Rebmann, Stockhorn und Niesen, Inhalt

     
 

Ein Neuw/ Lustig/ Ernsthafft/ Poetisch Gastmal/ vnd Gespräch zweyer Bergen/ In der Löblichen Eydgenoßschafft/ vnd im Berner Gebiet gelegen: Nemlich deß Niesens vnd Stockhorns/ als zweyer alter Nachbaren: Welches Innhalt Ein Physicam Chorographicam vnd Ethicam descriptionem von der gantzen Welt in gemein/ und sonderlich von Bergen vnnd Bergleuten: Sonneten weiß gestellt Durch H. Hans Rudolph Räbmann/ Dieneren deß Worts Gottes. Getruckt zu Bern bey Johann LePreux 1606.

Die um ein Drittel umfänglichere zweite Auflage (Bern: Abraham Werli 1620) hat sein Sohn Valentin wahrscheinlich aus dem Manuskript herausgegeben, das H. R. Rebmann für den Druck 1606 gekürzt hatte.
Der Verfasser Hans Rudolf Rebmann (1566–1605), gräzisiert Ampelander, geboren in Bern, er studierte in Heidelberg und war seit 1592 Pfarrer in Thun.

Der Text besteht aus ca. 14’250 Knittel-Verse plus 150 Zeilen lat. und griech. Zitate; Marginalglossen orientieren den Leser und geben die Quellen an. Es handelt sich um eine Enzyklopädie in narrativer Form: Rebmann hat mindestens 45 Autoren beigezogen [zusammengestellt bei Forster S.108–111].

Die Einkleidung in ein Symposion zweier Berge ist merk-würdig. Pate stand wohl die Symposienliteratur (gebildete Unterhaltung beim Gastmahl), ferner die oft dialogisierte Lehrdichtung (wobei meist der Dialog nicht durchgehalten ist, wie auch hier), schließlich die Prosopopoiie (Einführung lebloser oder abstrakter oder Dinge als redende Personen; in Ovids Metamorphosen II, 279–300 spricht die Erde, tellus, sehr ähnlich: Alma tamen Tellus ... ita uoce locuta est: ... Dixerat haec Tellus.). Den Niesen und das Stockhorn – die man von Thun aus vor Augen hat – beschrieb der Berner Benedikt Marti in einer Schrift 1557 [Forster, Seite 26 und Anm. 63]. Eine Enzyklopädie den Bergen in den Mund zu legen, ist insofern sinnvoll, als sie wegen ihres hohen Alters einen Überblick über die Schöpfungs- und die politische Geschichte haben, über ihre Bewohner und ihr Innenleben (Quellen, Vulkane) Bescheid wissen, und geographisch weite Gebiete überblicken.

Die Grobeinteilung des Werks (siehe Titel) versteht sich so: Physica Descriptio = Beschreibung der natürlichen Dinge / Chorographcia Descriptio = Landesbeschreibung (diesen Titel trägt das Werk des antiken Geographen Pomponius Mela) / Ethica Descriptio = Beschreibung der Einwohner und ihrer Sitten.

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In der [unpaginierten] Vorrede entwickelt Rebmann eine physikotheologische Position. Die Erkenntnis der Natur dient sowohl der Bibelauslegung als auch der natürlichen Erkenntnis Gottes:

»In wie viel orthen zeucht die heilige Schrifft natürliche ding an? Als im ersten Buch Mosis; Im Buch Job vnd anderen. Wie wil dann ein Lehrer und Prediger solche erklären/ wann er deren dingen kein wissenschafft tregt? Wie wirt er beweisen daß die Finsternuß der Sonnen / auff dem tag deß seligmachenden Leydens/ vnd sterbens deß Sohns GOttes/ ein Mirakckel vnnd Wunderwerck/ oder wider den Lauff der Natur gewesen sey/ wann er weder new noch Wädel [Vollmond] weiß/ oder in welche[r] zeit natürliche die Finsternussen eynfallen? Dise erkendtnuß lehrt wider alle Epicurer daß warlich ein Gott/ ein ewig/ vnentlich/ allmächtig/ weiß/ und gütig wesen sey/ alles guten vrsach/ vnd rächer der Sünd: Lehrt seyn ewig Fürsehung vnd Regierung in allen/ auch den kleinsten vnd geringsten dingen.«

