![]() |
![]() |
![]() |
Gregor REISCH, »Margarita Philosophica« |
Gregor ReischGeboren ca. 1470 — 1487 an der Universität Freiburg/Br. immatrikuliert — 1489 Magister artium — 1494 an der Universität Ingolstadt — die »Margarita Philosophica « widmet er Ende 1495 dem Grafen Franz Wolfgang von Zollern — Einritt in den Kartäuserorden, wo er in Freiburg 1502 Prior wird — 1503 erster Druck der »Margarita« — seit 1509 Beichtvater von Kaiser Maximilian I. — gestorben am 9. Mai 1525. Margarita PhilosophicaDie »Margarita« ist ein systematisch geordnetes Kompendium des Grundwissens für Studenten. Gespiesen ist es aus der Wissensliteratur der klassischen Antike, der Spätantike (Boethius, Cassiodor), der Kirchenväter und des Mittelalters (Thomas von Aquin, Albertus Magnus) sowie von Spezialliteratur. Zweck ist indessen nicht einfach die Gelehrsamkeit; auf dem Titel der Ausgabe 1504 steht der Satz: Initium Sapientiae Timor Domini (Psalm 111 [Vg.], 10). Anhand der Margarita ersehen wir, was man an einer Universität am Ende des Spätmittelalters wissen konnte und sollte. Es ist eine der frühen gedruckten Enzyklopädien Europas. |
||
Die Ausgaben:Erstausgabe: MARGARITA PHILOSOPHICA totius Philosophiæ Rationalis / Naturalis & Moralis principia dialogice duedecim libris complectens, Freiburg/Br.: Joh. Schott 1503. Titel des (Raub-)Drucks bei Grüninger 1504: Aepitoma omnis phylosophiae. alias Margarita Phylosophica tractans de omni genere scibili. Cum additionibus: Quę in alijs non habentur. Umfang (1517er-Ausgabe): 292 Fol. = 583 Seiten im Oktav-Format. Auflage (1517er-Ausgabe): 480 Exemplare
Die Holzschnitte werden von Auflage zu Auflage übernommen. (Mehr dazu hier unten ➜) Digitalisate:
Reprint der Ausgabe Basel 1517, mit einem Vorwort, einer Einleitung und einem neu gesetzten Inhaltsverzeichnis von Lutz Geldsetzer, Düsseldorf: Stern-Verlag Janssen & Co. 1973. Englische Teil-Übersetzung mit Einleitung: Sachiko Kusukawa / Andrew R. Cunningham, Natural philosophy epitomised: Books 8-11 of Gregor Reisch’s Philosophical Pearl (1503). Aldershot: Ashgate 2010. deutsche [Gesamt-]Übersetzung von Otto und Eva Schönberger: Margarita Philosophica (Basel 1517), Würzburg: Königshausen & Neumann 2016. [Diese Übersetzung ist höchst verdienstvoll; einige kleine Fehler kann man hinnehmen.] |
||
Aufbau der TexteDie Enzyklopädie ist als Dialog zwischen Discipulus und Magister disponiert. Das hat eine lange Tradition:
Die Dialoge bei Reisch dienen nicht nur der Textgliederung (wie im Lucidarius, wo die die Fragen des Schülers die Funktion von Zwischentiteln haben), sondern tönen mitunter recht lebendig. Wäre ein interessantes Thema... Literaturhinweis: Hannes Kästner, Mittelalterliche Lehrgespräche. Textlinguistische Analysen, Studien zur poetischen Funktion und pädagogischen Intention, (Philologische Studien und Quellen 94), Berlin: Schmidt, 1978. ➜ Inhaltsverzeichnis der »Margarita« |
||
BilderDiese Website ist auf eine Auswahl der Bilder in der »Margarita« focussiert. Besprochen wird nur das Ikonographische; stilistische Betrachtungen werden nicht angestellt. Reischs Werk – Figuris quoque artificiosissime effigiatis & pene innumeris totum opus illustratur – gehört zu den frühesten bebilderten Enzyklopädien (im europäischen Raum).
