Eberhard Happel

     
 

Die Bilderwelt in Eberhard Werner Happel, »Gröste Denckwürdigkeiten der Welt«

(Hamburg 1683–1691)

 
     
 

Seine Person und sein Werk

Bild: Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung, Inventar-Nr. 20/117

Ein Bild des 24-jährigen Happel befindet sich auf dem Titelkupfer seines Romans »Der asiatische Onogambo«, 1673. Digitalisat der BSB

In seinem Roman »Der Teutsche Carl, Oder so genannter Europaeischer Geschicht-Roman, Auf Das 1689. Jahr« lässt er eine Figur seine eigene Lebensbeschreibung erzählen. Der Germanist Gustav Könnecke hat diese Teile zusammengestellt und kommentiert und wollte sie 1908 herausgeben. Aber erst 1964 wurde diese Schrift gedruckt. Ergänzter Nachdruck:

Lebensbeschreibung des Eberhard Werner Happel (1647-1690). Aus dem Roman ›Der Teutsche Carl‹, Kommentiert von Gustav Könnecke (1908). Mit einem Nachwort von Gerd Meyer, Kirchhain: Schröder 1990.

E. W. Happel (1647–1690) erreichte nur ein Alter von 42 Jahren. Er musste das Studium aus Geldnot abbrechen. Er verdingte sich als Hofmeister bei Edelleuten und bei Hamburger Kaufmannsfamilien. Aber er erhielt nie ein Amt bei Hofe. Er lässt sich in der weltoffenen Stadt Hamburg nieder und hält sich mit Gelegenheitsaufträgen als Ghostwriter für den Senat über Wasser. 1680 beschließt er, sich und seine Familie als hauptberuflicher Literat durchzubringen – etwas für die damalige Zeit völlig Ungewöhnliches. Er schreibt tausende von Seiten und lässt sie drucken.

Happel ist mithin einer der frühesten Journalisten. Aber im Gegensatz zu jenen Kollegen, die aktuelle Ereignisse berichteten, rezykliert er Reiseberichte, wissenschaftliche Werke, historische Quellen usw.

  • Das eine Standbein sind zehn Romane, die so gemacht sind: Es gibt ein Gerüst von heldenhaften Abenteuern, von getrennten und endlich wieder vereinigten vornehmen Paaren u.dgl., das als Aufhänger dient für gelehrte Exkurse, Berichte über fremde Staaten, für geographische, historische Realien, Schwänke und Anekdoten. Mittels eines Registers konnte der Leser auch direkt auf diese Einsprengsel zugreifen. --- Diese aus Lesefrüchten zusammengestoppelten Romane (Eichendorff nannte solche Texte später »tollgewordene Enzyklopädie[n]«) waren sehr beliebt.

  • Das andere Standbein sind die »Grösten Denckwürdigkeiten der Welt (Relationes Curiosae)«, das ist ein Wochenblatt, das er seit 1683 in dem dafür spezialisierten Verlag Wiering publizierte. Auch hier wird Wissen, das Happel in der ›Gemeinen Bibliothek‹ in Hamburg zusammentrug, second hand (oder meist third hand) weitergereicht. – Die Beiträge folgen hier in losen Assoziationsreihen. Man konnte sie alle 2 Jahre auch in Bänden gebunden erwerben, diese Bände waren je um die 700 Quartseiten stark. 5 Bände sind zu Happels Lebzeiten erschienen.

[1] E. G. Happelii Gröste Denkwürdigkeiten der Welt Oder so genannte Relationes Curiosæ. Worinnen dargestellet/ und Nach dem Probier-Stein der Vernunfft examiniret werden/ die vornehmsten Physicalis. Mathematis. Historische und andere Merckwürdige Seltzamkeiten/ Welche an unserm sichtbahren Himmel/ in und unter der Erden/ und im Meer jemahlen zu finden oder zu sehen gewesen/ und sich begeben haben. Der Erste Theil. Einem jeden curieusen Liebhaber zu gut auffgesetzet/ in Duck verfertiget/ und mit vielen Figuren und Abrissen erläutert, Hamburg: Wiering 1683. https://archive.org/stream/imageGIX360MiscellaneaOpal#page/n0/mode/2up

Auswahl in modernem Neusatz: Eberhard Werner Happel, Größte Denkwürdigkeiten der Welt oder Sogenannte relationes curiosae, in Auswahl hg. von Uwe Hübner und Jürgen Westphal. Textrev. und Anm. Jürgen Westphal, Berlin: Rütten und Loening 1990.

  • Happels »Denckwürdigkeiten« hatten so viel Erfolg, dass ein anderer Journalist sie noch 3 Jahrgänge lang (1707–1709) fortsetzte. Hier finden sich allerdings nur noch wenige und schlechte Bilder.

  • Eine andere Darbietungsform (heute würden wir sagen ein anderes ›Format‹) für das kolportierte Wissen ist ein Lexikon, das er unter dem Titel »Mundus Mirabilis« gleichzeitig herausbrachte. Wohl eine Zweitverwendung (heute würde man das kaum sinnvolle Wort ›Selbstplagiat‹ verwenden).

  • ... und noch ein bebildertes Werk: »Thesaurus Exoticorum«. Oder eine mit Außländischen Raritäten und Geschichten Wohlversehene Schatz-Kammer/ Fürstellend Die Asiatische, Africanische und Americanische Nationes Der Perser/ Indianer/ Sinesen/ Tartarn/ Egypter/ ... Nach ihren Königreichen.../ Hamburg: Wiering 1688.

  • Ferner verdanken wir Happel eine Übersetzung des römischen Schriftstellers Valerius Maximus. Es ist typisch, dass er dieses Werk übersetzt, eine bunte Sammlung von Anekdoten.

    Valerius Maximus Von Denckwürdigen Reden und Thaten Der Römer und Frembden / Ins Teutsche übersetzt Von Everhardo Guernero Happelio, In Verlegung Georg Wolff/ Buchhändlers in Hamburg/ Gedruckt zu Franckfurt bey Johann Görlin. Anno MDCLXXVIII.

