Sagt ein Bild mehr als 1000 Worte?

     
 

Lösung der dritten Testfrage

Wie kann man, vor die Bilder von zwei schönen Frauen gestellt, herausfinden, wer dargestellt ist?

Bild A: Der Evangelist Lukas* malt die Madonna:

Kupfer von Marcantonio Bellavia (um 1660/80)
> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_U-1-148

Bild B: Apelles malt Campaspe

Willem van Haecht (1593–1637) (Ausschnitt)
> Wikimedia

Hintergrund: Als er [Alexander der Große] veranlasst hatte, dass eine von ihm ganz besonders geliebte Nebenfrau, namens Pankaspe [in anderen Quellen: Campaspe] wegen ihrer bewunderungswürdigen Gestalt von Apelles [griech. Maler des 4. Jhs.] gemalt werde, und dabei beobachtete, dass dieser, indem er gehorchte, selbst in Liebe entbrannte, gab er sie ihm zum Geschenk. (Plinius , Naturalis Historiae XXXV, § 86)

Die Idee des Vergleichs von zwei ganz ähnlichen Portraits, die sich einzig hinsichtlich ihrer Beischriften unterscheiden, geht zurück auf die »Libri Carolini« aus der Karolingerzeit. Dort freilich geht es um Bilder von Maria und Venus:

Offeruntur cuilibet eorum qui imagines adorant, verbi gratia, duarum feminarum pulchrarum imagines superscriptione carentes, quas ille parvipendens abjicit, abjectasque quolibet in loco jacere permittit, dicit illi quis: "Una illarum sanctae Mariae imago est, abjici non debet; altera Veneris, quae omnino abjicienda est," vertit se ad pictorem quaerens ab eo, quia in omnibus simillimae sunt, quae illarum sanctae Mariae imago sit, vel quae Veneris?

Jemandem von denjenigen, die (mit Verlaub) Bilder verehren, wurden Bilder von zwei schönen Frauen gezeigt, die keine Beischrift (superscriptio) hatten; ein Verächter hatte sie entfernt und irgendwo weggeworfen. [Offenbar sind Täfelchen gemeint, die den Text enthielten.] Da sagte jemand zu ihm: "Eines der beiden ist ein Bild der hl. Maria und darf nicht weggeworfen werden; das andere eines der Venus, und sollte auf alle Fälle weggeworfen werden." Er wendet sich an einen Maler und fragt, welches von den beiden sehr ähnlichen Bildern das von Maria und welches das von Venus sei?

Ille huic dat superscriptionem sanctae Mariae, illi vero superscriptionem Veneris: "ista quia superscriptionem Dei genitricis habet, erigitur, honoratur, osculatur; illa quia inscriptionem Veneris Aeneae cujusdam profugi genitricis habet, dejicitur, exprobratur, exsecratur; pari utraeque sunt figura, paribus coloribus, paribusque factae materiis, superscriptione tantum distant."

Dieser versieht das eine Bild mit der Beischrift "Maria", das andere mit der Beischrift "Venus". Das Bild mit der Beischrift "Maria" wurde erhoben, verehrt und geküsst – das mit die Beischrift "Venus, Mutter des Aeneas" wurde niedergeworfen, getadelt, verflucht. Dies, obwohl beide (Bilder) dieselbe Form und Farbe hatten, aus demselben Material gefertigt; einzig hinsichtlich der Beischrift verschieden.

[Theodulf von Orléans u.a. zugeschrieben, 790 verfasst], Libri Carolini IV, Cap.16 = MGH Concilia, II, Suppl.I (1998) S. 528f. = Migne PL 98, 1219.

*) Literaturhinweise zur seit dem Mittelalter verbreiteten Sage von dem vom Evangelisten Lukas gemalten Marienbild:

H. Holländer in: E.Kirschbaum u.a., Lexikon der christlichen Ikonographie, Band I, Freiburg: Herder 1971, Sp. 119–122.

Michele Bacci, Die dem Heiligen Lukas zugeschriebenen Marienbilder und ihre Verbreitung nördlich der Alpen im Mittelalter, in: Das Freisinger Lukasbild. Eine byzantinische Ikone und ihre tausendjährige Geschichte, hg. von Carmen Roll u.a., Paderborn: Schöningh, [2019] S. 63–76.

 

Sagt ein Bild wirklich (immer) mehr als 1000 Worte?

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