In der »Margarita« lassen sich verschiedene Bild-Typen und deren Kombinationen ausmachen:
Die Bilder haben verschiedene Funktionen:
Die Drucke der »Margarita« enthalten keine Seitenzahlen. Deshalb muss man mit Angabe von Buch / Traktat / Kapitel auf die gemeinte Stelle verweisen. |
||
Die hier besprochenen Bilder(Auf den Pfeil ➜ klicken!) ➜ Frontispizien ➜ Organisation des Wissens in Gestalt eines Turms (A, S) ➜ Personifikation der Logik und Allegorie ihrer Leistungen (P, A) ➜ Die drei Dimensionen des Raums (M, I, T, K) ➜ Anatomie (M, T, O) ➜ Die drei Hirnventrikel (M) ➜ Melothesie (Aderlassmännchen) (M, I, T, Z) ➜ Monstruosa Homines (M) ➜ Der Ursprung der natürlichen Dinge (N, V) ➜ Badefreuden (M, O) ➜ Das logische Quadrat (D, T, K) ➜ Die alte und die neue Arithmetik (P, M, T, V) ➜ Der (falsch gezeichnete) Jakobsstab (M, I) ➜ Die Erdkrümmung (M, G, O) ➜ Mappa Mundi (M, T, O) ➜ Musik (D, T) ➜ Astronomie (D, T) ➜ zu den Drucken von Grüninger in Straßburg
|
||
Die Frontispizien
Ausführlich hier > ➔ http://www.enzyklopaedie.ch/fronti/frontispizien_hauptseite.html#Reisch |
||
Organisation des WissensTYPUS GRAMMATICĘ — (lat. typus = die Figur, das Bild) — Das Bild ist von unten nach oben aufsteigend zu lesen. (Noch heute sprechen wir von "Basiskenntnissen" und "Aufbau" des Studiums.)
Die »Margarita« geht über die Septem Artes hinaus, vgl. das 9. bis 12. Buch. Zu den Septem Artes: Isidor von Sevilla (um 570-636) definiert in den »Etymologiae« I,ii,1–3: De septem liberalibvs disciplinis. Disciplinae liberalium artium septem sunt.
Eine ähnliche Darstellung: Der Turm der Grammatik von Heinrich Vogtherr d.Ä. auf einem Einblattdruck des Zürcher Verlags Eustachius Forschauer 1548:
Literaturhinweis: Steffen Siegel: Architektur des Wissens. Die figurative Ordnung der artes in Gregor Reischs »Margarita Philosophica«, in: Frank Büttner / Gabriele Wimböck (Hgg.): Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft des Bildes, Münster: LIT 2004, S. ##–## |
||
Personifikation der Logik und Allegorie ihrer LeistungenTYPVS LOGICĘ
Um die Allegorie genauer zu verstehen, müsste man sich kundig machen, was in der frühneuzeitlichen Logik praedicabilia & praedicamenta und insolubilia & obligatoria bedeuteten und ob die als Bäume dargestellten Occamistæ, Scotistæ, Thomistæ, Albertistæ Spott oder Lob meinten. Hinter der Jägerin guckt in nachdenklicher Haltung ein Mann hervor; vor ihm liegt ein großer Stein. Es ist der griechische Philosoph Parmenides (angeschrieben Permenides), von dem das Mittelalter wusste, dass er die Städte und Gesellschaft der Menschen floh und sich lange Zeit auf einem Felsen aufhielt, wo er die Dialektik ersann (Hugo von Sankt Viktor; Didascalicon II, 3) – mitten unter den allegorischen Jagdgeräten, Hunden und Hasen eine reale Gestalt. Er betrachtet vier Berge: omnis / nullus / quidam / quidam non; das sind die vier Begriffe, die das sog. logische Quadrat bilden. Dass eine Frau auf der Jagd ist, mag man der Technik der Personifikationen zuschreiben: Logica ist halt ein Femininum.