Funktionen von Visualisierungen

     
 

Was wollen Visualisierungen leisten? Wozu werden sie verwendet?

Ein beispielhafter Fall: Mutter Maus zeigt {1} das mimetische Bild einer Katze, um die jungen Kätzchen vor diesem Tier {2} zu warnen.

Drum Anschauungsunterricht
Ist gar sehr am Platze.
»Seht!« die gute Mutter spricht:
»Dieses ist die Katze!«

Münchener Bilderbogen Nr. 1115 (Signiert A.Holm 94)

Mit Begriffen der linguistischen Sprechakttheorie (J. L. Austin; John Searle) ausgedrückt würde man sagen:
{1} ist der propositionale Gehalt; {2} ist die illokutive Funktion.

Die kognitive Leistung des Bildes resultiert aus einer Verschränkung (interlacing) von {1} und {2}.

Damit diese Funktionen {2} im Betrachter erbracht werden können, sind sowohl kognitive als auch soziale Kompetenzen nötig. (Die Mäuschen müssen wissen, dass ein Biss der Katze lebensbedrohend ist und dass ihre Mutter Gutes will.)

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Überlegungen zum Thema

• Zu sagen, dass ein Bild etwas "veranschaulicht", ist tautologisch und mithin eine untaugliche Definition. (Es sei denn, man verstehe den Begriff der "Anschauung" im streng erkenntnistheoretischen Sinne wie etwa Kant; das führt hier aber zu weit.)

• »Der Zweck von Visualisierungen sind Einsichten, nicht Bilder.« Ben Shneiderman.

• Zu sagen beispielsweise "Das Bild zeigt den Prozess XY" besagt, was für ein Objekt/Thema {1} das Bild visualisiert, das Verb benennt aber nicht seine {2} Funktion. Alle Bilder "zeigen" etwas, aber wozu?

• Bilder animieren generell eher als Texte, sich mit einem Stoff zu beschäftigen, sie motivieren die Betrachter. Gesehenes bleibt allgemein besser in Erinnerung als Gehörtes. – Weil dies generell so ist, wird diesen Leistungen kein eigener Abschnitt gewidmet.

• Das visualisierte Objekt {1} und die intendierte Funktion {2} sind mit einander verschränkt. (Ebenso wenig lassen sie sich im Medium Sprache trennen: Wenn ich jemanden "beleidigen" will, muss ich ein dazu brauchbares Schimpfwort oder einen entsprechenden Vergleich verwenden; wenn ich einen "Wunsch äußere" oder einen "Befehl erteile", muss der propositionale Gehalt eine ausführbare Tätigkeit sein usw.)

• Eine der Leitfragen ist: Was erkennt man mittels eines Bilds besser als mittels eines Texts oder eines Ensembles korrelierter Daten? Vgl. auf dieser Website das Kapitel Mediales.

Funktionstypen in der Sprachwissenschaft

John Searle (in: Speech Acts, 1969; vgl. hier) hatte für die sprachliche Kommunikation fünf Typen von »Illokutionen« unterschieden: Repräsentativa (z.B. behaupten) – Direktiva (z.B. bitten, befehlen) – Kommissiva (z.B. versprechen, drohen) — Expressiva (z.B. danken, beglückwünschen) — Deklarativa (z.B. jd. zum xyz ernennen).

Es fragt sich, (a) ob damit alles erfasst sei (wohin gehören etwa die Sprechakte "jd. nachdenklich stimmen", "etwas entlarven", "jmd. schelten"?) und (b) ob solche Typen für die visuelle Kommunikation taugen. Man urteile selbst anhand der Inhaltsübersicht .

Als indirekte / implizite Sprachakte bezeichnet die Linguistik solche Ausdrücke, wo der Äußerungstyp nicht dem der intendierten Funktion entspricht, diese aber gemeint ist. Beispiele: Wenn ein Stammgast im Sommer im Restaurant zum Kellner sagt: "Es ist wieder heiß heute.", bestellt er wie üblich ein kühles Bier. – Zum Tischnachbarn gesagt: "Kommst du an das Salzfass 'ran?" meint die Bitte: Reich mir das Salzfass! — Ob so ein Fall vorliegt, lässt sich nicht aus dem geäußerten Text bzw. dem vorliegenden Bild allein feststellen, dazu muss man die ganze Kommunikationssituation schildern, was hier nicht gleistet werden kann.

Auch die interaktionelle (die Beziehung von Sprecher und Hörer betreffende) Funktion in der Kommunikation bleibt hier außen vor.

• Die Rhetorik kennt grundlegende Funktionen des Texts: Quintilian: movere, docere, delectare (inst. oratoria XII,x,59). — Augustinus: docere, delectare, flectere (de doctrina christiana IV, xii,27).

Zum Typ docere (belehren, unterrichten) gehören hier z.Bsp.: Identifikation von Objekten — Beweismittel für eine Theorie — Muster-Erkennung — Anleitungen zum Ausführen einer Bewegung 

Zum Typ movere, flectere (Teilnahme erregen, rühren, umstimmen) gehören hier: aktualisierende Bilder — aufrüttelnde Bilder — Bilder, die Emotionen evozieren

Zum Typ delectare (ergötzen, Genuss gewähren) gehört hier allenfalls: Bild als Garnitur

• Herman Chernoff (der Erfinder der Chernoff-Gesichter) kennt vier Typen: »Graphical representations have many uses. These include

(1) enhancing the user's ability to detect and comprehend important phenomena,

(2) serving as a mnemonic device for remembering maj or conclusions,

(3) communicating major conclusions to others, and

(4) providing the facility for doing relatively accurate calculations informally.«

(Herman Chernoff, Journal of the American Statistical Association, Volume 68 (1973), p. 361_368 > http://www.jstor.org/stable/2284077)

• Christian Doelker (1934–2020) unterscheidet (1997, S. 70ff.; leicht modifiziert 2015, S. 133ff.) 10 Typen von »funktionaler Bedeutung«. Insofern er ein weit größeres Feld von Visualisierungen im Auge hat als in diesem Projekt – Tagespresse, Werbung, Kunst, Karikatur, Comic, Cartoon, Fotoroman – ist zu erwarten, dass in unserem Feld nicht alle Typen anzutreffen sind und umgekehrt seine Liste nicht alle hier anzutreffenden erfasst. Entsprechungen sind markiert mit ∆.

Registrative Funktion: Spurbilder —

Mimetische Funktion: Abbilder —

Simulative Funktion: Surrogatbilder —

Explikative Funktion: Schaubilder — und andere

Diegetische Funktion: Phantasiebilder

Appellative Funktion: Pushbilder —

Dekorative Funktion: Zierbilder —

Phatische Funktion: Füllbilder

Ontische Funktion: Clipbilder

Energetische Funktion: Wirkbilder

• Eine brauchbare (wenn auch nicht ganz trennscharfe) Unterscheidung ist die in informationstragende – informationsstützende – dekorative Funktion. Die Kategorien stammen von Martin Liebig, Die Infografik, 1999, S. 104ff.

informationstragend: Die im Medium der Sprache oder mittels statistischer Relationen kaum formulierbaren oder dem Sehsinn (derzeit oder simultan oder prinzipiell) nicht zugänglichen Objekte werden visuell dargeboten.

Beispiele: Re-Präsentation enfernter Objekte und Ableitungen davon — Bilder, die helfen Bilder zu zeichnen

informationsstützend: Visuelle Parallele zu einem schwer verständlichen oder nicht gut memorierbaren Text

Beispiele: Warnungen und Verbote — Bilder, die (zusätzlich zur Aussage des Texts) aufrütteln — geometrische Umsetzung eines algebraischen Problems — Diagramme wie Kuchengraphiken — Mnemotechnik

dekorativ: Elemente, die ohne Informationsverlust weggelassen werden könnten, d.h. solche, die bloß als eye catcher dienen.

Beispiele hier

• Es geht hier darum, welche Leistung, welche Funktion, welchen Verwendungszweck der Illustrator bewusst intendiert hat. Selbstverständlich kann jeder Betrachter das Bild für seinen eigenen Zweck verwenden oder auch umfunktionieren. — Beispiel: Wenn das Bild in einem Biologiebuch zeigt, wo sich Frösche am Ufer gerne verstecken, kann der Gourmet daraus entnehmen, wo er am raschesten zu seinen delikaten Froschschenkeln kommt. Es wäre töricht zu sagen, diese Funktion sei beim Bild im Biologiebuch "latent" vorhanden.

• In der Malerei des 20.Jhs. entwickelte sich die Idee, künstlerische Bilder seien unmittelbar umgesetzte Ausdrucksgestik, hätten die Funktion des Incitaments, sie dienten als Resonanzkörper der Erregung des Betrachters, sie wollten Sehgewohnheiten aufbrechen u.ä.

Hier dagegen geht es nicht um diese Funktionen.

Homonymie: Das {1} Bild eines Hundes kann unter anderem die {2} Funktion haben, das geliebte Tier namens Sirio wieder in Erinnerung zu rufen — zu zeigen, wie ein Flat coated Retriever aussieht — vor dem Hund im Hof zu warnen :

Multifunktionalität: Sie ist gut erkennbar bei Bildwörterbüchern : Funktion A: So sieht das Objekt aus — Funktion B: So wird es benannt.

Petit Larousse Illustré. Nouveau Dictionnaire Encyclopédique, publié sous la direction de Claude Augé; cent trente-sixième édition, Paris 1917; p. 181: Chien

Literaturhinweise

Christian Doelker, Ein Bild ist mehr als ein Bild. Visuelle Kompetenz in der Multimedia-Gesellschaft, Stuttgart: Cotta 1997. – Kapitel II/4 (S. 70–83).

Christian Doelker, Bild Bildung. Grundzüge einer Semiotik des Visuellen, (hg. Thomas Hermann, Daniel Ammann, Gestaltung: Team hp Schneider), alataverlag 2015 (bes. S. 133–181).

Martin Liebig, Die Infografik, Konstanz: UVK-Medien, 1999 (Reihe praktischer Journalismus 39).

Vgl. auch die Hinweise zu Funktionen der Enzyklopädien.