 

E. G. Happelii Gröste Denckwürdigkeiten der Welt Oder so genannte Relationes curiosæ. Worinnen dargestellet/ und Nach dem Probier-Stein der Vernunfft examiniret werden/ die vornehmsten Physicalische/ Mathematische/ Historische und andere Merckwürdige Seltzahmkeiten/ Welche an unserm sichtbahren Himmel/ und unter der Erden/ und im Meer jemahlen zu finden oder zu sehen gewesen/ und sich begeben haben […] Einem jeden curieusen Liebhaber zu gut auffgesetzet/ in Druck verfertiget/ und mit vielen Figuren und Abrissen erläutert. […] [5 Bände; mit leicht wechselnden Titeln] Hamburg: Wiering 1682–1691.

Happel war ein großer Popularisator. Die »Denckwürdigkeiten« lassen sich vergleichen mit Infotainment-Heften wie dem »PM-Magazin« oder »Welt der Wunder«, »GEO Geschichte« oder Fernsehserien wie »nano« und »Galileo«. Happel steht hier als Beispiel für die Verbindung der Funktionen Wissensvermittlung und Unterhaltung (›Edutainment‹).

Leitbegriff für diesen Habitus ist die Neugierde (lat. curiositas). Das Wort curiosus bedeutet, bezogen auf die Haltung eines Menschen: ›aufmerksam, interessiert, wissbegierig, offen für Ungesichertes‹ – bezogen auf die damit erkundete Sache: ›eigenartig, merkwürdig, seltsam, sonderbar, ausgefallen‹. Die Suche nach Unbekanntem und Seltsamen hat den Sammeleifer der Forscher beflügelt. Das 16. Jh., das 17.Jh. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts waren die Epochen der grossen Sammlungen: Zitate aus den antiken Schriftstellern wurden in Büchern zusammengestellt, Naturalien und Artefakte in Museen und Kuriositätenkammern. Der Curiose sammelt zunächst wissbegierig; unter seinen Exponaten wünscht er sich Seltsames; kritisches Ausscheiden vertagt er meist.

Sekundärliteratur zu Happels Werk:

Uta EGENHOFF, Berufsschriftstellertum und Journalismus in der Frühen Neuzeit: Eberhard Werner Happels »Relationes Curiosae« im Medienverbund des 17. Jahrhunderts, Bremen: Ed. Lumière 2008 (Presse und Geschichte Neue Beiträge; 33).

Flemming SCHOCK, Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der »Relationes Curiosae« von E.W. Happel, Böhlau-Verlag 2011.

Annemarie GEISSLER-KUHN, „Nach dem Probier-Stein der Vernunfft examiniret“. Popularisierung realkundlichen Wissens in der Bunt­schriftstellerei der Frühen Neuzeit, (Schriften zur Kultur­geschichte Band 50), Hamburg: Kova? 2018, 590 Seiten; ISBN 978-3-8300-9896-6

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Acht Fallstudien

••• Portrait

••• Wunder der Natur

••• Tradition von Bildmustern und Wissen

••• Film vor dem Film

••• Exotische Grausamkeiten

••• Unglücksfälle

••• Technische Utopie

••• Der Stralsundische Schiff-Streit in der Lufft

••• Kleine Bilanz

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Portrait

Der fünfte Band von Happels Relationes enthält 13 Portraits von berühmten Herrschern der jüngeren und ferneren Vergangenheit.

Wozu dient die veristische Abbildung eines menschlichen Gesichts?

  • Sie erschöpft sich nicht in der Funktion, zu ›zeigen, wie jemand (Abwesender) aussieht‹. Es gibt noch andere Funktionen:
  • Bei Grabstatuen geht es darum, einer bestimmte Person zu gedenken.
  • Herrscher wollen durch Anbringung oder gar Verbreitung ihres Portraits Präsenz markieren. Denken wir an die Bildnisse von Louis XIV.

1691 publiziert Happel das Bildnis der kürzlich verstorbenen Königin Christine von Schweden (Drottning Kristina 1626–1689) (Relationes V,100).

Vorlage für den Kupferstich ist ein Ölbild von Sébastien Bourdon (1616–1671) seit 1652 Hofmaler der Königin.

Ihr romaneskes Leben hat Romanciers und Filmemacher bis heute angeregt. Sie hatte durch ihre verschwenderische Hofhaltung, ihr burschikoses Auftreten, die Weigerung zu heiraten und ihre hohe Bildung – man beachte: sie hält kein Szepter in der Hand, sondern ein Buch; 1649/50 war Descartes an ihrem Hof in Stockholm – Aufsehen erregt, vor allem durch ihre Abdankung 1653 und die Konversion zum Katholizismus.

Während ihres Lebens in Rom betrieb sie aber weiterhin Machtpolitik. Ihre Pläne zur Gewinnung des Throns von Neapel wurden verraten, und Kristina ließ den vermutlichen Verräter aus ihrem Gefolge, den Oberstallmeister Markgraf Giovanni Monaldeschi – mit dem sie wohl auch ein über das Amtliche hinausgehendes Verhältnis hatte –, in Schloss Fontainebleau am 10. November 1657 töten. Dieser Tat, die die Gemüter in ganz Europa erhitzt hatte, ist auch der Hauptteil des Artikels bei Happel gewidmet.

http://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Monaldeschi

Es ist denkbar, dass solche Portraits auch mit dem physiognomischen Wissen der Zeit in Verbindung gebracht wurden. Die Physiognomie versucht, von den Gesichtszügen auf die Charaktereigenschaften des Menschen zu schließen.

Ein zentrales Werk hierüber ist das 1586 erschienene Buch »De humana physiognomia« von Giambattista Della Porta (1535–1615).

Menschen, deren Profil dem Raben gleichen, mit einer spitz zulaufenden Nase (fastigatio) charakterisiert er als: unverschämt (inverecundus) und schelmisch, dreist (improbus).

Vielleicht haben gebildete Zeitgenossen so etwas assoziiert.