– Auffällig sind indessen der kurze Rock und die Schnabelschuhe in Holzsandalen (Trippen; calopedes). Geeignet für die Jagd? Das High-End der adligen Mode! (Literatur: Paul Weber, Schuhe, Aarau 1980, S. 42 und Abb.) Handelt es sich bei der LOGICA um eine Karikatur? Die Jagdszene könnte angeregt sein durch »Die mystische Jagd«, Werkstatt des Martin Schongauer um 1475/80; aus dem Zyklus der 24 Bildtafeln vom Hochaltar der Dominikanerkirche in Colmar:
|
||
Die drei Dimensionen des RaumsDas Kapitel im Lib. VI, tract. I befasst sich mit dem (geometrischen) Körper und seinen Eigenschaften (De corpore et eius speciebus). Der Magister definiert einen Körper über die drei Dimensionen des Raums, wörtlich als ›eine Länge mit einer Breite und Tiefe‹ (Corpus – Est longitudo cum latitudine et profunditate), und verweist darauf, dass sich in einem Körper drei Linien in einem Punkt orthogonal schneiden. Um diese Definition in ihrer Dreidimensionalität zu veranschaulichen, werden die in der rein wörtlichen Erklärung diffus erscheinenden Eigenschaften auf den menschlichen Körper übertragen. (Das Wort corpus bezeichnet ja den abstrakten geometrischen Körper wie den menschlichen Leib.) Der Magister wählt hierzu das Gedankenspiel einen Menschen, der von Lanzen durchbohrt wird. Je nach Ein- und Austrittsstelle würde entweder die Länge (Scheitel und After), Tiefe (Brust und Rücken) oder Breite (die eine und die andere Körperseite) gemessen. Vt si lancea una per verticem capitis humani intraret et per anum exiret: metiretur longitudinem. et alia intrans per pectus et exiens in dorso metiretur profunditatem. et tertia intrans per latus unum et exiens per aliud metiretur latitudinem. (Insofern als wir sensorisch oben/unten – vorn/hinten – links/rechts empfinden, wird plausibel, dass die drei Dimensionen orthogonal zu einander stehen.)
|
||
Anatomie
Visualisierungstechnik: Mimetische Abbildung — Typographische Benennung der Glieder und Eingeweide. Das Bild ist durch unhinterfragtes Buchwissen vermittelt. (Und falsch: Der Darm mündet hier in die Blase!) Beim Zeitgenossen Leonardo da Vinci (1452–1519) sind die anatomischen Zeichnungen dann realistisch; das epochemachende Buch von Andreas Vesal »De Humani Corporis Fabrica« erscheint 1543. |
||
Die HirnventrikelDie als feinstoffliche Substanzen (SPIRITUS) vorgestellten Empfindungen z.B. GUSTUS werden zunächst zum vordersten Hirnventrikel SENSUS COMMUNIS geleitet; dort weiterverarbeitet mittels FANTASIA, YMAGINATIO, COGITATIVA, ESTIMATIVA, und zuletzt abgespeichert im Ventrikel MEMORATIVA.