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Inhaltsübersicht

••• Diese Liste ist weder systematisch geordnet noch exhaustiv. •••

Re-präsentation eines nicht gegenwärtigen Objekts

Das Bild hält einen prägnanten Moment fest

Das Bild (Portrait) vermittelt Andenken

Das Bild offeriert einen Vergleich ähnlicher Objekte

Identifikation eines Objekts aufgrund der Visualisierung seines Typus

Das Bild und seine Teile zeigen die Semantik

Das Bild demonstriert die Funktionsweise in Natur und Technik

Bild als Beweismittel für eine Theorie

Das Bild macht einen Zusammenhang glaubwürdig

Das Bild signalisiert eine Warnung oder ein Verbot

Bilder, die in Staunen versetzen wollen

Bilder, die aufrütteln, schockieren wollen

Apotropäische Bilder

Bilder, die die Zugehörigkeit zu einer Gruppe signalisieren

Mnemotechnik

Das Bild lässt ein Phänomen aufgrund eines Musters wiedererkennen

Bild als Sprach-Ersatz

Das Bild reduziert Komplexität und erleichtert so die Orientierung

Gebrauchsanweisung

Bilder, die zeigen, wie man eine leibliche Bewegung ausführt

Bilder, die dazu anleiten, Bilder zu zeichnen

Bilder, die helfen, ein Gebilde zu konstruieren

Bilder, die ein mathematisches Problem geometrisch verständlich machen

Leistungen diagrammatischer Visualisierungen (Balken- und Kuchengraphiken)

Leistungen diagrammatischer Visualisierungen (Choroplethkarte)

Maieutische / heuristische Funktion

Bild als Gedankenexperiment

Bild als Stellvertretung von Nicht-Darstellbarem

Bild-Elemente aktualisieren eine historisch ältere Szene

Das Bild unterstellt einen Wahrheitsgehalt

Bilder als Garnitur oder Blickfang

Bilder, die Emotionen evozieren / Urteile unterstellen wollen

Bilder, die eine Wissens-Ordnung visualisieren (Meta-Ebene I)

Bilder, die auf eine Wissens-Sammlung hinführen (Meta-Ebene II)

Bilder, die dem Leser eine Orientierungshilfe im Text geben (Meta-Ebene III)

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Re-präsentation eines nicht gegenwärtigen Objekts

••• Wenn ich wissen möchte, wie die Krone der deutschen Kaiser aussieht – es handelt sich um ein Unikat – und ich sie nicht in der Schatzkammer der Wiener Hofburg besichtigen kann, muss mir eine Abbildung genügen. Das Bild ist der Stellvertreter des Originals.

Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 6. Auflage. Leipzig/ Wien, Bd. 11 (1905), S. 730.

Die Abbildung ist ein Surrogat; sie vermag nur gewisse als repäsentativ erachtete Züge darszustellen; sie ist nur zweidimensional, gegebenenfalls nicht farbig; zeigt das Objekt von einem bestimmten Standpunkt aus (so dass die Hinterseite nicht sichtbar ist); grundsätzlich handelt es sich bei solchen Bildern um Modelle.

••• Der Steckbrief (Fahndungsbild, wanted poster; fiche signalétique) will diese Funktion der Identifikation mit einem konkreten Wesen erbringen. Hierbei geht es aber nicht nur um Re-Präsentation; der zusätzliche Verwendungszeck ist die Suche nach diesem Individuum und dessen Identifikation.

Hans von Berstatt

Literaturhinweise:

Valentin Groebner, Ungestalten: Die visuelle Kultur der Gewalt im Mittelalter, München: Hanser 2003.

Gabriele Wimböck, Karin Leonhard, Markus Friedrich (Hgg.), EVIDENTIA. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Münster: LIT Verlag 2007.

Mehr zum weiten Feld der Funktionen von Personen-Darstellungen auf dieser Website > hier

••• Dass ein Objekt nicht unmittelbar sichtbar ist, kann auch daran liegen, dass es für den Gesichtssinn zu klein ist. Abhilfe bringt das Mikroskop:

Johann Swammerdam (1637–1680), Bibel der Natur, worinnen die Insekten in gewisse Classen vertheilt, sorgfältig beschrieben, zergliedert, in saubern Kupferstichen vorgestellt, mit vielen Anmerckungen über die Seltenheiten der Natur erleutert und zum Beweis der Allmacht und Weisheit des Schöpfers angewendet werden. Nebst Hermann Boerha[a]ve Vorrede von dem Leben des Verfassers. Aus dem Holländischen übersetzt. Leipzig: Johann Friedrich Gleditsch 1752.

Fig. 6. Diese Laus unter einem Vergrösserungsglase vorgestellt […]. b. Das weißliche Pünktgen, das in der Mitten des Bauchs durchscheinet, und das ich für die Magendrüse halte.

Robert Hooke (1635-1703) hatte 1665 bereits ein zweilinsiges Mikroskop mit besserer Auflösung zur Verfügung. Der Kupferstich mit der Laus misst 25 x 55 cm:

R. Hooke, Micrographia: or, Some physiological descriptions of minute bodies made by magnifying glasses, London 1665.

Mehr zu technischen Geräten der Visualisierung auf dieser Website > hier

••• Bei dem nicht-präsenten Objekt kann es sich auch um ein abhandengekommenes handeln, das rekonstruiert wurde:

Alt St. Peter in Rom (ab 1503 abgetragen). Aus: Wladimir Saas-Zaloziecky, Die altchristliche Kunst, (Ullstein Kunstgeschichte VII), Frankfurt/M. 1963. (Eingestellt an Ostern 2020)

Mehr zu Rekonstruktionen auf dieser Website > hier

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Das Bild hält einen prägnanten Moment fest

Wir sind uns seit der Polaroid-Ära nicht mehr bewusst, was das für eine Leistung der Bilder war, einen erinnerungsträchtigen Augenblick zu bannen, um sich später wieder daran zu erinnern.

Holzschnitt von Hans Glaser: Ein erschröckliches Wunderzeichen zu Dinckelspühel, geschehen am Sambstag nach Urbani des M.D.L.IIII. Jares.

> http://www.zeno.org/nid/20004037456 (auch Wickiana F 12/106)

Solche Bilder von Wunderzeichen hatten damals selbstverständlich noch weitere Funktionen, vgl. etwa das zu Conrad Lycosthenes hier Gesagte.

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Andenken

Das ›Andenken‹ wird mittels Portraits auf Grabmälern seit der Antike vermittelt.

Plinius schreibt (naturalis historia XXXV,11): Meiner Ansicht nach gibt es keinen größeren Beweis von Glückseligkeit, als wenn alle stets zu erfahren trachten, wie jemand ausgesehen hat.

Es gäbe ungezählte Beispiele. Hier das Denkmal für (den von der Muse inspirierten) Ferdinand Raimund (1790–1836) in Wien (Skulptur von F. Vogl 1898):

(Foto P.Michel)

Eine zusätzliche Funktion hat das Selbst-Portrait von Künstlern auf ihren Werken. Hier Anton Pilgram († vor 1516) am Orgelfuß im Stephansdom in Wien. Das M. in der Inschrift besagt stolz: Ich bin der Meister, und der Kaiser hat mich im Werkmeisterstreit gegen die Einwände der Zunft dazu eingesetzt.

(Foto P.Michel)

Literatur:

Adolf Reinle, Das stellvertretende Bildnis. Plastiken und Gemälde von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Zürich / München: Artemis 1984.

Anton Legner, Der artifex. Künstler im Mittelalter und ihre Selbstdarstellung, Köln: Greven-Verlag 2009.

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Das Bild offeriert einen Vergleich ähnlicher Objekte

••• Höhe von Bauwerken. Die Objekte befinden sich nicht am gleichen Ort und werden mittels des Bildes zwecks Vergleichung zusammengestellt:

Otto Spamer’s Illustrirtes Konversations-Lexikon für das Volk. Zugleich ein Orbis pictus für die Jugend, Leipzig: Spamer 1870–80, Abb. 5230: Zusammenstellung der höchsten Thürme mit einigen anderen berühmten Bauwerken.

••• Der Vergleich von fünf verschiedenen Fortifikations-Anlagen in einem einzigen Bild mag eine Diskussion über ihre Stärken und Schwächen angeregt haben.

Cyclopaedia or, an Universal Dictionary of Arts and Sciences by E. Chambers, With the supplement, and modern improvements, incorporated in one alphabet. By Abraham Rees, Volume the fifth, containing … the Plates, London 1786.

••• Am 20. April 2010 ereigente sich im Golf von Mexiko eine Umweltkatastophe: 800 Millionen Liter Erdöl quollen aus einem unterseeischen Bohrloch an die Meeresoberfläche. Auf der Website »Ifitwasmyhome.com« konnte man den Ölteppich virtuell in eine besser bekannte geographische Region verschieben und so das Ausmaß ermessen.

Oben: am ursprünglichen Ort; unten: das Zentrum über die Koordinaten von Bern gelegt. Der Ölfleck ist größer als die ganze Schweiz!

Mehr zum Thema Bildvielheiten auf dieser Website > hier

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Identifikation eines Objekts aufgrund der Visualisierung seines Typus

Soll eine stabile (soweit es das überhaupt gibt), interkulturell unveränderliche Entität wie zum Beispiel eine Tierart, Pflanzenart visualisiert werden, muss ein Bild konstruiert werden. Die Zeichnung soll das Typische herausstreichen, d.h. sie kann nicht ein bloßer Abklatsch sein, sondern muss das Objekt irgendwie "präparieren".

Mehr zur Visualisierung von Typen auf dieser Website > hier

Insebsondere wenn ähnliche Objekte als Typ gleichzeitig präsentiert werden, dienen sie dem Betrachter dazu, das ihn interessierende Objekt unterscheidend zu erkennen:

Schweizer Lexikon in sieben Bänden [hg. Gustav Keckeis u.a.] Encyclios-Verlag Zürich 1945–1948. Band 3, s.v. Fährten

Fußabdrücke, die das Wild bei verschiedenen Gangarten im weichen Boden hinterlässt. Die Bewegungsart des Wildes bedingt die Stellung der Tritte zueinander. — Die Kenntnis der Fährten / Spuren / Geläufe setzt den Jäger in den Stand, das Vorhandensein von Wild im Revier festzustellen.