Literaturhinweise

De humana physiognomia Ioannis Baptistae Portae Neapolitani, Libri IIII, qui ab extimis, quae in hominem corporibus conspicuntur signis, ita eorum naturas, mores & consilia ..., M. D. XCIII Hanoviae, Apud Guilielmum Antonium
http://www.archive.org/stream/iobatisportaenea00port#page/n1/mode/2up

Moderne dt. Übers. [übers. Will Rink]: Johannes B. Porta, Die Physiognomie des Menschen; zur Deutung von Art und Charakter der Menschen aus den äusserlich sichtbaren Körperzeichen, Radebeul/Dresden: Madaus, 1930.

Claudia SCHMÖLDERS, Das Vorurteil im Leibe. Eine Einführung in die Physiognomik, Berlin 1995. http://www.enzyklopaedie.ch/dokumente/Temperamente&Emotionen.html#dellaporta

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Wunder der Natur

Happel schreibt (Relationes I, 59ff.), es sei höchlich zu bejammern, daß der irrdische Mensch durch den leidigen Fall Adams […] nicht allein an dem innerlichen Erkänntiß verfinstert/ sondern auch an seinem Gesicht [Gesichtssinn] […] solchen Mengel und Abgang empfindet/ daß er an keinem einigen Geschöpfe/ das in der Lufft/ auff dem Erdboden/ oder in dem Wasser zu schauen […] des allmächtigen Schöpffers unaußsprechlich=geschaffene Weißheit weder am gantzen erkennen/ noch an dessen verschiedenen Theilen wahrhafftig kan beaugen.

Hier wird der zwischen ca. 1650 und 1730 reich entwickelte physikotheologische Gedanke ausgesprochen: Des Schöpfers Allmacht, Weisheit, Güte kann erkannt werden in seiner intelligent ausgeführten Schöpfung, d.h. von der Einsicht in den kunstvollen Bau der Tiere, Pflanzen u.a.m kann man staffelweise aufsteigen zur Erkenntnis und zum Lobe Gottes.

Dann unwiedersprechlich leichter ist zu erkennen/ und durch die Würckung der Sinnen zu begreiffen das/ was Gottes unbegreiffliche Weißheit gemacht hat/ […] als sich das nur spekulativ zu erschließen.

Zur Schärfung des Gesichtssinns seien in letzter Zeit die Mikroskope erfunden worden.

Rühmlich zu gedenken sei des Robertus Hook (Robert Hooke 1635–1702), dessen »Micrographia: or, Some physiological descriptions of minute bodies made by magnifying glasses« in London 1665 erschien.

Dahero itzo nichts so klein mag gefunden werden/ welches nicht durch ein mit dergleichen Glase bewaffnetes Auge völlig solte erkennen können. Also wird uns dadurch gleichsam eine neue Welt entdecket. .... Im Gegensatz zu den Vorfahren, die mit raisonnieren auskommen mussten, und glauben mussten, was sie nicht sahen, können wir wohl versichert seyn dessen/ was wir mit unseren Augen sehen.

Was sonst unmöglich zu sehen ist, kann mittels des Vergrößerungsglases nicht ohne Gemüths=Ergetzung beschauet werden: eine Nadelspitze, Vogelfedern, Samen von Blumen, Würmlein in faulendem Ost, Schimmelpilze, der Bienenstachel, und vor allem Läuse und Flöhe.

Der Floh, der dem Menschen viel Verdrießlichkeit schafft, sieht unter dem Mikroskop sogar schön aus, ist er doch ein Geschöpf Gottes! Happel hat natürlich nicht selbst mikroskopiert; er ließ den riesigen Kupferstich aus Hookes Werk zu einem Holzschnitt umarbeiten.

Hier die Tafel aus Hooke, »Micrographia« (1665).
> https://archive.org/stream/mobot31753000817897#page/XXXIV/mode/1up

Happel ist nicht der einzige, der abkupfert; er ist sogar in guter Gesellschaft, vgl.: »Encyclopédie«, Planches, Sixième Volume (1769), Histoire naturelle, pl. LXXXV: La figure que nous donnons ici de la puce a été copiée d’après celle que Hooke a donnée dans sa Micrographie, vue et grossie au microscope solaire comme l’espèce de la planche précédente [pou de l’homme].

Unter dem Mikroskop beobachtet und gezeichnet hat den Floh dann wieder 1763 Martin Ledermüller (vgl. seine Bemerkung S.44).

Martin Frobenius Ledermüllers, Hochfürstlich- Brandenburg- Culmbachischen Justiz-Raths ... Mikroskopische Gemüths- und Augen-Ergötzung [Hauptband]: Bestehend in Ein hundert nach der Natur gezeichneten und mit Farben erleuchteten Kupfertafeln, sammt deren Erklärung — Nürnberg, 1763.
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ledermueller1763bd1/0076/image

Literaturhinweis:

Paul MICHEL, Physikotheologie. Ursprünge, Leistung und Niedergang einer Denkform (Neujahrsblatt auf das Jahr 2008, Herausgegeben von der Gelehrten Gesellschaft in Zürich) Inhaltsverzeichnis als PDF

Mehr zum Floh: Ulrich STADLER, Der ewige Verschwinder. Eine Kulturgeschichte des Flohs, Schwabe Verlag 2024 (308 Seiten; 24 Abb.)

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Tradition von Bildmustern und Wissen

Happel bringt, um die Lust seiner Leser am Exotischen zu befriedigen, eine längere Sequenz über Elefanten (II, 707–724).

Das Bild (Band II, nach S.708) zeigt unter anderem den Kampf einess Nashorns gegen einen Elefanten. Das Bild kennen wir aus Dürers berühmtem Holzschnitt (1515), auf dem u.a. zu lesen ist:

Das dosig Thier ist des Helffantz todt feyndt. Der Helffandt furcht es fast ubel/ dann wo es In ankumbt/ so laufft Im das Thier mit dem kopff zwischen dye fordern payn/ und reyst den Helffant vnden am pauch auff und erwürgt In/ des mag er sich nit erwern. Dann das Thier ist also gewapent/ das Im der Helffandt nichts kan thuon.

Happel bringt genau diese Vorstellung (S.721):

Es führet der Elefant einen continuirlichen Krieg mit dem Rhinoceros oder Nasehorn/ welcher ihm mit seinem spitzigen Horn/ so er auff der Nasen führet/ gemeiniglich nach dem weichen Unterbauch trachtet/ allwo er ihn am füglichtsen überwinden kan.