Der Kopf mit den Sinnesorganen ist eine mimetische Visualisierung. Die Hirnkammern exisitieren in natura nicht, sondern sind aus dem Text entwickelte Projektionen. Das Bild enthält ferner Verbindungslinen (I) zwischen den sensitiven Organen (Lippen, Nase, Auge, Ohr) und den Hirn. Das ganze Arrangement erweckt den Eindruck, der Schädel sei offengelegt (Graphischer Trick), so wie wir das von der modernen Darstellungen kennen: Schüler: Welche Funktionen des Sensus communis gibt es? Magister: Deren gibt es drei. Als erstes erkennt er die Reize und erkennbaren Dinge durch alle äusseren Sinne*, auch wenn die Gegenstände nicht vorhanden sind. Darum wird er communis genannt. Zweitens unterscheidet er erstmals, ob es sich eine Uebereinstimmungen oder um Unterschiede zwischen den Objekten und dem Wahrgenommenen handelt. Wenn er anfangs einen Gegenstand durch einen Sinn erkennt, danach als zweites den Gegenstand durch einen anderen [Sinn] erfasst und zuletzt formt er [aus beiden] die Vorstellung (Tätigkeit), die virtuell die Kenntnisse über die beiden Gegenstände beinhaltet. In dieser Vorstellung legt er sowohl die Uebereinstimmungen als auch die Unterschiede derselben [der beiden Objekte] hinein. Wie z.B. weiss zugleich süss ist [Bsp. für Uebereinstimmung] und ein Klang nicht kalt ist [Bsp. für Unterschiede] usw. Drittens: er urteilt [sensus communis] über das Nichtvorhandensein (die Abwesenheit) der Gegenstände. Wie [z.B.] das, was das Sehvermögen nicht sieht und das Gehör nicht hört. So urteilt er über die Dunkelheit, die Stille und die Abwesenheit der übrigen Gegenstände. Schüler: Ist dies jener Sinn, aus dessen Organinneren die Nerven zu den Organen der äusseren [Sinne] führen? Lehrer: Ja, so ist es. Daher nimmt er [sensus communis] die Gestalt von allen sichtbaren Dingen durch diese Nerven wahr und jedenfalls leicht wegen der Feuchtigkeit und der Wärme des Organs, (Geschwindigkeit der Wahrnehmung des Auges, weil die Feuchtigkeit warm ist = schnell; alles was kalt ist, ist starr und reagiert langsam), länger aber kann er [sensus communis] es [das Auge z.B.] nicht behalten. Darum überträgt er nach der Wahrnehmung durch die Nervenbahnen (zum Organ) der Immaginativa (Vorstellungsfähigkeit). Deren Funktion ist es, die empfangenen Erscheinungsformen (species) und Vorstellungen zu bewahren. Daher erhielt sie auch ihren Namen. Und darum wird deren Organ als trockener und kälter beschrieben (hier geht es nicht mehr so schnell, nicht warm genug). Damit aber das, was folgt, nicht im Müssiggang verbleibt (verharrt), gehen die Erscheinungsformen (species) von der Imaginativa zu der Estimativa über. Aus diesen soll diese Fähigkeit (Vermögen) die noch nicht verspürten Absichten hervorrufen. Wie ein Schaf aus den Erscheinungsformen (speciebus) des Wolfs, nämlich aus der Farbe, dem Aussehen (figura) und anderen [Sachen], die eine noch gar nie verspürte Feindschaft entwickelt und vor demselben flieht, nach Avicennas 6. Buch "De naturalis". Und dies entweder aus natürlichem Instinkt, wenn es möglicherweise die Tücke des Wolfes vorher nicht erfahren hat oder aus Erfahrung. Wie z.B. ein Esel, wenn er sich einer Grube nähert, in die er neulich gefallen ist, einen Sturz befürchtet und ausweicht. Oder aufgrund der Verbindung wie wenn wir die roten Kirschen als süss einschätzen. Schüler: Was sind Intentionen? Sie sind Erscheinungsformen (species) der Empfindungen und demnach sind sie viel einfacher als die Erscheinungsformen der wahrnehmbaren Dinge. Und sie können wegen der Unfähigkeit (Ungeeignetheit) der Organe von den äusseren Sinnen nicht wahrgenommen werden. Im Verhältnis entsprechen sie aber dieser Fähigkeit und wenn die Vernunft diese schmückt, wie dies bei den Menschen der Fall ist, pflegen wir sie nun nicht mehr Estimativa, sondern Cogitativa oder Partikularvernunft zu nennen. *) (gustus, visus, olfactus, auditus, tactus = die fünf Wahrnehmungssinne) (Übersetzung von B. Braune-Krickau und D. Senekovic) Literaturhinweise: W. Sudhoff, Die Lehre von den Hirnventrikeln in textlicher und graphischer Tradition des Altertums und Mittelalters, Leipzig 1913. Edwin Clarke / Kenneth Dewhurst, Die Funktionen des Gehirns: Lokalisationstheorien von der Antike bis zur Gegenwart, München: Moos, 1973. |