Perlpilz (essbar) oder † Pantherpilz (giftig)? E. Habersaat, Schweizer Pilzbuch, 4. Auflage, Bern: Hallwag 1941.

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Das Bild und seine Teile zeigen die Semantik

Bilder werden (für den Sprachunterricht wie für die Vermittlung von Sachkenntnissen) verwendet.

Der Große Duden. Bildwörterbuch der deutschen Sprache … hg. Otto Basler, Leipzig: Bibliographisches Institut 1935; Tafel 119B: Der Böttcher (Faßbinder, …)

Aus der Legende:
3 der Faßzug
9 der Zuber
16 der Gargelkamm
20 der Spundbohrer
23 das Segerz (Rundbeil)
28 das Klöbeisen (die Spaltklinge)

Eine andere Technik, die sprachlichen Bezeichnungen anzubringen:

Petit Larousse Illustré. Nouveau Dictionnaire Encyclopédique, publié sous la direction de Claude Augé; cent trente-sixième édition, Paris 1917. Mouton de boucherie

Mehr zu Bldwörterbüchern > hier

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Das Bild demonstriert die Funktionsweise in Natur und Technik

••• Linien visualisieren einen Strahlengang, den man in situ nicht sehen kann.

Die Welt von A bis Z. Ein Lexikon für die Jugend, für Schule und Haus, hg. von Richard Bamberger, Fritz Brunner; Heinrich Lades, Reutlingen: Ensslin & Laiblin / Wien: Österr. Bundesverlag / Wien: Verlag für Jugend und Volk / Aarau: Sauerländer 1953.

Mehr zu Linien hier.

••• Modell:

Die Umlaufbahnen der Planeten um die Erde (geozentrisches System) nach Peter Apian (1495–1552). Von innen nach außen: Erde (mit ihren vier Elementen) — Mond — Merkur — Venus — Sonne — Mars — Jupiter — Saturn — dann die Kristallsphäre und zuäußerst das Primum Mobile.

Cosmographicus Liber Petri Apiani Mathematici studiose collectus, 1524.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00064968/image_16

Nach Kopernikus und Kepler. Ein dreidimensionales, bewegliches Modell der Planeten-Bewegungen und ihrer Monde ersann George Graham ca. 1713; der Mechaniker John Rowley baute es und schenkte ein Exemplar seinem Schirmherrn Charles Boyle, 4th Earl of Orrery (Cork), nach dem es Orrery benannt wird.

Titelbild zu: Herrn Bernhards von Fontenelle Gespräche von Mehr als einer Welt zwischen einem Frauenzimmer und einem Gelehrten; Nach der neuesten französischen Auflage übersetzt, auch mit Figuren und Anmerkungen erläutert von Joh. Chr. Gottscheden, Prof. und Collegiat. zu Leipzig, und der Königl. Preuß. Soc. der Wissensch. Mitgliede. - Dritte Auflage. Mit einer neuen Zugabe vermehret, Leipzig: Breitkopf 1738.

Vgl. die Fotografie eines 1822 hergestellten Orrery > Wikipedia

Mehr zu Modellen auf dieser Webseite > hier

••• Querschnitt plus Abfolge: Bei der klassischen Dampfmaschine wird der Dampfeintritt über einen Schieber in zwei Positionen geregelt, der seinerseits über einen Exzenter an der Kurbelwelle bewegt wird. Die Graphik zeigt nur eine Ansicht; die axiale Sicht wird nicht gezeigt:

Wie funktioniert das? Meyers erklärte Technik Band 1, Mannheim: Bibliographisches Institut 1963; S.72/73: Wirkungsweise des Flachschiebers

Mehr zu Querschnitten und dergl. Techniken auf dieser Webseite > hier

••• Prozessdiagramm: Kreislauf von Stickstoff in der Natur

Graphik von Thomas Seilnacht > http://www.seilnacht.com/Lexikon/N2Kreis.gif
"Das Setzen von Hyperlinks … ist erlaubt und erwünscht." (Danke!)

Mehr dazu auf dieser Webseite > hier

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Bild als Beweismittel für eine Theorie

Der Zoologe Ernst Haeckel (1834–1919) postulierte das biogenetische Grundgesetz (recapitulation theory). Diesem zufolge stellt die embryonale Entwicklung eines Individuums (Ontogenese) eine kurze und schnelle Rekapitulation der gesamten stammesgeschichtlichen Entwicklung seiner Gattung (Phylogenese) dar.

Bei den zur Verifikation verwendeten bildlichen Darstellungen Haeckels handelt es sich um parallele Anordnungen von tierischen Embryonen neben dem eines Menschen, mittels welchen die morphologische Ähnlichkeit der gezeigten Organismen verdeutlicht werden soll. Die Zeitabfolge ist von oben nach unten; in den ersten Stadien (oben) ist die Ähnlichkeit am größten, im Lauf der Embryonalentwicklung werden immer mehr Differenzen deutlich. Analog soll – darwinistisch gedacht – die Ausdifferenzierung der Arten in der Stammesgeschichte über lange Zeit verlaufen sein.

Die Überzeugungskraft dieser Graphik, welche die Theorie ›ad oculos‹ demonstriert, war vor allem in der populärwissenschaftlichen Literatur enorm.

Ernst Haeckel, Anthropogenie oder Entwicklungsgeschichte des Menschen, Leipzig: Engelmann 1874. (Neuauflagen bis 1891)

Dass Haeckel diese Bilder manipuliert hat, und dass seine Theorie bereits um 1900 widerlegt war, interessiert hier nicht, vgl. dazu
> http://de.wikipedia.org/wiki/Betrug_und_Fälschung_in_der_Wissenschaft

und: Stephen Jay Gould (1941–2002), Das Ende vom Anfang der Naturgeschichte, Frankfurt/M.: S.Fischer 2005, Kap. 22 = S. 382–402.

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Das Bild macht einen Zusammenhang glaubwürdig

Matthäus Merian kopierte nach 1616 den Basler Totentanz und veröffentlichte die Kupferstiche 1621 ein erstes Mal. Das Buch wurde oft kopiert. Von einer Auflage an erschien auch dieses Kippbild, das visuell verdeutlicht, dass Leben und Tod sehr eng zusammenhangen:

(Hier in der Bearbeitung durch Jacques-Antony Chovin) Todten-Tanz, wie derselbe in der löbl. u. Welt-berühmten Stadt Basel, als ein Spiegel menschlicher Beschaffenheit künstlich gemahlet und zu sehen ist. Nach dem Original in Kupfer gebracht, Basel: Joh. Rud. Im-Hof 1744.
> http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000056A100000000

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Das Bild signalisiert eine Warnung oder ein Verbot

Der propositionale Gehalt (das, wovor gewarnt wird bzw. das, was verboten wird) kann mit einem mimetischen Bild repräsentiert sein; die illokutive Funktion (die Warnung, das Verbot) muss mit speziellen Mitteln zum Ausdruck gebracht werden:

  1. Der Text im Umfeld des im mimetischen Bild Gezeigten nennt die Gefahr oder das Verbot;
  2. Es werden die Konsequenzen des Fehlverhaltens genannt und dazu zwei Bilder nebeneinander dargeboten: richtig und falsch;
  3. Es werden Diagamme verwendet, wie z.B. das Durchstreichen > das Kapitel Pictogramme;
  4. Es werden mythologische Figuren beigezogen, die als Übles ratend bekannt sind;
  5. Die die Handlung ausführende Figur wird durch geeignete Attribute im Bild als sich fehlverhaltend gekennzeichnet.

1. Typ: Warnung vor unvorsichtigem Verhalten im Verkehr. Das Bild ist für Sachkundige an sich einleuchtend und wird mit dem Text verdeutlicht.

Kaisers Schatzkästlein, Bern 1940, S. 126. Dieses und ähnliche Bilder stehen im Kontext einer Campagne des "Touring Clubs der Schweiz" zur Unfallverhütung.

Album Timbres – Chocolats Peter – Cailler – Kohler – Nestlé’s [ca. 1926], Kohler, Série XXIII/ No. 11.

2. Typ: Richtig vs. falsch. Hier für das Schnüren der Brust in Wort und Bild demonstriert:

Wie müssen hier die edelsten Eingeweide gepreßt und dadurch in einen krankhaften Zustand versetzt werden! […] Die Folgen einer solchen Verunstaltung des weiblichen Körpers sind: vor allem die Untauglichkeit zu dem vornehmsten Lebenszwecke des Weibes, zur Kindererzeugung […].
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841, S. 100–101.
> http://www.zeno.org/nid/20000862770

3. Typ: Verbote. Das mimetische Bild gibt den {1} propositionalen Gehalt an; das Pictogramm die {2} Funktion.

Die Idee des Durchstreichens, um ein Verbot zu visualisieren, könnte der Heraldik entstammen, wo die Wappen unehelicher, d.h. illegitimer Nachkommen (Bastarde) mit einem sog. Schräglinksfaden oder -balken gekennzeichnet wurden. (Freundlicher Hinweis von Andreas H.)

4. Typ: Du solt nit vnkeüsch sein

Seelentrost, Augsburg: Anton Sorg 1483.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00032037/image_266

Dass die beiden etwas Verbotenes tun, ist signalisiert durch den Ort (abgeschlossener Garten) sowie durch die laszive Geste des Mannes; die Frau scheint mit ihrem Gestus #abzumahnen. Die Sünde zu begehen wird den beiden durch (4) ein Teufelchen suggeriert, das ihre Häupter zu einem Kuss zusammengibt.

Teufelchen blasen den Gebots-Übertetern gerne ein; oft auch mit einem Blasebalg.