Das Bild erscheint bereits bei André Thevet (1516-1590):

Hier aus der Ausgabe Anvers [Antwerpen], de l’imprimerie de Christophle Plantin a la Licorne d’or, 1558.

Zur Tradition der Vorstellung vom Nashorn-Elefanten-Kampf siehe diese Seite.

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Film vor dem Film

Eine Zusammenballung aus geographischer Belehrung und Schauergeschichten stellt die Beschreibung des Mahlstroms dar; dies ist ein Gezeitenstrom zwischen den Lofoten-Inseln Moskenesøy und Værøy in Norwegen. Er wurde schon 1555 von Olaus Magnus (1490–1557) beschrieben. Historia de Gentibus Septentrionalibus, zuerst Rom 1555 > http://sv.wikipedia.org/wiki/Historia_om_de_nordiska_folken

Wir kennen ihn aus Edgar Allan Poe’s Erzählung »A Descent into the Maelstrom« (1841).

Happel beschreibt die Lage vor der norwegischen Küste und zitiert dazu einen Spezialisten, Peder Claussøn Friis, »Norriges oc omliggende Øers sandfoerdige Bescriffuelse...« (1632)
> http://www.archive.org/details/8LAROQ0695NOR

Der erschreckliche Meer-Wirbel hat einen Durchmesser von 13’000 Schritt. Wenn die Flut am höchsten ist, beginnt der Wirbel sich zu drehen:

Kein Schiff/ wie groß es auch immer sein mag/ kan seiner Gewalt entgehen/ wann es ihm zu nahe kompt/ es wird auff eine Meil wegs vom würbelenden Strohm ergriffen/ etliche mahl in einem Circul herumb geschläudert/ und hernach in das grosse Trichter=Loch mit solcher Hefftigkeit gestürtzet/ daß es an dem verborgenen Felsen alsobald in kleine Splitter zerspringet/ welche alsdann bey tausenden wieder herfür kommen …

Happel gibt zwei Bilder auf einer Seite (I, 80). Interessant ist, dass sie mit Verweisbuchstaben versehen sind, auf die der Text Bezug nimmt.

Zur oberen Darstellung setht der Text:

Wann die Wasser-Säule A in der obersten Figur auffsteiget/ so sincket B/ und wann C empor gehet/ so fället D. Wann E springet/ so eylet F wieder hinunter/ und so machen es alle auffsteigende Wasser-Berge/ ...

Wenn man den Text liest und dazu das Bild betrachtet, ergibt sich gleichsam ein Film.

Happel schließt an die grauenerregende Schilderung die naturwissenschaftliche Frage an, wo sich das Wasser denn zur Zeit der Ebbe aufhalte. Hier kann er den Gelehrten Athanasius Kircher (»Mundus subterraneus«, 1664) zitieren, der mutmaßte, dass alle Meere unterseeisch verbunden sind und im Austausch stehen.

Die kartographische Darstellung der Strömung bei Athanasius Kircher (»Mundus Subterraneus«, hier aus der Ausgabe 1678, I,152) »Descriptio Verticis Norvegiae et Bothnicae« ist völlig unspektakulär: Die Strömungen sind im Kupferstich mittels feiner Striche dargestellt, wie man das in einer modernen Seekarte auch tut.

Happel kennt diese ›objektive‹ Darstellung durchaus: In einer langen Sequenz über Die grösten Denckwürdigkeiten des Meers (II,443–476) spricht er auch über den Würbel=Strohm (II,449) und bringt eine Seekarte mit ›diagrammatisch‹ eingezeichneten Strömungsverläufen.

Für das oben gezeigte Bild des Mahlstroms hat er die Sache indessen dramatisiert; die Karte von Olaus Magnus (»Carta Marina«, erster Druck Venedig 1539, weitere Drucke z.B. 1572) scheint Pate gestanden zu haben:

Literaturhinweise

Jörg Jochen BERNS, ›Film vor dem Film‹. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Marburg: Jonas 2000.

http://de.wikipedia.org/wiki/Moskenstraumen

http://www.lib.umn.edu/apps/bell/map/OLAUS/TOUR/indext.html

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Exotische Grausamkeiten

Happel gibt in Band I (1683 erschienen), ab S. 518 über 50 Seiten hinweg eine kunterbunte Folge zum Thema Grausamkeiten, Tortur, Folter, Marter-Instrumente, Peinigungen, grausame Leibesstrafen --- die perverse Erfindungskunst hierbei war sehr vielfältig. Spanische Stiefel, einnähen in Tierhäute, Pfählen, Bauchaufschneiden, Schinden, am Spieß braten, in einem Mörser zerstampfen, bei lebendigem Leibe einmauern, usw.

Die Peinigungen werden anhand der antiken Römer und der gegenwärtigen grausamen Barbaren beschrieben, die hierin nicht Maaß halten können: v.a. Persien, im Türkenreich, bei den Indianern, in Japan und China. – Bekanntlich waren die Leibesstrafen in Zentraleuropa im 17.Jh. nicht weniger grausam.

Die Darstellung exotischer Grausamkeit dient vermutlich der Projektion: Gewisse unliebsame Elemente (unerträgliche Eigenschaften, Gedankeninhalte, Gefühle, Sehnsüchte und Wünsche des Individuums oder der Gemeinschaft, die mit gesellschaftlichen Normen in Konflikt stehen / für die man sich schämt / die man sich nicht zuzugeben getraut) werden auf Menschen(gruppen), Lebewesen oder auch sonstige Objekte abgebildet, ihnen zugeschrieben, in diese verlagert, so dass sie als aussen befindlich erklärt werden können und so besser bewältigt werden können. Es handelt sich um einen Abwehrmechanismus zur Bewältigung der Negativanteile des Eigenen und zur Aufrechterhaltung der Stabilität der Person/Gruppe. – Hier das zivilisierte Europa, dort eine barbarische ferne Welt.