||
MelothesieIm Kapitel zur Astrologie (Liber VII, Tractatus 2) ist ein Aderlassmännchen abgebildet. Je nachdem, in welchem Tierkreiszeichen der Mond stand, war eine Körperregion mehr oder weniger zum Aderlass geeignet. Entsprechend wurden die zwölf Phasen des Tierkreises einzelnen Gliedern und Organen des menschlichen Körpers zugeordnet und festgelegt, an welchen Stellen und in welchem Zeitraum Blut entnommen werden konnte, ohne dabei den Patienten zu gefährden. Auf diesem sogenannten Melothesie-Schema basierend wurde die Figur des Tierkreiszeichenmannes kreiert, von welchem seit dem 13. Jahrhundert Darstellungen überliefert sind. Zunächst wurden die zodiakalen Namen oder Tierkreiszeichen direkt auf die korrespondierenden Körperteile geschrieben, später auch in einem Kreis außerhalb der Figur, um von dort mit Linien auf die Körperregionen zu verweisen (Widder – Kopf, Stier – Hals, etc.). Mit dem Entfernen der Bezeichnungen vom Körper kam es zugleich zu einer Abbildung des offenen Körpers und der inneren Organe und so zu einer Art Vorläufer der anatomischen Illustration.
Visualisierungstechnik: Mimetische Abbildung des Körpers — Icons (Pictogramme der Sternzeichen) — Typographische Mittel (Schrift; Verweispfeile) |
||
Monstruosa HominesIn der Ausgabe Straßburg 1504 und dann Basel 1508 erscheinen in Lib. VIII, Cap. xx De miraculis einige monstruosa homines: Zitiert wird Augustinus, Civitas dei XXI,8, wo aber diese Wesen nicht beschrieben werden. Dasselbe Bild in Liber IX, Cap xl: De gemellis, monstris et abortivis fetibus. Es hat ebenfalls keinen Bezug zum Text. Die Darstellungen muss man als mimetisch bezeichnen, auch wenn sie nicht natürlicher Anschauung entommen sind, sondern Kopien von anderen Bildern: Einige Gestalten sind höchstwahrscheinlich den Bildern in der Schedelschen Weltchronik (1493) Fol. XII recto entommen. Von links nach rechts: ein Skiapode (Schattenfüßler) – ein Einäugiger wie Polyphem – ein Blemmyer (kopflos; Gesicht auf der Brust; (vgl. Plinius, Nat. hist. V, viii, 46: Blemmyes traduntur capita abesse, ore et oculis pectore adfixis) – ein Kynokephale (Hundsköpfiger) – Die ›siamesischen Zwillinge‹ kommen wohl aus dem Flugblatt von Sebastian Brant von 1495.
Eine andere Ausgabe geht phanstasievoll mit dem Bild um:
|
||
Der Ursprung der natürlichen Dinge
Das zum Titel (origo = der Ursprung) passende Bild ist von einer Bibelillustration inspiriert: Im Paradies erschafft Gottvater das Weib aus der Rippe, die er Adam entnommen hat. (Genesis 2,21: Immisit ergo Dominus Deus soporem in Adam: cumque obdormisset, tulit unam de costis ejus, et replevit carnem pro ea.)
Visualisierungstechnik: Narrativ. — Weitere biblisch inspirierte Bilder in der »Margarita«: Hölle und Fegefeuer — das Paradies. |
||
BadefreudenMan würde glauben, dass die Illustratoren in Freiburg die warmen Quellen und Bäder aus eigener Anschauung kannten und deshalb solche mimetische Bilder zeichneten, wie dasjenige zu Lib. IX, Cap. xv: de fontium:
Die Anregung dürfte wohl von diesem Bild kommen, man beachte die Zweiteilung des Wasserbeckens (für Damen und Herren?) und das Schankzeichen am Wirtshaus: "es ist ausg’steckt", d.h. man bekommt heurigen Wein...