Vgl. Die Zehngebote-Tafel von Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553) im Wittenberger Rathaus (1516) > hier

5. Typ: Attribute

Der Mann, der nicht Acht gibt, ob seine Ehefrau "fremdgeht", ist ein Narr (das zeigt seine Kappe); er lässt sich von der Frau "das Hälmlein durch den Mund ziehen" (sprichwörtlich für schmeicheln); er "schaut durch die Finger" (sprichwörtlich) und verhält sich wie eine Maus, die sich von der jagenden Katze anlächeln lässst:

Wer durch die fynger sehen kan
Vnd loßt syn frow eym andern man
Do lacht die katz die müß süeß an

Sebastin Brant (1457–1521), Das narren schyff Basel: Joh. Bergmann von Olpe 1494.
33. Kapitel; der ganze Text > hier

Kombination dieser Techniken.

Bild aus einem Totentanz: Der reiche Prasser im pelzverbrämten Rock (5) gibt dem Bettler nichts. Das bläst ihm (4) der Teufel ein, und (2) der Tod stellt ihm bereits das Bein.

Kopie eines Holzschnitts von Hans Holbein d. J. (1497–1543), Imagines Mortis, Lyon 1538; Privatbesitz.

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Bilder, die in Staunen versetzen wollen

Friedrich Johann Justin Bertuch (1747–1822) schreibt im Vorwort, sein Bilderbuch wolle den Kindern den Reiz des Raren und Wunderbaren vermitteln. Bertuch kann man als einen säkularistischen Nachfolger physikotheologischer Gedanken ansehen: Aus der wunderbaren Schöpfung wird ihr weiser Schöpfer erkennbar. (Mehr dazu hier.)

Bilderbuch für Kinder enthaltend eine angenehme Sammlung von Thieren, Pflanzen, Blumen, Früchten, Mineralien, Trachten und allerhand andern unterrichtenden Gegenständen aus dem Reiche der Natur, der Künste und Wissenschaften; alle nach den besten Originalen gewählt, gestochen, und mit einer kurzen wissenschaftlichen, und den Verstandes-Kräften eines Kindes angemessenen Erklärung begleitet, verfasst von F. J. Bertuch […] Weimar, im Verlage des Industrie-Comptoirs; Band 4 (1802), No. 68 = Insecten XXVIII. Chinesische Schmetterlinge. Der Braune Atlas.

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Bilder, die aufrütteln, schockieren wollen

••• Im Artikel »Sklaverei und Sklavenhandel« der Illustrierten Zeitung 1844 wird festgestellt, dass dieses Übel zwar auf gesetzlicher Grundlage durch die Parlamente verschiedener Länder beseitigt worden sei, dennoch praktisch in großem Ausmaß weiter betrieben werde. Dies ist ein damals intensiv diskutiertes Problem; hingewiesen sei auf die Publikationen von Thomas Fowell Buxton (in deutscher Übersetzung 1841).

Eines der Bilder zeigt, wie die Sklaven in den Schiffen untergebracht sind, die sie von Afrika nach Amerika bringen:

Illustrierte Zeitung 1844 / Nr. 30 (20.Januar 1844), S. 55–58.
> https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10498694_00064.html

••• Nennt man bloß Zahlen, so ist das für Laien oft wenig furchterregend, zum Beispiel wenn ein Bericht besagt, dass in der Schweiz zwischen 1972 und 1982 im Mittelland jährlich 588 Hektaren Kulturland mit Bauten und Anlagen überstellt wurden. (Wieviel Fläche ist schon eine Hektare?)

Wird diese Zahl indessen in eine anschauliche Größe umgesetzt, schockiert das Bild:

R. Häberli / K. Sadlder, Entwicklung der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Schweiz 1939–75, in: Raumplanung Scheiz 2/1979.

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Apotropäische Bilder

Apo-tropäisch bedeutet: (Unheil, Schaden) ab-wendend.

••• Insbesondere an Eingängen, Türen wurden solche und ähnliche Bilder angebracht, um dem Bösen den Zutritt zu verwehren:

Door knocker in Durham

••• Die Geschichte von Medusa: Sie versteinert mit ihrem Blick alles. Perseus kann sie köpfen, indem er das Gesicht abwendet und im spiegelnden Schild schaut, wo sie sich befindet; so kann ihr Blick ihn nicht treffen.

Das Haupt der Medusa funktioniert auch noch im abgetrennten Zustand; Perseus trägt es mit sich.

Wie Atlas dem Perseus Zutritt zu seinem Gebiet mit Androhung von Gewalt verbietet, hält ihm Perseus das Haupt der Medusa vor, worauf Atlas in einen Berg verwandelt wird (Ovid, Metamorphosen, IV, 646–661):

Kopie eines Stichs von Melchior Kysell in: Des vortrefflichen römischen Poëtens Publii Ovidii Nasonis Metamorphoseon, Oder: Funffzehen Bücher Der Verwandlungen, Ehmalen durch den berühmten Wilhelm Bauer in Kupffer gebracht; […], [ohne Verlagsangaben, ca. 1618]

Wie Phineus, der einstige Verlobte der (von Perseus vor dem Ungeheuer Cetus geretteten) Andromeda, seine ihm Versprochene zurückfordert, versteinert ihn Perseus im Kampf zu einer Marmorstatue. (Ovid, Metamorphosen V, 177ff.):

Vgl. das Bild von Annibale Carracci (1604/06)

Kupfer von Frederick Bouttats (1610–1675) aus: Les Metamorphoses d'Ovide en Latin et François, divisées en XV livres. Avec de nouvelles Explications Historiques, Morales & Politiques sut toutes les Fables, chacun selon son sujet. De la traduction de Mr. Pierre Du-Ryer Parisien […] Edition nouvelle, enrichie de tres-belles Figures. François Foppens, Bruxelles 1677.

Perseus operiert auf diesem Bild nicht mit dem Haupt der Medusa, sondern mit einem Schild, auf dem dieses abgebildet ist.

Es könnte eine Verwechslung mit der folgenden Geschichte vorliegen:

Das abgetrennte Haupt setzt Athene (griech.) / Minerva (röm.) in die Mitte ihres Schildes. (So erzählt Apollodor, Bibliotheke II,46). Minerva wird denn auch gerne mit diesem Schild abgebildet:

[Jost Amman] Insignia sacrae caesareae maiestatis, principvm electorvm, ac aliqvot illvstrissimarvm, illvstrium, nobilium, & aliarum familiarum, formis artificiosissimis expressa: addito cuique peculiari symbolo […], Frankfurt: Corvinus und Feyerabend 1579.
> https://hdl.handle.net/2027/gri.ark:/13960/t9091cm3t

Das Medusenhaupt auf einem Schild (nicht nur dem der Minerva) wird zum Apotropaion.

Jost Amman (1539–1591 verwendet dieses Motiv für eine alttestamentliche Geschichte:

Josua 1,14 spricht Josua – vom HErrn zur Überschreitung des Jordans aufgefordert – zu den streitbaren Männern: Ihr sollt gerüstet vor euren Brüdern herüberziehen und ihnen helfen. Amman zeichnet einen der Krieger mit einem Schild, auf dem das schlangenumwundene Haupt der Medusa dargestellt ist.

Neuwe Biblische Figuren/ deß Alten und Neuwen Testaments/ geordnet vnd gestellt durch den fürtrefflichen vnd Kunstreichen Johan Bocksbergern von Saltbzurg/ den jüngern/ vnd nachgerissen mit sonderm fleiß durch den Kunstverstendigen vnd wohlerfahrenen Joß Amman von Zürich. […] . Getruckt zu Frankckfurt am Mayn/ durch Georg Raben/ Sigmund Feyerabend/ vnd Weygand Hanen Erben M.D.LXIIII. (Ausschnitt aus dem Holzschnitt zu Josua I)

Antike Quellen:
Apollodor, Bibliotheca II, 40–46
Lucan, Pharsalia IX, 633–658
Ovid, Metamorphosen IV, 770ff. und 663ff.

Hinweise auf Lexikonartikel:
https://www.theoi.com/Heros/Perseus.html
https://www.theoi.com/Pontios/Gorgones.html
Oswald A. Erich, Apotropaion, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1935), Sp. 852–856 > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89337

Irenäus Eibl-Eibesfeldt / Christa Sütterlin, Im Banne der Angst. Zur Natur- und Kunstgeschichte menschlicher Abwehrsymbolik, München: Piper 1992.

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Bilder, die die Zugehörigkeit zu einer Gruppe signalisieren

In der Heraldik-Forschung wird immer wieder ausgeführt, dass die ›Gemeinen Figuren‹ in Wappen, auf Schildbeschlägen, auf Siegeln, u.a.m. als Erkennungszeichen einer sozialen Einheit, einer kriegerischen Truppe usw. dienen (die zusätzlich auch symbolische Bedeutung haben können).

Hier ein Beispiel für römische Feldzeichen:

Neue Acerra Philologica Oder Gründliche Nachrichten Aus der Philologie Und den Römischen und Griechischen Antiquitaeten: Darinnen Die schweresten Stellen aller Autorum Classicorum Der Studirenden Jugend Zum besten In einer angenehmen Erzehlung kürtzlich und gründlich erkläret werden / Halle 1715–1723;

Literaturhinweis: Georg Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, (Veröff. des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Band XXIV), Wien-Köln-Graz: Böhlau 1976, Einleitung S. 9–21.

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Bilder helfen, sich einen Sachverhalt einzuprägen (Mnemotechnik)

Die Mnemotechnik (von griechisch mnēmē = Erinnerungsvermögen, Gedächtnis) stellt Verfahren zur Verfügung, die helfen, Texte und Sachverhalte besser einzuprägen und verfügbar zu halten. Die Techniken machen sich die Tatsache zunutze, dass A unsere Orientierungsfähigkeit im Raum und B unser Bildgedächtnis besser sind als die Fähigkeit, sich vereinzelte Elemente einzuprägen.

Die hier interessierende Methode B beruht auf der Assoziation des zu Merkenden mit auffälligen Bildern.

Wir können uns dasjenige am deutlichsten vorstellen, was sich uns durch die Wahrnehmung unserer Sinne mitgeteilt und eingeprägt hat; der schärfste unter allen unseren Sinnen ist aber der Gesichtssinn. (acerrimum autem ex omnibus nostris sensibus esse sensum videndi)

Deshalb kann man etwas am leichtesten behalten, wenn das, was man durch das Gehör oder Überlegung aufnimmt, auch noch durch die Vermittlung der Augen ins Bewusstsein dringt.

