunders, das am 3. November 1523 in Rom gefunden worden sei. Auch er nennt den Wolkenbruch in Neapel im September 1523, aber der lateinische Text verwendet andere Worte.
Das zugehörige Bild ist in der lat. Ausgabe 1558 angeschrieben mit Monstrum marinum, ex tabula quadam impressa in Germania olim. Bei diesem ›einst in Deutschland gedruckten Bild‹ handelt es sich um ein Flugblatt mit deutschen Text und dem Bild des aus Fischleib und Frauenoberkörper zusammengesetzten Monstrums, gedruckt bei Johann Grüninger in Straßburg 1523. (Das Blatt ist abgedruckt und kommentiert bei Ingrid Faust, Band V, # 759)
Beide Autoren haben dasselbe Flugblatt verwendet (und dessen deutschen Text verschieden ins Lateinische übersetzt). Dass Lycosthenes sein Buch aus Flugblättern mit Wunderberichten speist, ist nicht erstaunlich, dass der Naturforscher Gessner solche Quellen beizieht, aber schon. Drittes Beispiel: Der Verleger Sigmund Feyerabend (1528–1590), ein ausgebildeter Formschneider, war ein Ikonomane. Er konnte wohl auf einen Fundus von Druckstöcken zurückgreifen, die er aus in Konkurs gegangenen Druckereien erworben hatte, und illustrierte damit ziemlich wahllos seine Erzeugnisse. In der deutschen Übersetzung der Plinius-Teilausgabe (1565) verwendet er beispielsweise
Es wird also Bildmaterial aus der fabulösen Geschichtsschreibung (Livius), aus der Bibel und aus der Mythologie (Ovid) für die Illustration eines ›naturwissenschaftlichen‹ Werks übernommen. Viertes Beispiel Es gibt auch den Fall, wo ein monströses Tier aus einem ›zoologischen‹ Werk ins Flugblatt migriert. Gessner handelt im »Schlangenbuch« (postum erschienen 1587/1589) ausführlich über Drachen. Er erwähnt hier auch exotische geflügelte Schlangen (wohl Draco volans, eine kleine Agame aus den tropischen Regenwäldern Südostasiens, deren hervorstehende Rippen von Haut überspannt sind, dass sie zu Gleitflügen im Geäst von Sträuchern und Bäumen befähigt ist) und bringt dazu eine Illustration, die er einem Werk von Pierre Belon (1518–1564) entnommen hat, worauf das Tier aber wie der Drachen des hl. Georg oder der hl. Margareta aussieht.
Belon schreibt dazu: Et pource que nous sommes trouuez à voir des corps embaumez & tous entiers, de certains serpents ællez [in modernem Französisch: ailés], qui ont pieds, qu’on dit voler de la partie d’Arabe en Egypte, en auons cy apres mis le portraict. Gessners Bild ist auf einem Flugblatt hundert Jahre später abgekupfert worden – das Tier mit Zunge und einem Pfeilschwanz angereichert. Der unverschämte Verfasser schreibt unters Bild:
Das Bild hat auch Athanasius Kircher (Mundus Subterraneus, 1664, Tom. II, Lib. VIII, Sect. IV, Cap. ii) verwendet, um den Draco helveticus bipes et alatus darzustellen:
Fünftes Beispiel: Arzneimittel Aus Tieren gewonnene Substanzen spielten in der Medizin eine große Rolle. Hildegard von Bingen (1098–1179) empfiehlt Drachenblut gegen Steinleiden. Man muss aber das Drachenblut für eine Weile in reines Wasser stellen, bevor man davon auf nüchternen Magen trinkt. (Physica, VIII, 1) Die Artikel bei Conrad Gessner enthalten (in der Rubrik G) jeweils Angaben über die Verwendung des Tiers als Arzneimittel. Das Horn des Einhorns beispielsweise ist guot wider alles gifft, auch gegen die fallende Sucht und gegen den wütigen Hundsbiss. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde allmählich erkannt, dass es sich bei diesen Hörnern um Zähne des Narwals handelt, der vor Grönland und Island gefangen wurde. Diese Einsicht konnte aber seltsamerweise die überkommenen pharmakologischen Auffassungen nicht außer Kraft setzen. In einer postumen Neuausgabe von Gessners Tierbuch (1669–71) wird im Hinblick auf die Verwendung des Horns als Antidot der Text von Gessner wiederholt: die Krafft des Einhorns ist vornen an der Spitze heilsamer dann hinden, und man müsse aufpassen, dass man beim Kauf eines Stücks nicht betrogen werde (S. 80). Zwei Seiten später steht – und dies ist eine Zugabe des Bearbeiters:
