Projekt-Beschrieb

     
 

Projekt-Beschrieb

Wie wird

[a] vom 16. bis zum 21. Jahrhundert

[b] Allgemeinwissen

[c] distribuiert?

[d] Gespeichertes Allgemeinwissen manifestiert sich in Enzyklopädien.

[e]
Wer greift darauf zu und

[f]
wie?

[g]
Wie wird das Wissen dort aufbereitet?

[h]
Was geschieht beim Transfer von der Wissensproduktion zur Wissenskonsumation mit dem Wissen?

[i]
Was geschieht dabei mit der Gesellschaft, die damit umgeht?

[j]
Wer hat ein Interesse daran, Wissen zu verbreiten bzw. zu verhindern?

[k]
Diese Fragestellungen sind aktuell.

[l]
"Lektüre-Pisten" als Forschungskonzept.

[m]
Das Projekt ist interdisziplinär angelegt.


[a]
Die historische Dimension darf nicht fehlen; nur eine vergleichende Betrachtung über den Zeitraum von der Vormoderne (16./17. Jh.) über die große Zeitenwende des 18. Jh. und das Bürgertum des 19. Jh. bis in die allerjüngste Gegenwart lässt uns überhaupt die Kategorien bewusst werden, in denen entscheidender Wandel im Umgang mit Wissen passiert ist. Wer nur die gegenwärtige Situation anschaut, ist blind für die Dimensionen, die der Umgang mit Wissen birgt, für die Heterogenität der Wissenselemente, den Wechsel von statischen und dynamischen Modellen.

nach oben

[b]
Eine Spezifik des Allgemeinwissens ist der Anspruch der Widerspruchsfreiheit. Während in der Vormoderne einzelne Inseln des Wissens noch durchaus unverbunden nebeneinander stehen konnten, entstehen in der Aufklärung Techniken, die Homogenität herzustellen (z.B. Entschärfung von Widersprüchen durch Zuweisung bestimmter Wissensinhalte in Subsinnwelten).
nach oben


[c]
Im Gegensatz zu vielen wissenschaftsgeschichtlichen Studien geht es bei unserem Projekt nicht um Wissensproduktion, sondern um Wissensrezeption. Distribution hat zunächst ganz konkrete Konturen: Welche Verleger drucken in welchen Umständen welche Enzyklopädien? Welche oekonomischen Prozesse laufen ab? (Das hat R. Darnton an der "Encyclopédie" untersucht.) Wer kauft was, kann sich was leisten? (z.B. Lesegesellschaften in der Schweiz im 18.Jh.).

nach oben


[d]
Enzyklopädien sind demnach das zentrale Quellenmaterial. Aus ihrer Anlage sowie ihren Paratexten lässt sich der Idealbenutzer erschliessen. Der Umgang der Kompilatoren/Redaktoren mit den informationszutragenden Materialien gibt Aufschluss über die dominierenden Interessengebiete, Modernisierungsprozesse, Ausgliederung von Kategorien (Subsinnwelten), homogenisierende Tendenzen u.v.a. Weitere historische Quellen sind dann Dokumente über Anschaffungspolitik und Benutzung von Bibliotheken, Verlagskataloge, die Geschichte von Verlegern und Verlagen.

nach oben


[e]
In gröbster Annäherung kann man formulieren: Allgemeinwissen wurde im 17. Jh. für Gelehrte aufbereitet; die Wissenselemente waren in Systeme eingebettet. - Im 19. Jh. wurde es in zitierbare Teile aufgesplittert, deren sich das Bürgertum zur Konversation bedient hat. - Heute steht 'Information' übers Web allen gratis zur Verfügung; der Umgang der Neticens damit ist erst ansatzweise erforscht.
nach oben


[f]
Zur Organisation des Zugriffs in der Welt der papierernen Datenbanken gibt es eine
Vorstudie von P. Michel.