So kommt es, dass durch eine bildhafte und plastische Vorstellung Dinge, die nicht sichtbar und dem Urteil des Gesichts entzogen sind, auf eine solche Art bezeichnet werden, dass wir etwas, was wir durch Denken kaum erfassen können, gleichsam durch Anschauung behalten.

Cicero, De oratore / Über den Redner, lat./dt., übersetzt, kommentiert und mit einer Einleitung herausgegeben von Harald Merklin, (Reclam’s Universalbibliothek 6884), Stuttgart 1976; II, lxxxvii,357. Lateinischer Text > hier

Mehr dazu auf der Webseite > hier

••• Erstes Beispiel: Zentrale Inhalte beim Evangelisten Lukas nach Petrus von Rosenheim O.S.B. (um 1380–1433):

Rationarium euangelistarum omnia in se euangelia prosa, versu, ymaginibusque quam mirifice complectens, [Pforzheim] 1507.
> BSB

Erklärungen: Die Trägerfigur der einzelnen mnemotechnischen Hilfsbilder ist das Attribut des Evangelisten Lukas, der Stier.

19 (hier blau umrahmt) — Luk 19,28: Jesus in der Stadt Jerusalem
20 (grün) — Luk 20,9ff.: die bösen Weinbauern und das Erbe des Sohns
21 (violett) — Luk 21,8: Jesus warnt vor den falschen Propheten
22 (rot) — Luk 22,17: die Einsetzung der Eucharistie
23 (braun) — Luk 23 die Anklage vor Pilatus (Pilatus wäscht sich die Hände allerdings in Matth 27,24)
24 (gelb) — Luk 24: die drei Salbengefäße und die Auferstehung.

••• Zweites Beispiel: Neun Eigenschaften des Menschen werden mithilfe von Tier-Gliedmaßen memoriert:

Bayerische Staats-Bibliothek, Clm 18158; fol. 63verso (Ausschnitt; Figur freigestellt); vgl. das ähnliche Bild: Badische Landesbibliothek Karlsruhe, Aug. perg. 60 > hier

Die Zuordnungen geschehen nicht nach einem Tugenden- oder Laster-Schema; das Konzept ist nicht durchgehalten:

  • Bos (Stier) — Pes (Fuß) — Tarditas (Trägheit)
  • Lepus (Hase) — Caput (Kopf) — Mobilitas Mentis (Beweglichkeit des Geistes)
  • Ales (Vogel) — Os (Schnabel) — Garrulitas Oris (Geschwätzigkeit des Mundes)
  • Equus (Pferd) —Pectus (Brust) — Ø
  • Homo (Mensch) — Manus (Hand) — Rationalis Operatio
  • Serpens (Schlange) — Ilia (Unterleib, Bauch) — Terrena Concupiscentia (irdische Begierde)
  • Pavo (Pfau) — Cauda (Schwanz) — Vana Gloria (eitle Ruhmsucht)
  • Leo (Löwe) — Iube (Mähne) — Ø
  • Grus (Kranich) — Crus (Unterschenkel) — Ø

Weitere solche Komposit-Laster-Figuren > hier

••• Drittes Beispiel: Jagdenhas. Im zitierten Lexikon steht: Das Akrostichon JAKNEHAS ist zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der Wörter jajin (Wein), kiddusch (Weihgebet), ner (Licht), hawdala (Unterscheidungssegen), seman (Zeitsegen) – das sind die fünf Lobsprüche beim Kidduschgebet. – Ein Witzbold habe das einst als "Jagt den Has" ausgesprochen, und so sei das Bild in Haggada-Handschriften und -Drucke gelangt.

Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden mit über 2000 Illustrationen, Beilagen, Karten und Tabellen, hrsg. von Georg Herlitz und Bruno Kirschner, Berlin: Jüdischer Verlag 1927–1930. Band 2 (1929), S. 131.

Gegen diese Deutung sind in der Forschung gewichtige Einwände vorgebracht worden. (Das Bild fand in Handschriften in ganz Europa Verwendung – sprach der "Witzbold" evtl. jiddisch?).

Alexander Scheiber, The Kaufmann Haggadah, Budapest 1957, Beiheft zur Faksimileausgabe The Kaufmann Haggadah. Facsimile Edition of MS 422 of the Kaufmann Collection in the Oriental Library of the Hungarian Academy of Sciences, Budapest 1957.

••• Viertes Beispiel: Buchstaben oder Ziffern anhand von Bildern von Gegenständen

Robert Fludd (1574–16379, Utriusque cosmi historia, 1617–1624 > Tomus II De supernaturali, naturali, praerternaturali et contranaturali microcosmi historia > Tract I De integra microcosmi harmonia > Sect II De technica microcosmi historia > Pars III De animae memorativae scientia, quae vulgo ars memoriae vocatur > Liber II > Cap. I u. II De alphabetis
> https://archive.org/stream/utriusquecosmima02flud#page/n327

Über die Handhabung der Zifferbilder spricht genauer

Tomus I De macrocosmi historia > Tract. II De naturae simia > Pars I De arithmetica universali > Liber I De numero et numeratione > Cap. X De numeris memorialibus (= S. 39–41)
> https://archive.org/stream/bub_gb_6ajNTSLF0IgC#page/n47

Dort gibt es eine Begründung für die Repräsentation von Null durch einen Esel (untere Tabelle rechts):
Asinus significabit ciphram, quia (ut dicunt) Asinus nihil valet. [cifra ≈ null; vgl. die Etymologie von engl. zero]

Und noch in der Primarschule 1953 haben wir uns die Zahlen so gemerkt (aber die Null ohne Esel):

Einige Literaturhinweise zur Mnemotechnik:

Ludwig Volkmann, Ars memorativa, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Neue Folge, Band 3, Wien 1929.

Frances A. Yates, The Art of Memory 1966. deutsch: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare. Weinheim: VCH, Acta Humaniora, 1990.

Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber u.a.: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400 – 1700, (Frühe Neuzeit 15), Tübingen, 1993.

Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber (Hgg.): Documenta Mnemonica. Text- und Bildzeugnisse zu Gedächtnislehren und Gedächtniskünsten von der Antike bis zum Ende der Frühen Neuzeit, (Frühe Neuzeit 43), Tübingen, 1998.

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Das Bild ermöglicht es, ein Phänomen aufgrund eines Musters wiederzuerkennen

••• Sternbilder

›Eigentlich‹ gibt es Sternbilder in der Natur nicht*; es ist eine Projektion von Vorstellungen auf chaotische Haufen. Ein Punkt in einer Gestalt ist besser wieder-erkennbar als in einem Haufen, auch wenn es real dasselbe ist. Ein Seefahrer, der zwecks Bestimmung der geographischen Breite den Polarstern sucht, erkennt ihn an der Schwanzspitze der Ursa minor (Kleiner Bär).

Uranias’s Mirror (1824), um 180° gedreht > Wikipedia

Walter Widmann / Karl Schütte, Welcher Stern ist das? (Kosmos Naturführer), Stuttgart: Francksche Verlagsbuchhandlung 1955.

Albrecht Dürer 1515 > http://www.zeno.org/nid/20004001621

Andreas Cellarius (ca. 1596 – 1665) > https://en.wikipedia.org/wiki/Andreas_Cellarius

(* Gemäß Beschluss der Internationalen Astronomischen Union von 1925 gibt es 88 Sternbilder.)

••• Dendrochronologie

Bäume zeigen im Querschnitt Jahrringe. Die Mächtigkeit der Jahrringe im Lauf der Jahre wird von lokalen Umweltfaktoren beeinflusst, so dass sich für Gegenden und Zeitepochen typische Muster ergeben. Diese lassen sich durch Überlappung zu langen Tabellen zusammenfügen, so dass auch in fernen Zeiten jahrgenaue Datierungen von Holzbalken in Gebäuden möglich sind. (Zum Beispiel für die Balkendecke der Heiligkreuzkapelle in Müstair auf 785). Informationen zur Methode > hier

Bild des Überbrückungsverfahrens: Fritz Hans Schweingruber, Der Jahrring. Standort, Methodik, Zeit und Klima in der Dendrochronologie, Bern/Stuttgart: Haupt 1983; S.85.

Um die Echtheit von Geigen abzuklären, die Antonio Stradivari (Cremona, ca. 1644–1737) zugeschrieben wurden – Wert von Millionen € ! – wurden die Deckenbretter geröngt und die Dichtekurven mit denjenigen von Bäumen verglichen, die im Alpenraum wuchsen. Dabei zeigte sich, dass die Hölzer aus der Zeit um 1894/1902 stammen. Es handelt sich um Fälschungen.

Schweingruber a.a.O., S. 167.

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Bild als Sprach-Ersatz

Die ›signaletisch‹ verwendeten Pictogramme dienen dazu, einen in den verschiedenen Sprachen ganz unterschiedlichen Ausdruck zu ersetzen, so dass sie gemeinverständlich sind. (Wer in Keflavík einst zur Toilette ging, wusste nicht, wer mit KARLAR und wer mit KONUR gemeint ist, das Pictogramm an der Türe heutzutage hilft entscheidend.)

aus WIKIMEDIA, Sample-national-park-service-pictographs

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Das Bild reduziert Komplexität und erleichtert so die Orientierung

Harry Beck zeichnete im Jahre 1931 den ersten Entwurf einer schematischen Karte der Londoner U-Bahn. Geographische Details eliminierte er, und zur Identifikation der Linien verwendete er unterschiedliche Farben. Diese Darstellungsweise wurde weltweit für Streckennetzkarten übernommen.

Liniennetz des öffentl. Verkehrs der Stadt Winterthur ( nicht mehr gültig!)

