Les Labyrinthes du Savoir

     
 

Les Labyrinthes du Savoir – Ausstellung im Museum Prangins (26. August bis 12. November 2005)

Die Ausstellung im Musée national suisse, Château de Prangins wurde kuratiert von François de Capitani (1950–2012). Sie war durchwegs zweisprachig (französisch/deutsch) angeschrieben.

Seit 2005 stand eine kleine Dia-Show [pop-up] auf dieser Homepage. Jetzt haben wir zum Andenken an François de Capitani die Ausstellung rekonstruiert.

Die hier wiedergegebenen Texte stammen von F.d.C.; die (technisch leider ungenügenden) Fotografien von P.Michel. (Gelegentlich fehlt ein Bild; * bezeichnet Ersatzbilder; Ergänzungen stehen in eckigen Klammern.)

Die Exponate entstammten zum Teil den Beständen des Schweizerischen Nationalmuseums, zum Teil kamen sie aus Privatbesitz.

P.M., Februar 2013

nach oben

 
     
 

Einleitung

Ständig sind wir am Suchen: im Supermarkt, im Internet, in Büchern oder im Kleiderschrank. Nur wenn wir die Ordnung kennen oder ahnen, die hinter der Anordnung der Waren, der Informationen, des Wissens steckt, haben wir eine Chance etwas auch zu finden.

Die Menge des Wissens, auf die wir heute mit einfachen Mitteln zurückgreifen können, ist unvorstellbar gross; ein Mensch allein kann sie niemals überblicken. Umso wichtiger wird daher das Beherrschen der Such-Mittel, das Wissen um die Ordnung.

Aber auch Ordnungen haben ihre Geschichte: jede Generation fügt neue Systeme hinzu, revidiert Klassifikationen und verdrängt obsolet gewordene Ordnungen.

Die Ausstellung im Schloss Prangins zeigt die verschiedensten Möglichkeiten, wie Gegenstände und Informationen geordnet werden können.

nach oben

 
     
 

I. Sans espoir / Hoffnungslos

Ungefähr alles was man wissen möchte, findet sich in diesem Haufen. Aber in der Unordnung wird man das Gesuchte nicht finden. Beim Stöbern findet man aber vielleicht etwas, das man gar nicht gesucht hat.

 

>>> Welche Ordnung ist die richtige?

Wie würden Sie die Produkte eines Supermarktes anordnen? Die alphabetische Ordnung erweist sich als wenig praktisch und wechselt von Sprache zu Sprache. Eine Ordnung nach den Farben wäre ästhetisch ansprechend, ist aber für den Alltag ungeeignet. So erweist sich die Ordnung eines Supermarkts als ein komplexes System verschiedener Ordnungsprinzipien, mit denen wir bewusst und unbewusst umzugehen wissen.

Entdecken Sie die 479’001’600 Möglichkeiten die 12 Produkte anzuordnen! Bei 10 Ordnungsaktionen in der Minute sind Sie über 91 Jahre ununterbrochen beschäftigt.

nach oben

 
     
 

II. Wissen ordnen: Informationen in den Griff bekommen / Organiser le savoir ou l’art de maîtriser les informations

Jeder Mensch hat seine eigene Weise, wie er seine Sachen ordnet, seine Sammlungen und sein Wissen organisiert. Sollen aber mehrere Personen Zugang zu den gleichen Informationen haben, muss man sich auf ein gemeinsames Ordnungsprinzip einigen. Die Wahl des Ordnungsprinzips streicht Aspekte des Wissens hervor und vernachlässigt andere.

Schrank mit Setzkästen, um 1900

[* Encyclopédie, Planches, tome 7 (1769)]

Im Setzkasten sind die Buchstaben teils alphabetisch, teils nach ihrer Häufigkeit geordnet. Grossbuchstaben sind in der oberen Hälfte, Kleinbuchstaben in der unteren platziert. Jede Schriftart, jeder Schriftstil und jede Schriftgrösse benötigt einen eigenen Setzkasten.