[g]

Welche Wissensteile gelangen überhaupt zur Ehre der Lemmata? (Das was nicht naheliegend, sondern explikationsbedürftig ist - oder gerade die Gemeinplätze, worauf sich eine Konversation stützt?) Wollen die Enzyklopädien aktuell sein oder dauerhaft ("auf säurefreiem Papier, eine Investition für die Enkel")? Mit welchen Argumentationsmustern werden Wahrheitsansprüche geltend gemacht?
nach oben

[h]
Das Wissen in Enzyklopädien wird je länger je mehr kontextlos und subjektfrei und entspezifiziert; die Enzyklopädien sind Umschlagplätze anonymen Wissens. Wenn die Einbindung an den systematischen Ort des Wissens verloren geht, verliert sich auch die Verifikationsmöglichkeit.

nach oben


[i]
Parallel zur Entspezifizierung des Wissens wird auch die Gesellschaft homo-genisiert.

nach oben

[j]
Propagierung bzw. Verhinderung von Teilen des Wissens lässt sich gut studieren bei Enzyklopädien, die in (faschistischen oder kommunistischen) Dikaturen erscheinen; der Wandel ist bei einzelnen Lemmata von Auflage zu Auflage ablesbar.

nach oben

[k]
Wissen ist nichts 'Naturwüchsiges', sondern ein gesellschaftliches Konstrukt. Es geht um die Erforschung jener sich historisch wandelnden, kulturspezifischen Vorgaben, welche die Wahrnehmung apriorisch lenken, profilieren, fokussieren und so den Umgang mit Wissen ermöglichen oder auch verstellen. Das lenkende Regel-'Systemoïd' muss präzis hinsichtlich seiner spezifischen Logik, seinen Brüchen und Widersprüchen analysiert werden. Sodann geht es aber auch um das Verständnis der modernen westlichen Gesellschaft mit ihrem Anspruch gleichmäßig verteilter Bildung und den notwendigerweise damit verbundenen Defiziten.

nach oben

[l]
Es geht nicht um die bibliographische Erfassung, Bestandesaufnahme und Deskription einzelner Enzyklopädien; es geht auch nicht um historische Längsschnitte einzelner Wissensinhalte. Dies alles soll im Dienst jener abstrakteren Fragestellung des "discours" stehen; d.h. es soll eine Meta-Ebene erreicht werden. - Es sind geeignete Lektüre-Pisten zu evaluieren, die das interessante Material zutage fördern, z.B. Stellung des Kinds in der Ordnung der E.; Verortung der Monstren; Umgang mit Phänomenen wie Materialismus / Atheismus; Auftauchen und Verschwinden ganzer Kategorien (z.B. "Freizeit" in der bürgerlichen vs. marxistischen Umwelt).

nach oben

[m]
Bei solchen kulturanthropologischen Fragestellungen müssen verschiedene Disziplinen notwendigerweise zusammenarbeiten, und es ist zu erwarten, dass sie einander befruchten:

  • Sozialgeschichte
  • Literaturwissenschaft - 'Stilwandel' der enyzklop. Artikel, ihrer Argumentationsformen
  • Linguistik. Derzeit beginnt eine neue Unterdisziplin zu boomen: Wissenstransfer zwischen Experten und Laien (Wichter / Antos)
  • Wissenschaftsgeschichte - Einschätzung der übernommenen Innovationen in enyzklop. Artikeln. Auch die modernere Wissenschaftsgeschichte hat die Erforschung der großen Schübe in der Wissensproduktion (paradigm shift, kopernikanische Wenden) zurückgestellt zugunsten der Erforschung von Wandel in Wahrnehmungsqualitäten, Geschichte von "Rationalität" u.dgl.
  • Kognitive Psychologie - Grundsätzliches zur Organisation von Wissen
  • Pädagogik - Reflexion auf den Zusammenhang von demokratischem Staat und Bildungswesen; Umgang mit dem Informationsüberangebot des World Wide Web ("Schulen ans Netz").
  • Ethnologie - Umgang mit Enzyklopädischem in aussereuropäischen Kulturen; Integration des Fremden in das eigene Wissen

zurück zum Seitenanfang