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Das Bild gibt eine Gebrauchsanweisung, zeigt die Handhabung eines Geräts

••• Fischfang mit Netzen

Wolf Helmhardt von Hohberg (1612–1688), Eilfftes Buch, S. 610-Georgica Curiosa Aucta. Oder: Des auf alle in Teutschland übliche Land- und Haus-Wirthschafften gerichteten, hin und wieder mit vielen untermengten raren Erfindungen und Experimenten versehenen, auch einer mercklichen Anzahl Kupffer weiter vermehrt und gezierten Adelichen Land- und Feld-Lebens Anderer Theil: […] . Durch ein Mitglied der Hochlöbl. Fruchtbringenden Gesellschafft ans Liecht gegeben, Nürnberg: Martin Endter, 1701; Eilfftes Buch, Cap. XCV, S. 610.

Der Europäische Hausen (Huso Huso), auch Beluga oder Belugastör genannt, kann eine Länge von 800 cm und ein Gewicht von über 2.000 kg erreichen.

Der Text zum Bild beschreibt im einzelnen die Verfahrensweise, Bezug nehmend auf die ins Bild gesetzten Buchstaben. z.Bsp:

C. sind die Fischer/ so das Garn halten
D. ist das Garn von 80. biß 90. Klafftern
F. ist der Hausen von 8. biß 10. Centner
K. sind die Fischer, die außerhalb des Garnes stehen

••• Herstellung eines Fischernetzes. Text und Bild ergeben zusammen die Bedienungsanleitung.

Encyclopédie; Recueil de Planches sur les Sciences, les Arts Libéraux, et les Arts Méchaniques, avec leur Explication, Septième Livrason, ou huitième Volume, Paris, M.DCC.LXXI; Planches XXII – XXVII: les manières de mailler les filets.

Fig. 2 Second temps de la formation de la maille. On ramene le fil par-dessous le petit doigt sous le moule où il est arrêté pe le dogit index.

••• Bedienungsanleitung für einen Fotoapparat. Einzelne Phasen des Vorgangs. Bild und Text wirken zusammen. Pfeile als Verstehenshilfen.

Canon 100D

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Bilder, die zeigen, wie man eine leibliche Bewegung ausführt

Text

Kellom Tomlinson (born c.1690, died after 1753) zeigt oben die Melodie, zu der getanzt wird; in der Mitte die Haltung der Tanzenden; unten die Schrittabfolge:

The art of dancing explained by reading and figures, whereby the manner of performing the steps is made easy by a new and familiar method: being the original work, first design'd in the year 1724, and now published by Kellom Tomlinson, dancing-master, London 1735.
> https://www.loc.gov/item/20010870/

Hinweis: https://danceinhistory.com/tag/kellom-tomlinson/ {April 2020}

Das gibt es nicht nur für Menschen, sondern auch für das Pferde-Ballett:

Encyclopédie; Recueil de Planches sur les Sciences, les Arts Libéraux, et les Arts Méchaniques, avec leur Explication, Sixième Livraison ou Septième Volume, Paris MDCCLIX; Manège et Èquitation; Planche XVIII: Manège, Plan de Terre des Voltes (Ausschnitt)

Marqués de las Torres de Rada (1660–1713), Fechtschule

Francisco Lórenz de Rada y Arenaza, Nobleza de la espada, cuyo esplendor se expressa en tres libros, segun ciencia, arte y experiencia, Madrid 1705.
> http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10328555-2

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Bilder, die helfen, Bilder zu zeichnen

Ein Spezialfall: Hier geht es nicht darum, ein Objekt zu repräsentieren, sondern darum, zu unterrrichten, wie man das tut.

Es gibt verschiedene didaktische Techniken:

  • Dasselbe Objekt aus verschiedenen Ansichten darstellen (Bloemart; Cousin)
  • Einzeichnen von Hilfslinien, um die Proportionen zu veranschaulichen (Beham, Dürer, Cousin, Hokusai)
  • Auflösung in eine (leicht nachzuahmende) Abfolge mit zunehmendem Realismus (Witzig, Hokusai)

••• Villard de Honnecourt (erstes Drittel des 13. Jhs.) in seinem Bauhüttenbuch

••• Albrecht Dürer (1471–1528)

Hierinn sind begriffen vier Bucher von menschlicher Proportion/ durch Albrechten Durer von Nürenberg erfunden und beschriben/ zuo nutz allen denen/ so zuo diser kunst lieb tragen. M.D.XXViij.
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k94010003

••• Sebald Beham (1500–1550)

Das Kunst und Lere Büchlin/ Sebalden Behems. Malen und Reissen zu lernen/ Nach rechter Proportion/ Maß vnd außteylung des Circkels. Angehnden Malern und Kunstbaren Werckleuten dienlich, Franckfurt: Christian Egenolff 1552.
> https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/10238/61/0/

••• Abraham Bloemaert (1566–1651)

Fondamenten der Teecken-Konst Aerdigh geinventert door Abraham Bloemaert [o.O.; o.J.]
> http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10863040-3

••• Jehan Cousin (ca. 1522 – ca. 1593)

La Vraye Science De La Povrtraictvre Descrite Et Demonstree Par Maistre Iean Covsin, Peintre & Geometrien tres-excellent: Representant par vne facile instruction plusieurs plans & figures de toutes les parties separées du corps humain: Ensemble les figures entieres, tant d'hommes que de femmes & de petits enfans ... Fort vtile & necessaire aux Peintres, Statuaires, Architectes ...Paris: Guillaume le Bé 1647.
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cousin1647

••• Katsushika, Hokusai (1760–1849)

(Leçons de dessin par la décomposition géométrique)
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b72001296/f17.item

••• Hans Witzig (1889–1973)

Pestalozzikalender 1930 (nicht signiert, der Graphiker könnte Hans Witzig sein.)

Hans Witzig, Wege zum freien figürlichen Zeichnen, Erlenbach-Zürich: Eugen Rentsch 1969; S.62.

Literaturhinweise:

Anna Lehninger, Punkt, Punkt, Komma, Strich. Hans Witzig als Autor, Illustrator und Zeichner, in: Librarium II/2018, S. 104–117.

Website > https://digi.ub.uni-heidelberg.de/de/sammlungen/zeichenbuecher.html

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Bilder, die dazu anleiten, ein Gebilde zu konstruieren

Noah konstruiert die Arche (Genesis Kap.6) nach einem göttlich inspirierten Plan:

Holzschnitt von Christoph Murer (1558–1614) – Man beachte, wie Noah sich nach hinten wendet, wo vom Himmel herab die Anleitungen zum Bauplan kommen.

Verdrahtungsplan für einen Zweiröhrenempfänger:

Werner Jäger in: HELVETICUS. Neues Schweizer Jugendbuch, Band 15 (1955), S.228.

Vgl. dazu das zu den Modellen-für Gesagte.

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Bilder, die ein mathematisches Problem geometrisch verständlich machen

••• Zweck: leichtere Verständlichkeit

In Platons Dialog »Menon« (82b) möchte Sokrates aus einem Knaben die Lösung heraus-fragen, wie man die Fläche eines Quadrats verdoppeln kann. Um die Sache ganz deutlich zu machen, fertigt er (83b) eine Zeichnung an. (Text hier) Bei Sokrates/Platon ist das eine Fallstudie für das Thema des Dialogs: Wie man etwas (insbesondere Tugend) lernen kann.

Vitruv (1. Jh. v.u.Z.) zitiert diese Stelle dann in »De architectura«, Prolog zum 9. Buch, ¶ 4–5. Hier geht es nun um Geometrie.

Ein Quadrat welches zehn Fuß lang und zehn Fuß breit ist, enthält hundert Quadratfuß. Wenn es also doppelt so groß gemacht werden und folglich zweihundert Quadratfuß bei gleichen Seiten enthalten sollte, so fragt sich, wie groß eine Seite eines solchen Quadrats werden solle, damit dasselbe durch Vermehrung mit sich selbst einem Flächeninhalt von zweihundert Fuß entspräche. Dafür aber kann niemand eine Zahl finden, denn gesetzt, man nähme 14, so werden daraus mit sich selbst vermehrt 196; nimmt man 15, so entstehen daraus 225.

1. Schritt: Wenn man nicht rechnerisch die Quadratwurzel ziehen kann, muss man das Problem geometrisch lösen; so:

Weil demnach diese Lange nicht durch eine Zahl ausgedrückt werden kann, so ziehe man in jenem zehn Fuß langen und zehn Fuß breiten Quadrat eine Diagonallinie von einem Winkel zum anderen, so dass es in zwei Dreiecke von gleicher Größe geteilt wird, und beschreibe unter Zugrundelegung der Länge der Diagonallinie über diese mit gleichen Seiten ein Quadrat, so werden wie in dem kleineren Quadrat zwei Dreiecke von je fünfzig Quadratfuß Flächeninhalt durch die Diagonale verzeichnet wurden, in dem größeren vier von derselben Größe und demselben Inhalt an Quadratfußen sich ergeben.

2. Schritt: Auch Vitruv gibt eine Figur bei – die in den alten Handschriften nicht überliefert ist, aber in den Drucken der frühen Neuzeit beigegeben wird:

Auf diese Weise wurde die Verdoppelung auf geometrischem Wege, so wie die Figur unten verzeichnet ist, von Plato entwickelt. (uti schema subscriptum est, explicata est in ima pagina.)

Zehn Bücher über Architektur des Marcus Vitruvius Pollio, Übersetzt von Franz Reber, Stuttgart 1865. — Lateinischer Text hier.

Den Text muss man mehrmals lesen, aber zu einer schlagartig einleuchtenden Lösung führt die Visualisierung:

 

••• Zweck: Beweis transparent machen

Algebraisch formuliert ist die erste binomische Formel:

Dass dies stimmt, kann man durch Ausmultiplizieren nachvollziehen: (a + b) • (a + b) =

Geometrisch umgesetzt leuchtet das schneller ein:

Die Grafik zeigt ein Quadrat, dessen Kantenlänge a + b beträgt. Seine Fläche beträgt (a + b)^2. Diese Quadrat setzt sich wiederum aus verschiedenen Flächen zusammen. Die grün umrandete Fläche entspricht mit a^2 dem ersten Summanden der binomischen Formel, die blau umrandete mit b^2 dem letzten Summanden. Die beiden rot umrandeten Rechtecke, deren Fläche jeweils a * b beträgt, entsprechen zusammen dem mittleren Summanden 2ab. Anhand der Grafik lässt sich sofort erkennen, dass die Fläche des großen Quadrats (a + b)^2 der gemeinsamen Fläche der beiden kleinen Quadrate und der beiden Rechtecke (a^2 + 2ab + b^2) entspricht.