Ein Beispiel ist das der chinesischen Cangue / Canga, die offenbar noch gegen Ende des 19.Jhs. angewendet wurde.

aus: Happel, Denckwürdigkeiten I,531

Diese Bretter waren … so groß/ daß man mit der Hand nicht kunte darüber hinreichen/ umb an den Mund zu kommen/ derowegen musten sie/ wann sie essen oder trincken wolten/ [von] anderer Leuthe Gnade leben. Mit diesem beschwerlichen Kragen musten sie Tag und Nachts stehen bleiben/ biß alle Feuchtigkeiten … in ihre Beine geflossen waren/ wodurch dieselbe allgemach begunten zu verfaulen

Das Bild bei Happel dient dem Glaubwürdigkeits-Management: Tracht (Hüte, Zopf!) und die Palme in Hintergrund versetzten die Szene in eine ferne Welt.

Literaturhinweise: Über die Strafpraktiken im mittelalterlichen und frühmodernen Europa orientieren:

Wolfgang SCHILD, Bilder von Recht und Gerechtigkeit, Köln 1995.

Richard VAN DÜLMEN, Theater des Schreckens: Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München: C.H.Beck, 1995; (Beck'sche Reihe 349).

Moderne Fotografien sind im Web mit dem Suchbegriff »Cangue« leicht zu finden.

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Unglücksfälle

Immer wieder haben sich die Leser recht mitleidslos an Unglücksfällen erfreut. Die Psychologie des »Grunds des Vergnügens an tragischen Gegenständen« (nach Schillers Titel 1792) ist wohl einfach die: Wir sind noch einmal davongekommen. Es hat an einem anderen Ort eingeschlagen. Dazu muss das Ereignis weit genug weg sein und doch so konkret, dass es auch mir hätte passieren können.

Happel und Nachfolger bedienen dieses Bedürfnis. Wenn gerade nichts Grauenerregendes passiert ist, entnimmt man es der Mottenkiste der Geschichte.

Der hier berichtete Unfall betrifft einen berühmten Unfall am französischen Königshaus im 14.Jh., der als ›Bal des Ardents‹ in die Geschichte einging.

Aus einem Manuskript der zeitgenössischen Chronik des Jean Froissart

Für den gemütskranken Karl VI. (1368–1422) wurde an seinem Namenstag (28. Januar 1393) zur Erheiterung ein Maskenball veranstaltet. Er selbst wollte zusammen mit 5 adligen Freunden als ›Wilde Männer‹ auftreten. Sie schmierten sich mit Pech ein, bedeckten sich mit Federn und Werg und ketteten sich aneinander. Wie einem eine Fackel zu nahe kam, entzündete sich die Montur – Löschversuche mit Wasser und Weinkannen taugten wenig – vier der sechs Vermummten verbrannten jämmerlich.

Matthäus Merian illustriert das Geschehen in: Johann Ludwig Gottfried, Historische Chronica oder Beschreibung der führnembsten Geschichten so sich von Anfang der Welt biß auff unsere zeitten zugetragen, hier aus der Ausgabe Frankfurt 1674, S. 628:

> https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11055836_00712.html

Der Fortsetzer von Happels Werk, Barthold Feind d. J. (1678–1721), bringt die Geschichte dann ebenfalls:

Relationes curiosae, Oder Denckwürdigkeiten der Welt/ worinnen allerhand remarquable Seltenheiten ........ zusammengetragen werden. .... Daß also diese Arbeit gar füglich E. G. Happelii Continuation seiner hiebevor gedruckten curieusen Relationen genannt werden könne. Hamburg: Reumann 1707.

In der Moralisation der Geschichte klingen drei Momente an:

• Wollust kehrt sich schnell in Leid – das kann jedem passieren

• Hofkritik

• Nationenstereotyp: die Franzosen sind leichtlebig – das kann uns redlichen deutschen Bürgern nicht widerfahren:

Wie zu Hofe öffters die angestellte grösten Lustbarkeiten auff ein schmertzliches Ende hinaus lauffen/ und die Freude so man dadurch zu erwecken vermeint in ein tödtliches Leidwesen kan verkehret werden/ davon hat Frankreich sonderliche Beyspiel gegeben. (Seite 427)

Das Bild möchte die Distanz zwischen Benachrichtigtwerden und Erleben aufheben.

Im Text steht nirgends, dass jemand einen der Brennenden mit Wasser/Wein aus einem Krug zu löschen versucht hat. Der Illustrator hat diese Vorstellung selbst entwickelt.

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Technische Utopie

Ein Beispiel dafür, dass Bilder (gezeichnete Bilder, nicht Fotografien!) nicht einfach etwas Vorhandenes ab-bilden, sondern auch etwas bislang noch nicht Dagewesenes entwerfen können, sind die technischen Utopien.

Das in der Lufft seeglende Schiff wird von Happel selbst als Project bezeichnet, das indessen nicht bloß erdichtet / sondern auff einem guten Grund beruhe (IV,309).

Die Idee stammt von Francesco Lana Terzi, S.J. (1631–1687) »Prodromo ovvero saggio di alcune invenzioni nuove premesso all’arte maestra« 1670, den Happel zitiert.

Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Francesco_Lana_di_Terzi

Der ganze Traktat: La nave volante, dissertazione del P. Francesco Lana da Brescia [undatiert]
> https://www.e-rara.ch/zut/content/zoom/3387275

Ferner verlässt er sich auf eine Darstellung von Johann Christoph Sturm. Dieser hat ein Experiment ausgedacht: Ein in einem wassergefüllten Bottich befindliches bleiernes Schiff sinkt, sobald es an zwei luftgefüllten Kugeln aufgehängt ist, nicht mehr zum Grund. (Vgl. die Abbildung links in Happels Bild.) Hieraus folget dann klärlich, dass man, um ein Schiff in der Luft zu behalten, nur Hohl-Kugeln braucht, die leichter als Luft sind. Dass man Kugeln luftleer saugen kann, habe Otto von Guerike ja bereits bewiesen; und Happel zeigt (vgl. die Abbildung rechts im Bild), wie man dies mit dem Gewicht von Wasser in einem Rohr tun kann.