Mit der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem ist immer zu rechnen. |
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Argumentationsweisen der Kritik• Verlässlichkeit von Zeugenaussagen Solange keine Autopsie (griechisch: ›das Selbst-Schauen‹) möglich ist, muss man die Gewährsleute hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit einschätzen. Das kann verschieden ausfallen. Plinius schreibt im Abschnitt über die Wassertiere:
Albertus Magnus sagt einmal über Plinius, welcher schreibt, es gebe eine Art des Graureihers (Ardea), die nur ein Auge besitzt:
Umgekehrt findet er die Schilderung des drachenartigen Tiers Draconcopodes mit Schlangenleib und Mädchenhaupt glaubwürdig; er habe von zuverlässigen Leuten gehört, dass ein solches Tier in einem Wald in Deutschland erlegt worden sei und dann allen, die es sehen wollten, gezeigt wurde, bis es verweste (XXV, ¶ 29). Walther Ryff, der Kompilator/Übersetzer von Albertus Magnus (»Thierbuch Alberti Magni« 1545) kann auf derselben Seite einmal schreiben: Solinus ein glaubwirdiger Arzet schreibt/ das … und: wie Solinus in vielen dingen grosse lugen für warhafftige ding fürgibet, also sprichet er auch/ das (zur Amphibelena). Auch das Schweigen von Koryphäen kann als Argument verwendet werden: (dass der Blick des Basilisken tötet) schreibt auch weder Avicenna noch Semerion/ welche beide trefliche hochperümte Philiosophi/ vnnd fürnemliche warhafftige erkünder natürlicher ding/ auch hier innsonderheit hoch erfaren/ darumb muß es on allen zweifel vnwarhafftig sein. Zur Seriosität stellt Conrad Gessner einmal folgende Überlegung an: Gewiss verdient das, was durch die Übereinstimmung vieler Gelehrter durch die Jahrhunderte gesichert ist, am meisten Vertrauen. Und wenn etwas mit denselben Worten von mehreren Zeugen überliefert ist, ist es vertrauenswürdiger. (Ea certe magna ex parte fidem merentur, quæ multorum & eruditorum multis iam sæculis consensu muniuntur […]. A multis enim testibus res una si verbis ijsdem dicatur, eo fide dignior est. (Praefatio zu de Quadrupedibus uiuiparis, 1551) Die Berichte über monströse Wesen werden nicht selten pauschal abgeschmettert; einige Beispiele:
• Frühe physiologische Überlegungen Der für seine Mythen-Kritik bekannte Palaiphatos sagt bereits im 4. Jahrhundert v. u. Z. über die Kentauren, die man sich als Pferd mit Männerkopf vorgestellt hat:
Palaiphatos sagt dann, wie es sich wohl wirklich verhalten habe: Bei den Kentauren handelt es sich um die Erfinder der Reitkunst, bei denen für Leute, die sie aus der Ferne sahen, nur der Pferderücken und der Oberkörper der Reiter sichtbar waren. Titus Lucretius Carus (ca. 97 bis ca. 55) argumentiert in seinem gegen den primitiven Götterglauben gerichteten Lehrgedicht »de rerum natura« (Über das Wesen der Dinge) folgendermaßen:
Albertus Magnus (um 1200–1280) übernimmt bezüglich der Kentauren die Ansicht des Aristoteles (den er über arabische Vermittlung in einer lateinischen Übersetzung kennt):
• Augenzeugenbericht, Beobachtung, Empirie Von der Bernickelgans – einer in Grönland brütenden Gänseart, wurde angenommen, dass sie aus Früchten entstehe, die von Bäumen abfallen. Nach der Meinung des Giraldus Cambrensis (1146–1223) ist an dieser wunderbaren Fortpflanzung nicht zu zweifeln: Wenn Gott den Menschen aus Lehm gemacht habe und die Bienen aus Honigwaben entstünden, warum sollen dann nicht Gänse auf Bäumen wachsen?