Quelle: http://www.formelsammlung-mathe.de/binomische-formeln {Zugriff Mai 2013}

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Leistungen diagrammatischer Visualisierungen (bar chart / pie chart)

Ein Diagramm (von altgriechisch διάγραμμα diágramma ›geometrische Figur, Umriss‹) ist eine grafische Darstellung von Daten, Sachverhalten oder Informationen (Gegensatz: mimetische Bilder).

Zuordnungen von Datenmengen sind sehr abstrakt. Hier eine (phantastische) "Cloud" der Datenerhebung einer Bevölkerung:

Die Transformationsregeln bei der Alterspyramide: Die Mengenangaben der Bevölkerungsstatistik werden sortiert und • in geometrische Formen = horizontal liegende Balken umgesetzt. Die Größe Geburtsjahr (stetige Abfolge) wird • von unten nach oben abgetragen. Sie wird der Größe Lebensalter (Kontinuum, Balken-Länge) • gegenübergestellt. Die Geschlechterunterschiede ♂ | ♀ werden • durch die Position von zwei Graphiken Rücken-an-Rücken beigegeben.

Die Welt von A bis Z. Ein Lexikon für die Jugend, 1953.

Die diagrammatische Visualisierung hat den Vorteil, dass Proportionen leicht abgeschätzt werden können. Der kognitive Vorteil in diesem Fall ist zusätzlich der, dass diese Graphiken charakteristische Formen haben: Bevölkerungen mit vielen jungen Menschen haben Pyramidenform; Einschnitte zeigen Dezimierungen auf einen Blick.

Warum im Jahr der Erfassung 1953 bei den ca. 33-Jährigen ein Einschnitt festzustellen ist, erklärt sich nur durch zusätzliche historische Kenntnisse: Der Einbruch bei Männern und Frauen kurz nach dem 1.Weltkrieg geht nicht auf Kriegsereignisse zurück, sondern auf die krisenbedingte Reproduktionsunlust in der Nachkriegszeit.

Feine Unterschiede können mit Balkengraphiken weniger gut eingeschätzt werden als mit Kuchengraphiken, weil wir offenbar ein gutes Sensorium für die Größe von Winkeln haben.

Der Kleine Brockhaus. Handbuch des Wissens in einem Band, Leipzig 1926, Artikel Vereinigte Staaten, Außenhandel nach Warengruppen 1923, S. 738.

Anmerkung: Die Kuchen-Gestalt suggeriert: Damit ist das Phänomen in seiner Gänze erfasst. (Bei einer Balkengraphik könnten noch einige Balken mehr daneben stehen oder einige fehlen.)

Mehr Informationen zu diesem Thema vor allem > hier

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Leistungen diagrammatischer Visualisierungen

••• Bei Choropleth-Karten (griech. χώρα = Raum, Gebiet + πλῆθος = Menschenmenge) werden die mimetisch dargestellten Gebiete im Verhältnis zur statistischen Verteilung der Daten diagrammatisch ausgezeichnet. Das kann geschehen durch Schraffierung, Einfärbung oder andere Mittel.

Die Leistung besteht darin, dass man – anders als in einer Tabelle – die Daten auf einen Blick der Region zuordnen kann, in der sie erhoben wurde.

Statt in einer Tabelle die %-Zahlen für die im Gastgewerbe Angestellten aufzulisten:
Schanfigg — 39,3 %
Oberengadin — 24,9 %
Oberengadin und Davos — 20,3 %
usw.
wird eine Karte mit entpechenden Rasterungen gegeben:

Die Gebietsaufteilung wird erklärt mittels einer transparenten Karte, die über alle Bilder gelegt werden kann; die Erklärung der Rasterdichte zu jeder Einzelkarte mittels einer Legende:


Strukturatlas Schweiz = Atlas structurel de la Suisse, Projektleitung: Kurt E. Brassel, Ernst A. Brugger; Redaktion: Martin Schuler, Matthias Bopp, Zürich: Ex Libris Verlag 1985; Karte Dienstleistungsbranchen 3 = S. 182f.

Mehr Informationen zu diesem Thema vor allem > hier

••• Ein schönes Beispiel, das zeigt, dass die Exploration mittels einer Graphik viel leichter fällt als mit einer Tabelle, steht auf einer Seite der Universität Klagenfurt (Autor*in?)
> https://www.aau.at/wp-content/uploads/2017/10/6-ERG%C3%84NZUNGEN.pdf

Mit welchem Gruppenmitglied möchtest du nächstes Mal am liebsten zusamenarbeiten? Die Tabelle hält die Ergebnisse exakt fest:

Aber die Visualisierung des Soziogramms ist zeigt auf éinen Blick den Star (1) und den Oppostionführer (7) sowie Außenseiter (6), (11) und Schwankende (10):

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Maieutische / heuristische Funktion

Als Maieutik bezeichnet man in der Philosophie (nach Sokrates / Platon) die ›Hebammenkunst‹, die der Lehrer zur Vermittlung von Einsichten verwendet. Heuristik ist die ›Findekunst‹.

John Snow (1813–1858) konnte bei der Cholera-Epidemie in London 1854 aufgrund einer kartographischen Aufnahme nachweisen, dass sich die Todesfälle im Bereich einer Wasserpumpe in der Broad Street konzentrierten. Dann wurde anhand von mikrobiologischen Untersuchungen an Wasser aus Pumpenanlagen sowie an Stuhlproben der Patienten der Erreger der Cholera nachgewiesen.

> https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Snow-cholera-map-1.jpg

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Bild als Gedankenexperiment

Weil es das zu Dementierende ja eben gerade nicht gibt, muss man es zeichnen.

Petrus Apianus (1495–1552) zeigt, dass die Erde Kugelgestalt hat. Wenn sie viereckig ([terra] tetragonica) wäre, so hätte ihr Schatten auf dem Mond in der Phase des Neumonds (eclypsatio) viereckige Form, usw.

Cosmographicus liber Petri Apiani mathematici studiose collectus, [Landshutae, impensis P. Apiani] 1528.
> https://archive.org/details/Cosmographicusl00Apia

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Bild als Stellvertretung von Nicht-Darstellbarem

Das Gebot, sich von Gott kein Bildnis zu machen (Exodus 20,4; Deut 5,8), wurde immer wieder missachtet: Gott wird anthropomorph dargestellt, wobei die Stelle Gen 1,29 (Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde, uns ähnlich) das Argument abgegeben haben mochte. Mit einem zunehmend vergeistigten Gottesbild verschwindet allmählich der als gütiger älterer Mann repräsentierte Gott: Er wird repräsentiert als Lichtergloriole, Strahlenkranz u.ä.

In der Gloriole seht hebräisch JHWH (mit der Vokalisation für ădonāi)

Wolfgang Franz, Historia Animalium. In quâ plerorumque Animalium praecipuae proprietates in gratiam Studiosorum Theologiae, & Ministrorum Verbi ad usum Eikōnologikōn breviter accommodantur, Amstelaedami: Apud Joannem Ravesteinium M. DC. LXV
> https://doi.org/10.3931/e-rara-51294

Das Dreieck weist auf die Trinität hin.

[Johann David Köhler 1684–1755] Orbis terrarvm in nuce, sive Compendium Historiae Civilis Chronologicum in sculptura memoriali = Die Welt in einer Nuß oder kurtzer Begriff der merckwürdigsten Welt-Geschichte in einer Gedächtnis-hülfflichen Bilder-Lust / ausgefertigt Durch Christoph Weigeln ... Nürnberg 1726.

Ausführlicheres zu diesem Thema > hier

Ferner zu den Bildern der (aus einem anderen Grund nicht darstellbaren) Seele > hier

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Bild-Elemente aktualisieren eine historisch ältere Szene

••• Durch Überlagerung einer historischen Szene mit einem gegenwärtigen Bild wird diese Handlung aktualisiert.

Ein Beispiel ist der der Wunderbare Fischzug Petri (vgl. Luk. 5,1–11 || und Joh. 21, 1–11):

Im Holzschnitt aus dem Passional. das ist der heyligen leben, Nürnberg: Koberger 1488 (Sommerteil, Fol. LV recto) ist die Szene nicht topographisch festgelegt; gemeint ist natürlich der See Genezareth bzw. Tiberias.

Konrad Witz verlegt die Szene 1444 an den Genfer See:

Im Hintergrund ist das Panorama erkennbar, das man vom Ufer der Stadt Genf aus sieht (von links nach rechts): Les Voirons – Le Môle – Mont Blanc (verschneit im Hintergrund) – Salève. Witz hat die Berge überhöht dargestellt. (Danke, Christian, für das PeakFinder-Bild!)

Das will sagen: Die Wunder Jesu sind nicht historische einmalige Begebenheiten in Palästina, sondern ereignen sich immer wieder in der Gegenwart und ganz in der Nähe, hic et nunc.
> http://www.zeno.org/nid/20004368258

Literaturhinweis:

Emil Maurer, Konrad Witz und die niederländische Malerei, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte XVIII/4, 1958, S. 158–166. > zak-003_1958_18__361_d

••• Es gibt das dazu inverse Verfahren: Eine naturalistische Darstellung wird von einer typischen, bedeutsamen überlagert.

Beispiel: Gian Lorenzo Bernini (1598–1680) modelliert 1665 in Versailles eine Büste von Louis XIV. Einerseits vermisst er das Antlitz des modellsitzenden Königs genau; anderseits überlagert er dem mimetischen Portrait Züge des antiken Herrschers Alexander – das er wohl Münzbildern entnimmt – und stülpt ihm (nicht nur bildnis-hafte) Charakteristika des Weltreichbegründers über.

Conrad Wiedemann, Bestrittene Individualität. Betrachtungen zur Funktion der Barockallegorie, in: Walter Haug (Hg.), Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel, Stuttgart 1979, S.574–591.