|
||
Das logische QuadratDas logische Quadrat dient der Veranschaulichung elementarer logischer Beziehungen von Aussagen mit jeweils demselben Subjekt und Prädikat. Der Ursprung dieser Aussagen findet sich in Aristoteles’ Werk »De Interpretatione« 6–7, welche im zweiten Jahrhundert n. Chr. von Apuleius von Madaura vervollständigt und graphisch in die quadrata formula, das logische Quadrat, umgesetzt wurden. Die bis heute gebräuchliche Terminologie der einzelnen Bestandteile geht auf Boethius und dessen Aristoteles-Kommentare zurück. Die 4 verschiedenen logischen Beziehungen (konträr – kontradiktorisch – subaltern – subkonträr usw.) zwischen den 4 verschiedenen Urteilstypen (allgemein bejahend – allgemein verneinend – partikulär bejahend – partikulär verneinend) werden seit der von Michael Psellos im 11. Jh. ersonnenen Graphik kompakt und einprägsam so visualisiert:
Die Darstellung in der »Margarita« verwendet als Subjekt bos (›Rind‹) und als Prädikat est animal (›ist ein Tier‹). Die beiden oberen Kreise enthalten die allgemeinen (omnis/nullus bos est animal – ›jedes/kein Rind ist ein Tier‹), die beiden unteren die partikulären Aussagen (quidam bos est est animal / quidam bos est non est animal – ›ein gewisses Rind ist (nicht) ein Tier‹). Die Kreise auf der linken Seite enthalten die bejahenden, die auf der rechten die verneinenden Aussagen. Sätze, welche kontradiktorisch sind, d.h. sich gegenseitig ausschliessen, stehen sich diagonal gegenüber. Aussagen mit entgegengesetzten Prädikaten sind zueinander horizontal angeordnet. Die Relationen zwischen diesen wird als konträr (allgemeine Aussagen) bzw. subkonträr (partikuläre Aussagen) bezeichnet. Die partikulären Aussagen sind jeweils logisch in den allgemeinen enthalten und werden daher als subaltern zu diesen bezeichnet. Visualisierungsmittel: Diagramm – Typographie Literaturhinweise: Moderne Darstellung> Wikipedia Carl von Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande, Leipzig: Hirzel 1855. ›Quadrat, logisches‹ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie; Band 7 (1989), Sp. 1733–1736. Terence Parsons, ›The Traditional Square of Opposition‹, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Edward N. Zalta (ed.) > http://plato.stanford.edu/archives/fall2008/entries/square/ |
||
Die alte und die neue ArithmetikTYPVS ARITHMETICAE Das Bild zeigt den Vorzug der neuen Rechenmethode (mit Ziffern) vor der alten (mit dem Abakus) durch eine Gegenüberstellung von zwei historischen Figuren aus verschiedenen Zeiten (Tituli BOETIVS und PYTAGORAS).
Visualisierungsmittel: Personifikation — pseudo-mimetische Portraits – echt-mimetische technische Werkzeuge (Abakus, Ziffern-Tafel) — Typopgraphische Verdeutlichung Die fälschlich Boethius zugeschriebene, heute als "Geometrie II" bezeichnete Schrift »scheint […] das früheste lateinische Werk zu sein, in dem arabische Ziffern dargestellt sind.« Menso Folkerts, "Boethius" Geometrie II. Ein mathematisches Lehrbuch des Mittelalters; Wiesbaden: Steiner 1970. |
||
Der JakobsstabMit dem Jakobsstab (baculus iacob) lässt sich der Abstandswinkel zwischen zwei Punkten messen. Man hält das Instrument ans Auge und visiert über die am Querstab zuäußerst angebrachten Nägel. Den Querstab verschiebt man, bis Auge – Nägel – anvisiertes Objekt auf einer Geraden liegen. Auf dem Längsstab ist eine Skala angebracht, die dort, wo der Querstab zu stehen kommt, den Winkel angibt. Misst man den Winkel von zwei Standorten aus, so lässt sich mit dem Strahlensatz in der Geometrie beispielsweise die Höhe eines Gebäudes oder Bergs bestimmen.