Konrad von Megenberg († 1374) sagt in seinem »Buch der Natur«:
Schon früh wurde aber an dieser seltsamen Fortpflanzungsart gezweifelt: Albertus Magnus schreibt, es sei gelogen, wenn Leute behaupteten, dass dieser (in der Volkssprache boumgans) genannte Vogel auf Bäumen entstehe. Das sei unvernünftig, denn er und Ordensgenossen von ihm hätten diese sich paaren, Eier legen und Junge hecken gesehen: Et hoc omnino absurdum est, quia ego et multi mecum de sociis, vidimus eas et coire et ovare et pullos nutrire (de animalibus XXIII, 31). Seltsamerweise hält Conrad Gessner 300 Jahre später die Erzählungen für völlig glaubwürdig (Vogelbuch s.v. Branta, fol. XXXIIIIr).
• Sprachtheorie dient der Kritik Im Vogelbuch kommt Conrad Gessner auch auf den Greif zu sprechen. Plinius halte es für ein märly vnd fabel/ so von Greyffen gesagt wird. Als bestens ausgebildeter Philologe – was er mit seiner Schrift »Mithridates, oder über die Verschiedenheiten der Sprachen« (1555) beweist – fügt Gessner ein philologisches Argument hinzu:
Für wirklich vorkommende Tiere gibt es in verschiedenen Sprachen verschiedene Wörter, zum Beispiel: Frosch – rana – βάτραχος – grenouille usw. Das Wort Greif dagegen haben alle Sprachen von den Griechen übernommen, so dass der Schluss naheliegt, es handle sich um eine literarische Fiktion, bei der die Benennung mit der Geschichte mitgewandert ist.
• Entstehung von Monstren durch missverstandene Symbolik Sir Thomas Browne (1605–1682) hat eine Enzyklopädie von Irrtümern zusammengestellt, die er alle in der common infirmity of human nature begründet sieht: »Pseudodoxia Epidemica or Enquiries into very many received tenets and commonly presumed truths« (zuerst 1646, dann in sechs erweiterten Neuausgaben). Dass es Greifen gebe, bezweifelt er wie bereits andere; und er vermutet eine Herkunft aus einem missverstandenen Symbol:
• Der Bauplan der Lebewesen dementiert Monstra Insbesondere in der medizinischen Fachliteratur wird öfters die Amphisbaena erwähnt, beispielsweise in den »Theriaka« (über Bisse und Stiche giftiger Tiere sowie deren Behandlung) des Nikandros aus Kolophon (2. Jh. v.u.Z.): eine Giftschlange, die am hinteren Ende auch einen Kopf hat und in beide Richtungen kriechen kann. Das monströse Wesen ist in Moralpredigten dienlich, etwa bei Aegidius Albertinus (um 1560–1620), der es aus der Enzyklopädie des Petrus Berchorius († nach 1361) kennt:
Es erhoben sich gelegentlich Zweifel. So schreibt Wolfgang Franz, dessen Tierbuch von 1612 bis 1687 immer wieder aufgelegt wurde, kein Tier habe zwei Köpfe: Amphisbaena est ille serpens, quem fingunt bicipitem, sum tamen nullum animal habeat duo capita. Wenn es je eine zweiköpfige Schlange gegeben habe, dann sei dies entweder ein Phantasma Diaboli oder eine Missgeburt, wie es das selten einmal gebe. (Pars IV, Cap. iv, S. 740) Thomas Browne begründet die Kritik an der Zweiköpfigkeit der Ambisbena in der »Pseudodoxia Epidemica« besser:
Johann Jacob Scheuchzer hat immer wieder über die Realität von Drachen nachgedacht, er hat Berichte von Bauern und Sennen gesammelt und visualisieren lassen.