Es wird festgestellt, dass die Luft ein Gewicht hat, und zwar ein cubischer Fuß anderhalb Untzen schwer ist. Es folgen umständliche Überlegungen, dass (wie wir uns heute ausdrücken würden) das Gewicht einer Hohl-Kugel-Hülle nur im Quadrat ansteigt, während das Volumen in der dritten Potenz wächst. Nach langwierigen Rechnereien kommt er zum Schluss, dass eine Kupferkugel von 16 Fuß Durchmesser nur 33’792 Unzen wiegt, während die darinn begriffene und eben ausgepumpte) Luft 45’056 Unzen wöge, so dass die Kugel füglich in der Luft schweben/ und noch eine gute anhangende Last tragen könte.

Der Autor beruhigt die Leser, dass das Schiff nicht in unermessliche Höhen steigen werde, sintemahl die Lufft/ je höher sie steiget/ je leichter und subtiler sie ist. Im übrigen werde es sinken, so man nur ein wenig Luft durch die aufgezogne Hähnlein in die Kugeln lässet.

Man sieht daraus, daß in der Kunst noch viel Sachen stecken/ die sich lassen practiciren, und ins Werk richten/ ob gleich solche in einer blossen Proposition gantz lächerlich und unmüglich scheinen. ... Der Text hört auf mit dem Satz: Ein Grosser Herr spendire drauff/ und sehe zu/ ob es nicht angehen wird.

Das Bild bei Happel ist aus verschiedenen Sphären komponiert: Im Vordergrund werden die Experimente von Ch. Sturm dargestellt, im Hintergrund wird die utopische Vorwegnahme des Gefährts gezeigt. Happels Illustrator visualisiert nicht einfach nur die Anordnung der technischen Teile (bei Lana Terzi 1670 ist das Luftschiff ›freigestellt‹), sondern inszeniert auch den aufsehenerregenden Moment beim Abheben: Ein gerade mit Pokalen anstoßendes Trinkerpaar wird getrennt, und sogar die Hunde merken, dass sich hier etwas Besonderes ereignet. Dies vor einer Landschaft mit Kirche und Windmühle (bedeuten die etwas?) So wird das Utopische glaubwürdig.

Bereits 1697 wird Happel von einem andren Buntschriftsteller zitiert: Wilhelm Ernst Tentzel (1659–1707), Monatliche Unterredungen einiger guten Freunde von allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten: allen Liebhabern der Curiositäten zur Ergetzlichkeit und Nachsinnen herausgegeben, 1697, Seite 766:

> https://books.google.ch/books?id=xdJKAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

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Der Stralsundische Schiff-Streit in der Lufft

Anhand dieses Kapitels lässt sich das Nebeneinander von ›magischem‹ und ›rationalem‹ Weltbild schön zeigen.

Hier das Bild und Auszüge aus dem Text (Vierter Theil. Grösseste Denkwürdigkeiten der Welt 1689, S. 571–581); dann folgt eine Analyse.

> https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10059072_00672.html

(A) Wann in einem Land etwas sonderliches fürgehen soll/ wird solches vorher ins gemein durch seltzame Zeichen bedeutet/ dahero merckte man gar fleißig drauff/ und schlug es keines wegs in Wind […].

(B) Anno 1665 sind am 8 Aprilis umb 2 Uhr Nachmittags 6 Fischer mit ihrem Geräth aus Stralsund auf die Ost-See hinaus gefahren/ da sie dann gesehen/ daß erstlich Vormitternacht eine grosse Menge Vögel daher geflogen/ welche sich bald in einen Kreyß geschwungen/ allgemach aber in einen Klumpen zusammengegangen/ und zu letzt sich in ein Kriegs-Schiff verwandelt/ so von Mitternacht mit unzehlich vielen andern gleicher Arth angeseegelt kam. Nachdem selbige Schiffe hie und dahin ihren Lauff genommen/ schiene eine gleiche Anzahl anderer Schiffe von Westen daher zu fliessen/ und gerade auf jene Flotte anzuseegeln/ mit welcher sie sich in eine grosse Schlacht einließ/ wovon so viel Feuers und Dampffs entstund/ daß die Fischer sonst fast nichts mehr davor sehen kunten/ als die beyde grösseste Schiffe/ eines gegen Norden/ das andere gegen Westen. Letztlich ist das Nordische Schiff-Heer gezwungen worden zu weichen/ und verschwunden/ das Westliche aber inzwischen an seinem Orth stehen blieben. […]

(C) [Der Gewährsmann von Happel] muthmasset/ es sey durch dieses Lufft-Gesicht derjenige Krieg bedeutet worden/ welcher noch selbiges Jahr zwischen den Engell- und Holländern angegangen/ darinn sich die Franzosen und Dänen miteingeflochten/ auch Schweden nicht allerdings frey davon geblieben/ sondern durch Ansteckung einer so nahe benachbahrten Kriegs-Seuche in vielerley Dfficultäten geführet worden/ daraus es sich hernach kaum wieder heraus zuwickeln vermocht. Gleich wie man nun diese Bedeutung nicht verwirfft/ so besorgt man/ es habe solches Vorzeichen nicht nur auf jetzt gesagten Erfolg/ sondern zugleich auch weiterhin aus gesehen/ nehmlich auf den schweren und grausam blutigen Krieg/ der die Französische und Englische Schiff-Flotten mit der Holländischen aneinandergebracht […]

(D) Unter den Gelährten gibts viel disputirens von der Ursach oder Uhrsprung sothaner seltzamer Gesichter/ und behaupten etliche/ der Teuffel äffe und blende den Leuthen nur also die Gesichter und das Gehör/ daß sie meinen etwas zusehen oder zuhören. Oder er bereite die Luft so und so dazu/ daß dieselbe eine und andere Gestalt kan praesentiren/ oder drittens führe er vielleicht würcklich einen Hauffen seiner Creaturen/ die sich ihm ergeben/ oder sonsten andere Gottlose Leuthe in die Lufft oder stelle sie ins Feld oder auffs Wasser/ daß sie solchen Lärmen machen und dergleichen Gefechte halten müssen.