|
||
Die ErdkrümmungIn Lib. VII, Tract. i wird die Gestalt der Erde abgehandelt: De figuratione et natura terrę. Die Kugelgestalt werde gut einsichtig durch das Phänomen, dass der Seemann ein entferntes Gebilde (hier das Fundament eines Turms am Ufer: figura in litore) nicht sieht, wenn er über die Reling schaut (oculus inferior), hingegen vom Mastkorb (oculus superior) aus sieht.
|
||
Mappa MundiBereits in der Erstausgabe 1503 gibt es eine Weltkarte im Stil des Ptolemaeus, ähnlich wie sie auch in der Schedelschen Weltchronik erschien. (300 x 411 mm)
Für die Ausgabe Straßburg: Grüniger 1513 hat Reischs Kommilitone Martin Waldseemüller († 1520) eine modernere Weltkarte beigesteuert: Typus universalis terrae, iuxta modernorum distinctionem and extensionem per regna et provincias: Hier ist der neu entdeckte Kontinent bereits skizziert. Man beachte für Südamerika: Paria seu prisilia
Für die Ausgabe Straßburg: Grüniger 1515 gibt es ein Update, dazu eine schiftliche Noua terrę descriptio:
Literaturhinweis: https://www.press.uchicago.edu/books/HOC/index.html hier der Artikel Vol. 3 / Part 1 / Chapter 9: Patrick Gautier Dalché, The Reception of Ptolemy’s Geography (End of the Fourteenth to Beginning of the Sixteenth Century) Vgl. auch hier das Kapitel zur Geographie |
||
MusikIn Liber V, Tract. ii gibt es Diagramme, die ohne Kennntisse der historischen Musikwissenschaft nicht zu deuten sind: (Bei der Interpretation ließen sich ECTS-Punkte generieren!) |
||
AstronomieIn Liber VII, Tract. i erscheinen seit der Erstausgabe mehrere Diagramme, die ohne genaue Textkenntnisse nicht zu deuten sind. Ein Beispiel: (Bei der Interpretation ließen sich ECTS-Punkte generieren!) |
||
Zu den Drucken von Grüninger in StaßburgDer Drucker/Verleger Johannes Grüninger (ca. 1455–1532) hatte Erfolg mit bebilderten Büchern: Boethius (1501); Vergils Aeneis (1502), Murner, Sebastian Brant. Bereits ein Jahr nach der Erstausgabe der »Margarita« druckt er auch dieses Buch – ein©opyright gab es damals noch nicht, aber offensichtlich einen Markt für Bücher enzyklopädischen Inhalts. Parallel zu den "rechtmäßigen" Ausgaben erscheinen bis 1515 weitere "Raubdrucke". Den Text kann er einfach wieder setzen lassen; die Bilder lässt er neu als Holzschnitte verfertigen. Einige sind nicht präzis, andere verbessert er; zudem fügt er neue Bilder ein. Der Verleger Schott reagiert sauer und warnt seine Käufer vor dem Nachdruck, vgl. hier. Erstes Beispiel: Das Titelblatt zum 8.Buch über den Ursprung der natürlichen Dinge, wo Schott und dann Furter in allen Ausgaben bis 1517 das biblische Bild der Erschaffung Evas eingefügt hatten (vgl. hier oben), braucht Grüninger nicht kopieren zu lassen, sondern er greift auf ein Buch aus der eigenen Werkstatt zurück:
Der rechte Teil des Bilds erschien 1501 hier:
Zweites Beispiel: In allen Ausgaben von Schott und dann Furter erscheint als Vorspann zu Lib. V, tract. i: Musica speculativa (Musiktheorie) dieses Bild:
Grüninger lässt das Bild 1504 neu zeichnen:
Dank für die Hilfe bei der Deutung und Übersetzung an T.G. Winterthur. Literaturhinweise zu Pythagoras und Tubal (mit Hinweisen zu und Zitaten aus Quellen): Gene H. Anderson, Pythagoras and the Origin of Music Theory, in: Indiana Theory Review, Vol. 6, No. 3 (1983), pp. 35–61. > https://www.jstor.org/stable/24045969 Kees Verduin (Universiteit Leiden; 2003) > https://www.leidenuniv.nl/fsw/verduin/ghio/sourchro.htm |