Im Jahr 1746 gibt Johann Georg Sulzer Scheuchzers »Natur-Geschichte des Schweitzerlandes« neu heraus und versieht es mit eigenen Anmerkungen. In einer Fußnote zu Scheuchzers Überlegungen argumentiert er in unserem heutigen Sinne biologisch:
Das ist eine Einsicht, die Sulzer noch vor den grundlegenden Überlegungen der Biologen gehabt hat. Etienne Geoffroy Saint-Hilaire (1772–1844) formuliert in seiner »Philosophie anatomique« (1818/22) die These, die Organisation der Tiere sei einem allgemeinen, nur hie und da modifizierten Plan unterworfen. Auch Georges Cuvier (1769–1832) geht von festen Bauplänen bei den großen Tiergruppen aus. Ebenso stellt Isidore Geoffroy Saint-Hilaire (1805–1861) in seiner »Histoire générale et particulière des anomalies de l’organisation chez l’homme et les animaux« (1832–37) fest, dass es für jede Art einen Bauplan, ein Organisationsgesetz gibt, von dem Individuen allerdings wegen Fehlentwicklungen in der Embryogenese leicht abweichen können. Richard Owen (1804–1892) hat die Verschiedenheit des Baus der Tiere mit dem Konzept der Homologie erklärt (»On the archetype and homologies of the vertebrate skeleton« 1848): derselbe Bauplan der fünfstrahligen Extremität liegt beim Pferdefuß wie beim Fledermausflügel in spezifischen Abwandlungen vor. • Bedürfnis nach Realität Im Buch Hiob beschreibt Gott zwei gewaltige Tiere, die er geschaffen hat, um seine Größe und Schöpfermacht gegenüber Hiob zu demonstrieren: Behemot und Leviatan. In Luthers Übersetzung 1545:
Die beiden Wesen wurden gerne als Ausprägung des Teufels ausgelegt und als drachenartiges Scheusal gezeichnet. So etwa im »Liber floridus« (um 1120) des Lambert von St.-Omer oder in Herrads von Landsberg (vor 1178 bis 1196) »Hortus deliciarum« (fol. 84r). Samuel Bochart (1599–1667) hat in seinem erstmals 1663 erschienenen, umfänglichen Werk »Hierozoïcon Sive Bipertitum Opus De Animalibus S. Scripturæ« Behemot mit dem Nilpferd hippopotamus identifiziert, und zwar aufgrund rein philologischer Überlegungen, zum Beispiel durch einen Abgleich mit der Stelle in Herodots »Historien« (Buch II, 71)
Johann Jacob Scheuchzer freut sich, dass ihm die Nennung von Behemot in seiner »Jobi Physica Sacra« (1721) Anlass gibt zur Beschreibung nicht eines mythischen Wesens, sondern eines real existierenden Tiers. Er berichtet von Bocharts Feststellung und zitiert dann die Beschreibung des Präparats eines Nilpferds von Fabio Colonna (1567–1640), das 1603 in Ägypten gefangen worden sein muss; dann zitiert er ausführlich die Beschreibung aus dem Reisebericht von Jean Thévenot (1633–1667)
In der Überarbeitung des Kapitels (»Physica sacra« 1733) lässt Scheuchzer dann das Bild nachstechen, das Hiob Ludolf 1681 publiziert hat (übrigens mit der Bildüberschrift BEHEMOTH), und das auch von anderen Autoren kopiert wurde.
Welche gedanklichen Voraussetzungen führen zu einer solchen Entmythologisierung? Bochart will den biblischen Text von Fehlübersetzungen reinigen. Er scheint davon auszugehen, dass die von Gott geschaffenen Tiere in den verschiedenen Kulturen nur verschieden genannt werden, und er versucht, die babylonische Sprachverwirrung durch eine Parallelisierung des Zusammenpassenden rückgängig zu machen; dazu sucht als Philologe in der gesamten antiken und altorientalischen Literatur die Pendants zu den in der Bibel erwähnten Tieren. Scheuchzer sucht genaue Beschreibungen in Berichten und Präparaten von naturkundigen Männern. Ihm geht es um den physikotheologischen Aufweis der Weisheit Gottes aus seiner Schöpfung, und dazu kann er keine mythischen Fiktionen gebrauchen, sondern nur real existierende Wesen. |