Warum er gerade zwei Berge personifiziert, erklärt er so:

»Wie der HErr im heiligen Evangelio [Luc 19,40] spricht: ›Wann diese schweigen/ so werden die stein schreyen.‹ Darumb hab ich der harten Felsen/ vnnd vnempfindlichen Bergen Gespräch eingeführt.«
Ferner sei die Einkleidung in poetische Fabeln ein bewährtes Mittel, um verstockten Leuten etwas beizubringen; auch bleibe die Materie so besser im Kopf.

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Zu Beginn spricht der Niesen einen Monolog, in dem er sich auf sein Alter besinnt: er war Zeuge der Erschaffung der Welt. Er beschließt, das Stockhorn zu einem Gastmahl und gutem Gespräch einzuladen, um die Geschöpfe Gottes zu preisen, zu denen sie selbst auch gehören.

[1. Teil] Erschaffung der Welt, das Siebentagewerk (S.15ff.); die Welt ist wie ein Buch — Astronomie: das Firmament und die Planeten und ihr Einfluss auf die Natur; die Einteilung des Jahres, Ebbe und Flut (S.17ff.) — gegen die Astrologie (S.47ff.)

Die vier Elemente (S.50ff.) — Beim Feuer: die Kometen und andere solche Erscheinungen (55ff.) — Bei der Luft (hier führt nun das Stickhorn den Dialog weiter) werden die Erdbeben erklärt, die aus Winden im Erdinneren stammen, der Donner – Beim Wasser: Nebel, Tau und Reif und Hagel; warum das Meer salzig ist (S.78ff.); der Wasserkreislauf der Erde; seltsame Quellen und Seen — Bei der Erde: Metalle (103) Bäume und Kräuter (105), Tiere (106).

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[2. Teil] Von Bergen (S.109ff.) — Nutzen der Bäume in den Bergen (115ff.) — nochmals von den Tieren in den Bergen (118ff.) – und von den Flüssen und Quellen in den Bergen (122f.) – Feuer in den Bergen, d.h. Vulkane (125ff.) — Metalle in den Bergen (127ff.) — von der Kraft der Kräuter und der Schönheit der Blumen in den Bergen (127ff.) — Beschreibung der Firne, Gletscher, Lawinen (130ff.) — Die Berge sind Ursache der »Absünderung der Völckeren« (132ff.), sie werden als Schutz in Kriegsgefahr gebraucht — höchste Berge (134ff.)
Der Niesen spricht nun »Von Bergen jedes Hauptlands besonderbar«, wozu er eine Einteilung in die vier Kontinente vornimmt.

Europa (S.146ff.), hierbei allmähliche Fokussierung auf die Schweiz: S.16ff. das Wallis. — Fruchtbarkeit des Schweizer Gebirgs (180ff.) — In die Beschreibung der Regionen sind historische Fakten eingestreut; z.B. beim Aargau > Windisch > Königsfelden: »1308 ward keiser Albrecht vmbgebracht« (189ff.) — Dass eine geographische Übersicht über die Schweiz möglich ist, begründet das Stockhorn mit seiner Höhe. Auch kleine landschaftliche Details finden Erwähnung, z.B. (211) »die Wassergrub im Kirchhoff zu S.Steffan«, [von heute aus beurteilt] Legendarisches wird eingewoben, z.B. die Tötung eines Lindwurms durch Winkelried zu Oedweil (235). Anlässlich der Besprechung der Wasserscheide am Gotthard wird die schweizerische Hydrographie ausgebreitet, was Gelegenheit gibt, über das Bad Pfäfers zu sprechen (252) . — Der Blick geht dann auch nach Italien mit seinen Gründerheroen und Roms Königen und seinen sieben Hügeln (256ff.). Bei der Beschreibung Deutschlands (283ff.) wo Rebmann Heidelberg (289ff) aus eigener Anschauung kennt »… wie ichs mit meinen Augen sach. | Wann ich gedenck an liebe Tag | Daß sie sind hin ich bitter klag« [sagt das Stockhorn! S.290f.] Dann schweift der Blick nach Griechenland (299ff.), was Gelegenheit gibt zu vielen gelehrten Einsprengseln aus der klassischen Literatur.