||
Anhang: Inhaltsübersicht (»Margarita«, Ausgabe 1517)Liber I: De rudimentis grammaticesTractatus I: De notitia partium orationis (35 Kap.) Liber II: De principiis logicesTractatus I: De praedicabilibus (9 Kap.) Liber III: De rhetoricaTractatus I: De partibus orationis rhetoricae (23 Kap.) Liber IV: De quadrivii rudimentisTractatus I: De quadrivii laudibus et divisione (37
Kap.) Liber V: De principiis musicaeTractatus I: De musicae laudibus et utilitate (19 Kap.) Liber VI: De geometria speculativaTractatus I: De elementis geometriae (22 Kap.) Liber VII: De principiis astronomiaeTractatus I: De enumeratione et ordine dicendorum (52
Kap.) Liber VIII: De principiis rerum naturalium (41 Kap.) Liber IX: De origine rerum naturalium (42 Kap.)Elementenlehre, Kap. 6ff: Mixta der ersten und zweiten Zusammensetzung:
Regen, Hagel, Tau, Winde, Gewitter, Regenbogen, Kometen, Kap. 24ff: dritte
Zusammensetzung: Metalle, 26f: Pflanzen, 28ff. Tiere, 37ff.
Fortpflanzung der Tiere Fortpflanzung des Menschen, Kap. 42: sechs
Lebensalter Liber X: De anima et potentiis eiusdemTractatus I: De potentiis animae vegetativae (5 Kap.) Liber XI: De natura, origine ac immortalitate animae intellectivae(49 Kap., in 8 campus gegliedert) Liber XII: De principiis philosophiae moralis (56 Kap.)Dreiteilung (ethica, oeconomia, monastica); quid virtus, quomodo sit medium; Kap.46: de passionibus: Kap. 8ff. Tugenden aufgeteilt in intellectuales (prudentia), morales (zwölf, vier Kardinaltugenden, worunter wieder prudentia, v.a. iustitia behandelt), Einschub Kap. 2648: de religione et vitiis oppositis (nicht das 7er-Schema, Sammelsurium), und theologicae (fides, spes, charitas Kap. 49ff.) |
||
ForschungsliteraturKarl Hartfelder, Der Karthäuserprior Gregor Reisch, Verfasser der Margarita philosophica. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Band 44 / NF 5 (1890), S. 170–200. Robert Ritter von Srbik, Die Margarita philosophica des Gregor Reisch, in: Denkschriften der Akademie der Wissenschaften in Wien, Math.-nat.-wiss. Klasse 104 (Wien 1941), S. 85–205. > https://www.zobodat.at/pdf/DAKW_104_0083-0205.pdf Gustav Münzel, Der Kartäuserprior Gregor Reisch und die Margarita philosophica, in: Zeitschrift des Freiburger Geschichtsvereins 48 (1938), S. 1–87. Udo Becker, Die erste Enzyklopaedie aus Freiburg um 1495. Die Bilder der Margarita Philosophica des Gregorius Reisch, Freiburg: Herder 1970. Lucia Andreini, Gregor Reisch e la sua Margarita Philosophica, Salzburg 1997 (Analecta Cartusiana 138). Frank Büttner, Die Illustrationen der Margarita Philosophica des Gregor Reisch. In: Frank Büttner / Markus Friedrich / Helmut Zedelmaier (Hgg.): Sammeln – Ordnen – Veranschaulichen. Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit. Münster 2003, S. 269–300. Gilbert Heß, "Reisch, Gregor" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 384–386. > https://www.deutsche-biographie.de/pnd118744364.html#ndbcontent Ilona Pichler, Margarita philosophica: Der Makel der Lüge, Universität Salzburg 2015 (befasst sich mit der Frage der Raubdrucke) |
||
Zusammengestellt von P. Michel, März/April 2021 |
||