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Faktizität oder Fiktivität?Ulisse Aldrovandi stand in Kontakt mit dem für die Wissenschaften begeisterten Großherzog Francesco de’ Medici (1541–1587), in dessen ›Studiolo‹ er wahrscheinlich eine Skulptur oder ein Bild eines monströsen Hahns gesehen hat, das er in der »Monstrorum Historia« (S. 387f.) beschreibt und abbildet. (Man könnte vermuten, dass es sich um ein groteskes Ornament gehandelt hat, was im Umfeld des manieristischen Stils des Studiolo gut vorstellbar ist.) Dessen Anblick habe ihm gewaltigen Schrecken eingeflößt (aspectus ita horrifici, vt intuentibus metum incuteret). Besonders auffällig war ein aus einem Geschwür beim After hervortretender schlangenartiger, fleischiger, nackter Schwanz. Dazu gesellt Aldrovandi ein aus Lycosthenes entnommenes Bild mit dem Text :
Bild und Text werden von Gaspar Schott S.J. in der »Physica Curiosa« (1662) und von Athanasius Kircher S.J. im Kapitel über die unterirdisch lebenden Tiere, wozu er auch die Drachen zählt, übernommen (»Mundus Subterraneus«, 1664, Tom. II, Lib. VIII, Sect. IV, Cap. ii). Sein Thema ist hier der Ursprung solcher monströser Wesen, den er erklärt entweder durch die Entstehung aus Fäulnis (putredo) oder durch Vermengung der Keime verschiedener Tiere (confusio seminum). Es sei ja bekannt, dass ein Basilisk entstehe, wenn ein Hahn das Ei einer Schlange verschlinge; und das passt zum Bild, der Mischgestalt aus Schlange und Hahn. Im Sensationsjournalismus eines Eberhard Werner Happel lebt das als real existierend gedachte Monstrum munter weiter. Er gibt in einem Nebensatz zwar zu, dass viele der Entstehung des Basilisken aus einem Hahnen=Ey wiedersprechen, bringt dann aber eine bunte Fülle von Faits divers, die den Fall bestätigen sollen und unter anderem auch Beschreibung und Bild (Holzschnitt) des seltzamen Hahns aus Aldrovandi. Gegen die Kritiker gewandt schreibt er:
Immer wieder erfahren wir in den Medien über einen in der Tiefsee neu entdeckten Wurm oder über jüngst ausgegrabene Dinosaurer-Knochen (zum Beispiel Anzuwyliei). Ein YouTube-Video berichtet: Ein Forschungs-U-Boot wird von einer Riesenkrake angegriffen. Es sind Szenen wie aus einem Horrorfilm. Schauplatz dieser Attacke war das Beringmeer. (14.10.2014) Können wir immer sofort entscheiden: Was ist naturwissenschaftlicher Bericht und was ein Wolpertinger? Was haben wir als Entscheidungsgrundlage? Freilich, wenn monströse Tiere wie die Seefledermaus (Malthe vespertilio) oder der Fetzenfisch (Phyllopteryx eques) in Brehms »Thierleben« oder heutzutage in Wikipedia abgebildet sind, dann existieren sie wirklich … Die Überprüfung, ob es das Wesen wirklich gibt oder ein Fake vorliegt, fällt je nach den Umständen und dem kulturellen Umfeld anders aus. Interessant ist, welches Interesse jeweils obwaltet und welche Argumente jeweils beigebracht wurden. Sie sind von unterschiedlicher Kategorie, und ihre Logik folgt nicht einem historischen Gänsemarsch: Kritik an monströsen Wesen hat es seit der Antike gegeben; umgekehrt glauben noch heutige Zeitgenossen an sie. Wir sollten uns also hüten vor dem ›master narrative‹, das unsere Vorstellung leitet, wonach das finstre Mittelalter in Renaissance und Aufklärung überwunden worden sei. Dabei haben wir die Positionen und Techniken des Rechtfertigens und Dementierens von monströsen Wesen in wichtigen Genres kaum beachtet, etwa in der fiktionalen oder religiösen Literatur. Freilich hätte sich ein mittelalterlicher Romancier die poetische Realität eines Drachen, der von seinem Helden getötet wird, nicht nehmen lassen. Und ein Prediger wird allenfalls das apokalyptische Scheusal (Apokalypse 12,3f.; 13, 1–8; 17,1–18) allegorisch ausdeuten, aber kaum dessen religiöse Realität bestreiten wollen. . Als Heilige Margareta sich im Kerker befand, erschien ihr ein fürchterlicher Drache, der sie zu verschlingen suchte, dien sie jedoch durch das Kreuzzeichen, das sie über ihn machgte, zu entweichen zwang.