Asien (S.314ff.) als Gebiet, wo das Paradies lag und Adam herstammte, mit seinen Wundern und Schätzen (goldführende Flüsse, Gummi, Pfeffer, Elefanten, Papageien) wird überflogen. Besonderes Augenmerk gewinnt Syrien und Palästina (S.234ff.); hier dient natürlich die Bibel als literarische Quelle.

Afrika (S.268ff.) mit seinen Menschenfressern, die nichts vom Ehestand wissen, muss aus Zeitgründen kurz abgetan werden.

Bei Amerika (S.381ff.) kennt sich das Stockhorn am besten über Mexiko und den südlichen Halbkontinent aus; die Entdecker Kolumbus 1492 und Cortez 1521 werden erwähnt. Dann folgt ein Exkurs über Berge in Meeren, überhaupt über Inseln auf der ganzen Erde (Japan, Cuba, Grönland, Island usw.)

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[3. Teil S. 402ff.] Der dritte Teil ist den Bergbewohnern gewidmet; es spricht wieder der Niesen. Die unsichtbaren Beherrscher der Berge sind die Bergmännlein (antik: Satyri, Sylvani, Fauni 404) und der Teufel (405ff.) Der Passus über den Menschen beginnt mit einer doppelaspektigen Anthropologie: Der Mensch ist Bildnis Gottes und »irdischer Creaturen Stern« (408), er ist ein Mikrokosmos, was in 13 Abschnitten erörtert wird (S.409–413); und dennoch ist er hilflos und elend und schwach (S.413–418). — Dann folgt eine Beschreibung der Bergbewohner der vier Erdteile nach Aussehen, Kleidung, Religion und Bräuchen. Zunächst ein buntes Panorama über exotische Völker und ihre »viehischen« Sitten (S.418–427). — Die wahre Religion ist in Europa zu finden (427ff.); es schließt sich ein Exkurs an »der Christen Ampt«, ein kleines Moralbüchlein (428–435). Um zu zeigen, ob die »Bergleute« moralisch leben, wendet sich der Berg wieder den Leuten zu: der Papst und die katholische Kirche, Gelehrte, Einsiedler (Bruder Klaus 440), Kaiser und Könige (440ff.), woran sich ein kleiner Fürstenspiegel anschließt (441ff.) Dann wechselt er zu den Untertanen, zuerst zu den Bergknappen, ihrer Arbeit und Tücken des von ihnen geförderten Goldes (446ff.), dann folgen die Bader, Jäger (456ff). Dann weitet sich der Blick zum »gemeinen Mann«, insbesondere zu seinen Lastern, die ausgemalt werden (459ff.), wobei sich die Vorstellung vom Venusberg anbietet.

Das Stockhorn möchte nach diesem Sündenkatalog auswandern (480). Doch der Kanzler des Niesen rät von solchem Eifer ab: man solle nicht verzweifeln, Gott werde die Frommen belohnen und den Schlimmen Gnade widerfahren lassen. Darauf verabschieden sich die beiden Berge voneinander.

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Literatur:

Hans FORSTER, Hans Rudolph Rebmann und sein »Gastmahl zweyer Berge, Frauenfeld/Leipzig: Huber 1942 (Wege zur Dichtung XXXVI).

Rosmarie ZELLER, Die Wunderwelt der Berge. Literarische Form und Wissensvermittlung in Hans Rudolf Rebmanns Gastmal und Gespräch zweier Berge. In: Barbara Mahlmann-Bauer (Hrsg.): Scientiae et artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik. Wiesbaden 2004, S. 979–996.

PM Nov. 08

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Der Niesen (Quelle: gik.ch)

Das Stockhorn (Wikimedia)

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