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Votivbild zwecks Lobpreis der helfenden Instanz

Als Votivgabe (von lat. voveo, vovi, votum = [v.a. einer Gottheit] etwas versprechen) bezeichnet man eine Gabe, die in Erfüllung eines Gelübdes der Gottheit oder einer/m Heiligen in einer Notlage (Krankheit, Lebensgefahr) dargebracht werden. Typische beigegebene Texte sind etwa: Maria hat mir geholfen, N.N. votum fecit – gratiam accepit. Die Gabe kann ein Modell des betroffenen Dings sein (z.B. ein Schiff) oder eines Körperteils (z.B. in Wachs nachgebildetes Bein) oder ein Bild der Situation (der um Hilfe Flehende im Bett oder in Lebensgefahr).

Die Funktionen des Bildwerks sind: {1} das überstandene Übel zu evozieren, {2} und insbesondere die in diesem Zusammenhang helfende Instanz zu lobpreisen.

Der Dampfer Sophia rammt ein Schiff; 1841 (Kriss-Rettenbeck Abb. 179 und Buch-Cover)

Augen-Skulpturen aus der St.Ottilien-Kapelle bei Buttisholz (Kanton Luzern). Die heilige Ottilia / Odilia ist die Schutzpatronin des Augenlichts; nach der Legende wurde sie blind geboren und erlangte das Augenlicht anlässlich der Taufe. (Foto PM). Vgl. auch > www.ottilienkapelle.ch

Literatur

Lenz Kriss-Rettenbeck [1923–2005], Ex voto. Zeichen, Bild und Abbild im christlichen Votivbrauchtum, Zürich: Atlantis 1972. (419 Seiten, 209 Abbildungen)

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Das Bild unterstellt einen Wahrheitsgehalt

Mit einem Text kann man gut munkeln, allenfalls auch die (Un-)Wahrscheinlichkeit des Berichteten mittels Modalpartikeln wie vielleicht, möglicherweise, sicherlich signalisieren. Ein (mimetisches) Bild vermittelt – wenn es nicht explizit als Karikatur oder Jux markiert ist – in der Regel den Eindruck, es bilde ein wirkliches Objekt ab. Solche Bilder leisten eine ›Reifikation‹.

Petrarca (1304–1374) schreibt in »De Remediiis utriusque fortunae« (I, 30.Kapitel über die Schauspiele der Römer): nichil potentius in memoriam descendit quam quod visu subit. Stephan Vigilius übersetzt das so:

was das gesicht faßt/ bleibt lang inn frischer gedächtnus/ was aber für die oren kompt/ mag einem leichtlich abfallen/ Es hangend die bilde vnd muster eines dings/ das gesehen ist lang inne/ kommen einem offt ein/ wann er schon nicht daran gedencken will/
Das Glückbuoch/ Beydes deß Guoten und Bösen/ Darinn leere und trost/ weß sich menigklich hierinn halten soll/ Durch Franciscum Petrarcham vor im latein beschriben/ vnd yetz grüntlich verteutscht, … Getruckt zuo Augspurg durch Heynrich Steyner MDXXXIX

Sebastian Münster berichtet hier über die Drachen, die in Indien leben. Das Bild erschleicht eine Beglaubigung:

Von den dracken. Man findt auch inn disem land gleich wie in dem Moren landt dracken/ vnnd das seind gros schlangen/ die haben scharpff vnd versetzt zen [Zähne] gleich wie ein säge die wol vnd scharpfft gefeielt ist. Doch seind sie gewaltiger am schwantz dann an den zenen/ sie haben auch nit so vil gifft als ander schlangen. …

Cosmographia. Beschreibung aller Lender durch Sebastianum Munsterum in wölcher begriffen. Aller völcker Herrschafften, Stetten vnnd namhafftiger flecken / härkom(m)en…. Allenthalben fast seer gemeret und gebessert / auch mit einem zuogelegten Register vil breüchlicher gemacht. Basel, Heinrich Petri, 1546; pag. dccxlix.

Objektivitäts-Marker werden Bildern beigegeben, deren Glaubwürdigkeit angezweifelt werden könnte.

Beispiel: Abbildungen von Bakterien werden gern in einem Kreis auf schwarzem Hintergrund gezeigt, als blickte der Betrachter des Buches durch das Okular eines Mikroskops.

Meyers Großes Konversations-Lexikon, Sechste Auflage, Leipzig und Wien: B.I. 1908)

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Bilder als Garnitur oder Blickfang

Gelegentlich kommt in Wissen vermittelnder Literatur auch Bilder vor, die keine kognitive Funktion haben.

••• Zum Lemma »Geisha« (das in vier Wörtern abgehandelt wird) wird ein japanischer Holzschnitt gezeigt:

Knaurs Konversations-Lexikon A–Z [in einem Band], hg. Richard Friedenhtal, Berlin © 1931

••• Auch beim genialen Fritz Kahn (1888–1968) gibt es das mitunter:

Der menschliche Körper produziert täglich 30 m Haarsubstanz. Würde man alle Haare in ein Endhaar einmünden lassen, so wüchse dieses in je 40 Minuten einen Meter vorwärts.

Fritz Kahn, Das Leben des Menschen, Band IV, Stuttgart 1929.
> https://www.fritz-kahn.com/de/project/das-tageswachstum-der-haare/

••• Ein Beispiel für eine inhaltsleere Zugabe:

Bestand schweizerischer Obligationsanleihen 1970. — Die Tabelle ist informativ; der Rahmen ist Garnitur.

Die Schweiz. Vom Bau der Alpen bis zur Frage nach der Zukunft. (Redaktion: Niklaus Flüeler u.a.), Ex Libris Verlag 1975, S. 221.

Mehr zu diesem Thema > hier — Zu ornamentalen Bildern > hier

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Bilder, die Emotionen evozieren / Urteile unterstellen wollen

Nicht eingegangen wird hier auf die moderne Produkte-Werbung, wo laufend Emotionen evoziert werden, z.Bsp. der Cowboy für die Marlboro-Zigaretten, der Freiheit und Ungezwungenheit triggert.

Beispiel:

Diagramme, die Datenmengen-Flüsse mittels verschieden dicken Pfeilen darstellen, sind eine oft verwendete Visualisierungstechnik (vgl. das entsprechende Unterkapitel bei Linien).

Hier ein seriöses Beispiel für Geld-Flüsse zwischen Ländern. In der Visualisierung sind die Nationen (mimetisch + Einfärbung) auf einer geographischen Karte dargestellt. Den Geldbeträgen entsprechen (diagrammatisch) die Dicke der Pfeile.

Diercke Weltatlas, Neubearbeitung 1974, Braunschweig: Westermann 1983/84; S. 43, Tafel IV.

In der folgenden Graphik, die die Migration von Arbeitern zeigt, wird durch die Ausgestaltung des Pfeils eine Invasion durch Fremde suggeriert. Sie ist tendenziös. Sie basiert auf beim Betrachter vorausgesetzten oder ihm unterstellten ideologischen Prämissen. (Es geht nicht um die Richtung des Pfeils.)

Anwerbeabkommen zwischen BRD und TR (Der Spiegel 11. März 2007)
> https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19127466

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Bilder, die eine Wissens-Ordnung visualisieren (Meta-Ebene I)

Jörg Jochen Berns verwendet den Ausdruck »Ordnungsbilder« für Bilder, die Inhalte der Enzyklopädie für die Leserschaft strukturieren helfen.

Beispiel: Lambert von St. Omer stellt in seinem »Liber floridus« (um 1120) den Zusammenhang verschiedener Laster in Form eines Baumes dar. Dies könnte in einer diagrammatischen Technik realisiert sein, hier indessen ist die Verzweigungs-Metaphorik bildnerisch konkretisiert:

> https://books.google.ch/books?id=OQ1-igA9LI4C&hl=de&source=gbs_navlinks_s

Ausführlicheres zum Thema von Baum-Graphken > hier

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Bilder, die auf eine Wissens-Sammlung hinführen (Meta-Ebene II)

Titelbilder von Büchern weisen mitunter darauf hin, was in dem Buch behandelt wird. Die einezlenne Bildteile selbst haben keine spezifisch erklärende Funktion.

Vollständiges Mathematisches Lexicon, Darinnen alle Kunst-Wörter und Sachen, Welche In der erwegenden und ausübenden Mathesi vorzukommen pflegen, deutlich erkläret; Überall aber zur Historie der Mathematischen Wissenschafften dienliche Nachrichten eingestreuet, […] Theil 2 […] Leipzig: Gleditsch 1747.

Mehr zu diesem Thema > hier

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Bilder, die dem Leser eine Orientierungshilfe im Text geben (Meta-Ebene II)

In einigen mittelalterlichen Enzyklopädien wird den Lesern die Orientierung im Text erleichtert durch Miniaturen, die als Blickfang einige der im folgenden Kapitel behandelten Dinge zeigen.

• Beispiel aus Bartholomaeus Anglicus († 1272). Livre des proprietés des choses de Bathélemy l'Anglais , traduit du latin par Jean Corbichon; Beginn des Kapitels du monde et des corps celestaux …

Bibliothèque nationale de France. Département des Manuscrits. Français 22532
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b10464108z/f242.item

• Beispiel aus Isidor von Sevilla, Württembergische Landesbibliothek, Cod. poet. et philol. fol.33 (2. Hälfte des 13.Jhs.).

Beginn des Kapitels (IX, i) De linguis gentium (Über die Sprachen der einzelnen Völker).
Warum wohl sind hier Männer abgebildet, die einen Turm bauen?

> http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz352950846

Der erste Satz des Texts lautet: Linguarum diversitas exorta est in aedificatione turris post diluvium (vgl. Genesis 11,8)

Literaturhinweis: Christel Meier, Illustration und Textcorpus. Zu kommunikations- und ordnungsfunktionalen Aspekten der Bilder in den mittelalterlichen Enzyklopädiehandschriften, in: Frühmittelalterliche Studien Band 31 (1997), S. 1–31 und 28 Bildtafeln.

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Erste Fassung online im April/Mai 2020; Ergänzungen im Dezember 20 – Juli 21 — PM

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