Man erkennt, dass der Realitätsgehalt von Monstren nicht naiv im medienfreien Raum diskutiert werden kann, sondern immer auch abhängig ist vom größeren Kontext, in dem diese auftauchen. Es gibt eben verschiedene Arten von ›Realität‹ |
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Quellen(chronologisch geordnet) Aristoteles (384–322), Tierkunde. Übersetzt von Paul Gohlke, Paderborn: Schöningh 1949 (Aristoteles: Die Lehrschriften Bd. 8,1) [Palaiphatos, 4. Jahrhundert v. u. Z.] Die Wahrheit über die griechischen Mythen: Palaiphatos’ Unglaubliche Geschichten. griechisch/deutsch, hg. Kai Brodersen, Reclam, Stuttgart 2002 (Reclams Universal-Bibliothek Band 18200). Plinius der Ältere (ca. 23/24 – 79): C. Plinii Secundi Naturalis Historiae Libri XXXVII – C. Plinius Secundus d. Ä., Naturkunde, hg. und übersetzt von Roderich König / Gerhard Winkler, München: Heimeran 1973ff. (zweisprachige Ausgabe in 37 Bänden). Hildegard von Bingen (1098–1179), Heilkraft der Natur »Physica«. Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe. Erste vollständige, wortgetreue und textkritische Übersetzung […] übers. von Marie-Louise Portmann, Augsburg: Pattloch 1997. Albertus Magnus († 1280), De animalibus libri XXVI : nach der Cölner Urschrift hg. von Hermann Stadler, Münster: Aschendorff, 2 Bände 1916-1920 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 15/16). Konrad von Megenberg (1309–1374), Buch der Natur, hg. Franz Pfeiffer, 1861. – Neue Ausgabe: Konrad von Megenberg, Kritischer Text nach den Handschriften, hg. von Robert Luff und Georg Steer, Tübingen: Niemeyer 2003 (Texte und Textgeschichte 54). [Walther Ryff, † 1548] Thierbuch Alberti Magni. Von Art Natur vnd Eygenschafft der Thierer, Als nemlich Von Vierfüsigen, Vögeln, Fyschen, Schlangen oder kriechenden Thieren, Vnd vonden kleinen gewürmen die man Jnsecta nennet; Mit jhren Contrafactur Figuren. Hierinn findestu auch viel Artznei krancker Roß vnd anders haußuieheß Auch wider die schedliche gifft der Schlangen vnd anderer gewürme. Durch Waltherum Ryff verteutscht [Frankfurt am Main: Jacob 1545]. Conrad Gessner (1516–1565): Conradi Gesneri medici Tigurini historiae animalium lib. I. de quadrupedibus viviparis, Zürich 1551. [Gessner] Thierbuoch Das ist ein kurtze bschreybung aller vierfüssigen Thieren/ so auff der Erden und in wassern wonend, sampt jrer waren Conterfactur: alles zuo nutz vnd guotem allen liebhabern der künsten/ Artzeten/ Maleren/ Bildschnitzern/ Weydleüten vnd Köchen gestelt. Erstlich durch den hochgeleerten D. Cuonrat Geßner in Latin beschriben/ yetzunder aber durch D. Cuonrat Forer zuo mererem nutz aller mengklichem in das Teütsch gebracht/ vnd in ein kurtze komliche ordnung gezogen. Getruckt zuo Zürych bey Christoffel Froschower im Jar als man zalt M.D.LXIII. [Gessner] Vogelbuoch Darinn die art/ natur vnd eigenschafft aller vœglen/ sampt jrer waren Contrafactur/ angezeigt wirt: allen Liebhaberen der künsten ... Weydleüten vnd Kœchen ... dienstlich zebrauchen. Erstlich durch Doctor Conradt Geßner in Latin beschriben: neüwlich aber durch Ruodolff Heüßlin mit fleyß in das Teütsch gebracht/ vnd in ein kurtze ordnung gestelt. Zürich: Christoph Froschauer d.Ä. 1557. [Gessner] Conradi Gesneri medici Tigurini Historiae animalium liber IIII. qui est de piscium & aquatilium animantium natura […] Tiguri, apud Christoph. Forschoverum, anno 1558. [Gessner, postum] Schlangenbuoch Das ist ein grundtliche und vollkommne Beschreybung aller Schlangen, so im Meer, süssen Wassern und auff Erden jr Wohnung haben, sampt der selbigen Conterfactung / erstlich durch den hochgelehrten weytberümpten Herrn D. Conrat Gessnern zuosamen getragen unnd beschriben unnd hernaher durch den wolgelehrten Herrn Jacobum Carronum gemehrt und in dise Ordnung gebracht/ an yetzo aber mit sondrem Fleyss verteütscht. Getruckt zuo Zürych in der Froschow 1589. Conrad Lycosthenes (1518–1561), Wunderwerck oder Gottes unergründtliches vorbilden, das er inn seinen gschöpffen allen, so Geystlichen, so leyblichen ... von anbegin der weldt, biß zu unserer diser zeit, erscheynen ... lassen: Alles mit schönen Abbildungen gezierdt ..., durch Johann Herold ... Verteütscht, Basel: Petri 1557 – Reprint Hildesheim: Olms 2007. [Plinius] Caij Plinij Secundi / Des furtrefflichen Hochgelehrten Alten Philosophi / Bücher und schrifften / von der Natur / art vnd eigenschafft der Creaturen oder Geschöpffe Gottes / Als nemlich: Von den menschen / jrer Geburt / Aufferziehung / Gestalt / Wandel / Gebreuchen / Künsten / Handtierung / Leben / Kranckheit / Sterben / Begrebniß. Von den vierfüssigen Thieren […] Von den Fischen […] Von den vögeln […] Vnd von den Schlangen / kreichenden Würmern / mit sampt andern mindern Thierlin / den Eimeissen / Bienen vnd jres gleichen. […] auß dem Latein verteutscht durch M. Johannem Heyden / Eifflender von Dhaun […] Mit einem zusatz auß H. Göttlicher Schrifft, vnd den alten Lehrern der Christlichen Kirchen, so viel sie von der Thier, Fisch, Vögel vnd Würm Natur melden oder Exempels vnd gleichniß weise einführen. Sampt vil schönen kurtzweiligen Historien, auß allerley andern Scribenten, damit die Beschreibung der Natur aller vermeldten Geschöpff Gottes bezeuget, vnd als gewiß erfahren für Augen gestellt wirt […] Frankfurt: Sigmund Feyerabend 1565. Wolfgang Franz (1564–1628), Historia Animalium Sacra In Qua Plerorumque Animalium Praecipuae Proprietates […] breviter accommodantur […] a Wolfgango Franzio, Wittenberg: Schurer und Gormann 1612. Ulisse Aldrovandi (1522–1605): Vlyssis Aldrovandi Patricii Bononiniensis Monstrorvm Historia. Cvm Paralipomensis Historiæ Omnivm Animalivm Bartholomaeus Ambrosinvs ..., et Horti publici Prefectus Labore, et Studio uolumen composuit. Marcus Antonius Bernia in lucem ed. propriis sumptibus. ... Cum ind. copiosissimo.. - Bononiae : Bernia ; Tebaldinus, 1642 — Ulisse Aldrovandi, Monstrorum Historia, Préface de Jean Céard, Les Belles Lettres / Nino Aragno Editore, Paris/Turin 2002. Sir Thomas Browne (1605–1682), Pseudodoxia Epidemica or Enquries into very many received tenets and commonly presumed truths, London, T.H. for Edward Dod, 1646 – Kommentierte Ausgabe (der 1672er-Edition): ed. Robin Robbins, Oxford: Clarendon Press 1981; http://penelope.uchicago.edu/pseudodoxia/pseudodoxia.shtml – deutsche Übersetzung von Chr. Knorr von Rosenroth (1636–1689): Des vortrefflichen Engelländers Thomae Brown ... Pseudodoxia Epidemica. Das ist Untersuchung derer Irrthümer, so bey dem gemeinen Mann und sonst hin und wieder im Schwange gehen, Franckfurt/Leipzig: Christoff Riegel 1680. Johann Jacob Scheuchzer (1672–1733): Kupfer-Bibel, in welcher die physica sacra, oder geheiligte Natur-Wissenschafft derer in Heil. Schrifft vorkommenden natürlichen Sachen, deutlich erklärt und bewährt von Joh. Jacob Scheuchzer ... : anbey zur Erläuterung und Zierde des Wercks in künstlichen Kupfer-Tafeln ausgegeben und verlegt durch Johann Andreas Pfeffel; Ulm: Wagner 1731–1735. [Johann Georg Sulzer (1720–1779)] Johann Jacob Scheuchzers, Weyland Profess. der Natur-Lehre und Mathematic / Canoci in Zürich […] , Natur-Geschichte des Schweitzerlandes, Samt seinen Reisen über die Schweitzerische Gebürge. Aufs neue herausgegeben, und mit einigen Anmerkungen versehen von. Joh. Georg Sulzern, Zürich: David Gessner 1746. Eberhard Werner Happel (1647–1690): E. G. Happelii Gröste Denkwürdigkeiten der Welt Oder so genannte Relationes Curiosæ. Worinnen dargestellet/ und Nach dem Probier-Stein der Vernunfft examiniret werden/ die vornehmsten Physicalis. Mathematis. Historische und andere Merckwürdige Seltzamkeiten/ Welche an unserm sichtbahren Himmel/ in und unter der Erden/ und im Meer jemahlen zu finden oder zu sehen gewesen/ und sich begeben haben. Der Erste Theil. Einem jeden curieusen Liebhaber zu gut auffgesetzet/ in Duck verfertiget/ und mit vielen Figuren und Abrissen erläutert, Hamburg: von Wiering 1683. |