(E) Doch vermeint ein gewisser gelährter Mann/ es sey nicht vermuthlich/ daß der Teuffel oder seine Schuppen/ die Hexenmeister und Schwarzkünstler/ so viel Gewalt haben/ daß sie so vieler Menschen/ auch sogar der Frommen Gottseeligen und verständigen Sinne solcher Gestalt teuschen können/ sowohl darum/ weil des Menschen Sinnen/ wann ihnen gute Vernunft beywohnet/ weder betriegen/ noch betrogen werden/ als auch deswegen/ weil es gar nicht glaub noch vermuthlich/ daß wann gleich etlicher Leuthe Sinnen durch Hexen oder andere Gauckel-Possen geblendet würden/ darumb eben aller Zuseher Augen betrogen werden könten. Wannenhero er vermeinet/ es könne nicht wohl angenommen werden/ daß solche Erscheinungen lauter Augen-Täuscherey oder Teuffels-Possen seyen.

(F) Der Teuffel ist ein Tausendkünnstler/ welcher so vieltausend Jahr in die Schule gegangen/ darinn er Zeit gnug gehabt hat/ rechtschaffen zu studieren /welcher Gestalt er die Menschen durch sonderliche Räncke in sein Netz locken/ oder selbige zum wenigsten auff allerhand Weise täuschen unnd betriegen möge.

(G) Die natürliche Ursach sothaner Erscheinungen. […] Wann es Wolcken von mancherley Farben gibt/ wie man sonderlich bey Sommers-Zeiten umb den Horizont, und in einer bethaueten Wolcken erblickt/ die vermittelst der Sonnen-Strahlen den Regenbogen formirt/ und wann solche Wolcken offt mancherley/ wiewohl umbständige Abbildungen/ und seltzame Figuren uns weisen/ wie auch ein jeder sich manchmahl selber solches einbildet/ warumb solten dann nicht auch die Rauch-Dämpffe und Dünste/ so beydes von der Erden und aus dem Meer in die hohe Lufft hinaufffahren/ durch sonderbahre Schickung Gottes also erhoben/ zusammen gefügt und gebildet werden können/ daß sie uns Reuter und Knechte/ Kriegs-Heer und Schiff-Flotten fürstellen? und wann durch mancherley Temperirung des Liechts/ mancherley Farben sich erzeigen/ wie solte nicht auch durch solche Beqvemung des Liechts/ ein Schein oder Gleichheit Goldschimmrender Kleider/ gläntzender Schilde und Helmen unsern Augen können fürgeworffen werden?

Schauen wir uns diese ›Gemengelage‹ von Argumentationen an, die Happel so stehen lässt, ohne sie gegeneinander abzuwägen!

(A) / (C) Dass Naturphänomene (Erdbeben, Kometen, Blutregen, Wundergeburten wie doppelköpfige Schafe) Vorzeichen künftiger Erscheinungen sind, ist eine vor allem im 16. Jahrhundert weit verbreitete Ansicht. Der Zürcher Pfarrer Johann Jakob Wick hat 1559 bis 1588 entsprechende Materialien zu einer umfassenden Sammlung zusammengetragen. 1557 erscheint das dicke Buch »Wunderwerck oder Gottes unergründtliches vorbilden« von Conrad Lycosthenes.

(B) Es wird ein konkreter Fall beschrieben und dazu ein Bild (oder eher: eine Imagination) gegeben. Happel bringt nachher noch weitere solche Fälle von vorzeichenhaften Himmels-Erscheinungen.

(D) Diese Phänomene sind vom Teufel oder seinen Gehilfen verursacht.

(E) Der Teufel hat keine Macht, vernünftige Menschen zu täuschen.

(F) Der Teufel vermag – bisweilen durch göttl. Zulassung – die Menschen tatsächlich zu täuschen.

(G) Hier zitiert Happel den zeitgenössischen Universalgelehrten Caspar Schott (1608–1666), Verfasser einer »Physica curiosa«. Die Erscheinung wird einerseits meteorologisch begründet; Halo-Effekte durch Reflexion und Brechung von Licht an Eiskristallen kennt auch die moderne Physik. [Anm.] Anderseits schwingt auch etwas Psychologie mit: Wir projizieren unsere Vorstellungen auf diese Naturerscheinungen.

Anm.: Marcel Minnaert, Licht und Farbe in der Natur (Licht en kleur in het landschap, 1954), Basel: Birkhäuser 1992; S. 262ff.

Vielleicht überlässt Happel eine Abwägung der Argumente der Konversation seiner Leserschaft, die in einem der damals aufkommenden Lesezirkel und Salons darüber diskutiert. ›Aufklärung‹ wäre dann nicht ein Phänomen, das mittels Meinungsbildung durch Autoritäten in der Schule oder mittels Lehrbüchern stattgefunden hätte, sondern durch die Möglichkeit einer kontroversen Erörterung von Problemen in einer bürgerlichen Gesellschaft ohne Autoritätsgefälle.

Happel zitiert seine Gewährsleute nicht immer. Diesen ganzen Passus hat er ohne Quellenangabe stibitzt in einem erst wenige Jahre vorher erschienenen Buch von Erasmus Francisci (1627–1694) – einem gleichfalls fleissigen Buntschriftsteller:

Der Wunder-reiche Uberzug unserer Nider Welt / Oder Erd-umgebende Lufft-Kreys/ Nach seinem natürlichen Wesen/ manchfaltigen Eigenschafften/ Nutzen/ und Würckungen/ natür- und unnatürlichen feuer- und wässerigen Erscheinungen […] in unterschiedlichen Discursen abgehandelt/ dazu mit vielen merckwürdigen Exempeln / und Geschichten erklärt; […] Zu Ausbreitung Göttlicher Allmacht / und Erlustigung deß curiösen Lesers erörtert und beschrieben durch Erasmum Francisci, Nürnberg: Endter MDCLXXX [1680].

Hier befindet sich auch (gegenüber S. 624) das Bild, das bei Happel (wie üblich bei Kopien seitenverkehrt) ›abgekupfert‹ ist.

Und Erasmus Francisci hat das Bild sicherlich von einem Flugblatt aus dem Jahr 1665, das kämpfende Kriegsschiffe als Wunderzeichen am Himmel zeigt:

Eine abgebildete Beschreibung von dem wunderbarlichen Stralsundischen Lufft-Kriege. Reproduktion und ausführlicher Kommentar von Barbara Bauer in: Wolfgang Harms (Hg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jhs., Teil I, Tübingen 1985, Nummer 208.

Woher die Bild-Vorstellung gekommen sein mag, die dann graphisch realisiert wird, zeigen Text und Illustration zum 2.Makkabäerbuch, Kapitel 5, 1ff.

Umb dieselbige zeit zog Antiochus zum andern mal in Egypten. Man sahe aber durch die gantze Stad/ vierzig tage nach einander in der lufft/ Reuter in güldem Harnisch / mit langen spiessen in einer Schlachtordnung/ Vnd man sahe / wie sie mit einander traffen/ vnd mit den schilden vnd spiessen sich wehreten/ vnd wie sie die schwert zuckten/ vnd auff einander schossen vnd wie der gülden Zeug schimmert/ vnd wie sie mancherley Harnisch hatten. Da betet jederman das es ja nichts böses bedeuten solt. (Text der Lutherbibel 1545)

Dazu hat Matthaeus Merian d. Ä. (1593–1650) einen Kupferstich verfertigt:

Der Text dazu lautet:

Himmelische Zeichen Vorbotten deß Unglücks

Die Stadt Jerusalem hört groß Gethön der Waffen/
Sicht Reutter in der Lufft/ in der Schlachtordnung stahn/
Bedeut ein grossen Krieg/ der baldt darauf gieng an/
Gott schickt Zeichen voran/ wann er ein Landt wil straffen.

Icones biblicæ […]. Biblische Figuren/ darinnen die Fürnembsten Historien/ in Heiliger und Göttlicher Schrifft begriffen/ Gründtlich und Geschichtsmessig entworffen/ zu Nutz und Belustigung Gottsförchtiger und Kunstverständiger Personen artig vorgebildet/ an Tag gegeben durch Matthaeum Merian von Basel. Straßburg/ In verlegung Lazari Zetzners Seligen Erben 1625.

Literaturhinweis:

Jörg Jochen BERNS, Wunderzeichen am Himmel und auf Erden. Der frühneuzeitliche Prodigiendiskurs und dessen medientechnische Bedingungen, in: Herbert Jaumann / Gideon Stiening (Hgg.), Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit, de Gruyter 2016, S. 99–161.

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Kleine Bilanz

Die Attraktivität der Themen

Die Leserinnen und Leser im 17. Jahrhundert haben sich von ähnlichen bildträchtigen Themen faszinieren lassen wie unsere Zeitgenossen: Kriege (hier kein Beispiel gezeigt); Unglücksfälle und Verbrechen; fremde Völker und ihre Barbarismen; Celebrities und ihre Spleens; technische Innovationen; Wunder der Natur.

In welchem Kontext / in welchem geistesgeschichtlichen Umfeld steht der Artikel?

Moralisationen und Zuweisung von Nationenstereotypen sind im 21. Jh. verpönt. Eine physikotheologische Applikation von Naturwundern gibt es heutzutage nur in Kreisen der Intelligent-design-Bewegung.

Mediale Bedingungen des Bilds

Im 17.Jh. gab es noch keine Fotografie, d.h. keinen ›Schnappschuss‹ (der aber auch erst so richtig greift, seit jeder eine Kamera im Smartphone eingebaut hat und dieses ständig vor der Nase). – Umso mehr war die Phantasie der Graphiker gefragt und kam auch zum Zuge. Es gab noch keine »Ikonomanie« (Günther Anders, 1956), d.h. nicht jeder Text musste auf Teuxel-komm-raus bebildert werden. – Spezialproblem: Warum halten wir eigentlich eine Fotografie für ›echter‹ ›realistischer‹ als eine Zeichnung?

Was leistet das Bild, was der Text nicht kann?

Die Aussage, dass Bilder etwas ›veranschaulichen‹, ist zu einfach. Weitere Funktionen: das Bild inspiriert / verleitet zu Assoziationen (Königin Christinas Rabennase); das Bild erweckt Staunen (der Floh) oder Schaudern (die Cangue); das Bild beflügelt die Phantasie (das Luftschiff); Elemente des Bildes versuchen Glaubwürdigkeit zu erzeugen (Zopf und exotischer Baum bei der Cangue) u.a.m.

Bildtechnische und didaktische Mittel des Illustrators

Verweisbuchstaben und Legenden verweben Text und Bild (Floh; Mahlstrom); verschiedene Realitätsbereiche werden in einem einzigen Bild dargestellt, was hohe Anforderungen an die Fähigkeiten der Betrachter stellt (Luftschiff); durch das Hin-und-Her zwischen Text und Bild kann ähnlich wie im Trickfilm eine Bewegung evoziert werden; …

Genese des Bildes

Immer wieder werden Vorlagen ›abgekupfert‹ (Portrait; Floh) – Es werden mitunter Bilder ohne primäre Anschauung aus dem Text entwickelt (Nashorn) – Viele Bilder werden keineswegs aus der Empirie gewonnen, sondern beruhen auf einer zähen Tradition (Nashorn) – phantasievoller Entwurf (Luftschiff).

Magisch vs. rational?

Wir sollten nicht in das Klischee verfallen, wonach Menschen in früheren Epochen alles geglaubt haben, wogegen wir heutigentags so herrlich Aufgeklärten endlich klar sehen. Entmythologisierung gab es bereits in der Antike, und dass unsere Mitmenschen heute noch an Mythen glauben, stellen wir alltäglich fest – oder ertappen uns selbst dabei. Auffassungen davon, was als real und was als phantastisch zu gelten habe, können zur gleichen Zeit nebeneinander existieren. Die verbreitete Vorstellung einer ›Entzauberung der Welt‹, das meint: einer kontinuierlichen historischen Abfolge vom ›magischen Weltbild‹ zu einem ›rationalen‹, oder von einer mythischen Naturauffassung zu einer empirischen lässt sich nicht halten. (Mehr dazu noch hier)

 

letzte Änderung 19. August 2019 PM – Anzahl Klicks im Februar 2024: 4’297

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