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Auswahl einschlägiger Forschungsliteratur(alphabetisch) Henryk Anzulewicz, Albertus Magnus und die Tiere, in: Sabine Obermaier (Hg.), Tiere und Fabelwesen im Mittelalter, Berlin: de Gruyter 2009, S. 29–54. Harry Burrell, The Platypus. Its discovery, zoological position, form and characteristics, habits, life history etc., Sydney: Angus & Robertson 1927. Jean Céard, La nature et les prodiges : l'insolite au XVIe siècle, en France. Genève Droz 1977 (Travaux d'humanisme et Renaissance ; 158), éd. rev. et augm. Genève : Droz 1996. Ingrid Faust, unter Mitarbeit von Klaus Barthelmess u.a., Zoologische Einblattdrucke und Flugschriften vor 1800, Stuttgart: Hiersemann 1998–2010. Udo Friedrich, Naturgeschichte zwischen artes liberales und frühneuzeitlicher Wissenschaft. Conrad Gessners »Historia animalium« und ihre volkssprachliche Rezeption, Tübingen: Niemeyer 1995 (Frühe Neuzeit 21). Caroline Aleid Gmelig-Nijboer, Conrad Gessner’s »Historia animalium«. An inventory of Renaissance Zoology, (Proefschrift Rijks-Universiteit te Utrecht), Meppel 1977. Wolfgang Harms, Bedeutung als Teil der Sache in zoologischen Standardwerken der frühen Neuzeit (Konrad Gesner, Ulisse Aldrovandi), in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hg. H. Boockmann, B. Moeller, K. Stackmann (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Klasse, 3. Folge, Nr. 179), Göttingen 1989. Ilse Jahn (Hg.), Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien, 1.Aufl. Jena 1982; 3. neu bearb. Aufl. 1998; Heidelberg: Spektrum 2000. Claude-Claire Kappler, Monstres, démons et merveilles à la fin du moyen âge, Paris: Payot 1980; revidierte Neuauflage 1999. Fabian Krämer, Ein Zentaur in London. Lektüre und Beobachtung in der frühneuzeitlichen Naturforschung, Affalterbach: Didymos-Verlag 2014. Sachiko Kusukawa, The sources of Gessner’s pictures for the »Historia Animalium», in: Annals of Science 67.3 (2010), p. 303–328. Claude Lecouteux, Les Monstres dans la Littérature Allemande du Moyen Age (1150—1350). Une contribution à l’étude du merveilleux médiéval, 3 Bände, Göppingen: Kümmerle 1982 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 330). Urs B. Leu, Konrad Gessner und die Neue Welt. In: Gesnerus, 49 (1992), S. 279–309. Urs B. Leu, Conrad Gessner (1516–1565). Universalgelehrter und Naturforscher der Renaissance, Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2016. Paul Michel, Was zur Beglaubigung dieser Historie dienen mag. Drachen bei Johann Jacob Scheuchzer, in: Fanfan Chen / Thomas Honegger (Eds.), Good Dragons are Rare. An Inquiry into Literary Dragons East and West. Frankfurt am Main u.a.: P. Lang 2009 (ALPH: Arbeiten zur Literarischen Phantastik), S. 119–170. Spinnenfuß und Krötenbauch. Genese und Symbolik von Kompositwesen, hg. von Paul Michel, Zürich: Pano Verlag 2013 (Schriften zur Symbolforschung; Band 16). Christa Riedl-Dorn, Wissenschaft und Fabelwesen. Ein kritischer Versuch über Conrad Gessner und Ulisse Aldrovandi, Wien/Köln: Böhlau 1989 (Perspektiven der Wissenschaftsgeschichte Bd. 6). Bernd Roling, Drachen und Sirenen. Die Rationalisierung und Abwicklung der Mythologie an den europäischen Universitäten, Leiden: Brill 2010 (Mittellateinische Studien und Texte 42). Flemming Schock, Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der »Relationes Curiosae« von E. W. Happel, Böhlau-Verlag 2011. Georg Wöhrle (Hg.), Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in der Antike; Band 1: Biologie; Stuttgart: Franz Steiner 1999. |
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Hinweis auf eine Website zum ThemaMonstra in der Naturkunde (dort speziell der Abschnitt zu den Fliegenden Fsichen) |
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