Sammlerschrank Kloster Rheinau, 1745

[Bild fehlt] Es handelt sich um einen Münzschrank, in dem die numismatischen Sammlungen des im achten Jahrhundert gegründeten und 1862 aufgehobenen Benediktinerklosters aufbewahrt wurden.

Korrespondenzmappe aus Leder, um 1800

Die Mappe mit Brieffächern für 14 verschiedene Destinationen gehörte dem Genfer Magistraten, Banquier und Handelsmann Jean-Louis Masbou (1770–1836).

Der Bundesordner

Seit 1908 verwendet die Bundesverwaltung Ordner um ihre Akten aufzubewahren. Früher wurden die Dokumente zu Aktenstössen zusammengebunden. (Firma Biella, Biel*)

Randlochkarten um 1970, Staatsarchiv des Kantons Bern

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erlauben Lochkarten die Auswahl und Sortierung von Informationen. Jedes Schlüsselwort entspricht einer Folge von Löchern und Zwischenräumen. Mit Hilfe einer Nadel können die gewünschten Karten ausgewählt werden.

Karteikasten mit Kochrezepten, Deutschland, um 1950

[Bild fehlt] In der Zeit vor dem allgegenwärtigen Computer war der Zettelkasten das wichtigste Arbeitsinstrument, um [ergänz- und veränderbare] alphabetische oder systematische Verzeichnisse zu erstellen.

 

>>> Die alphabetische Ordnung

ABC-Buch, Deutschland um 1820

Das ABC-Buch ordnet alle möglichen Gegenstände alphabetisch nach ihren deutschen Namen. Es liegt auf der Hand, dass die französische Übersetzung dieser Logik nicht folgen kann.

Johann Hübners Neu-vermehrtes Poetisches Handbuch…, 1712

Eine ungewöhnliche alphabetische Ordnung: Die Wörter sind nach ihren Endbuchstaben geordnet.

 

>>> Die numerische Ordnung

Genfer Taschenuhr um 1795

Zur Zeit der Revolution, 1793, wollte die französische Republik mit allen Traditionen des christlichen Kalenders brechen. Die Jahre wurden von der Ausrufung der Republik am 22. September 1792 an gezählt; alle Zeiteinheiten sollten möglichst auf dem Dezimalsystem beruhen. So teilte sich das Jahr in 12 Monate zu je 30 Tagen. Die zum Jahr fehlenden fünf Tage sollten Nationalfeiertage werden. Auch die Monatsnamen wurden geändert. Die Herbstmonate hiessen nun Vendémiaire, Brumaire und Frimaire; die Wintermonate Nivôse, Pluviôse und Ventôse; die Frühlingsmonate Germinal, Floréal und Prairial und schliesslich die Sommermonate Messidor, Thermidor und Fructidor. An die Stelle der Woche trat die Dekade mit den zehn Tagen Primidi, Duodi, Tridi, Quartidi, Quintidi, Sextidi, Septidi, Octidi, Nonidi, Décadi. Endlich sollte der Tag in zehn Stunden unterteilt werden, jede à 100 Minuten. – Die neue Zeitmessung konnte sich nicht durchsetzen und auch der neue Kalender wurde 1805 wieder abgeschafft.

Die Genfer Uhr zeigt beide Zeitsysteme, oben die dezimale Revolutionszeit, unten die traditionelle duodezimale Einteilung. Links zeigt sie die Monate an, rechts die Tage der Dekade. Ein Meisterwerk der Genfer Uhrmacherkunst!

Musterkollektion von Knöpfen, Winterthur, um 1900

[Bild fehlt] Jede Seite ist in 110 Felder unterteilt, auf die die Knöpfe aufgenäht wurden. Jeder Knopf trägt eine Nummer und ist so genau identifizierbar.

 

>>>Die systematische Ordnung

Objekte aus der Sammlung archäologischer Fundstücke von Paul Wernert (1889 - 1972)

Armreifen, Bronzezeit, 1500 – 1000 vor Chr.
(Äxte und Keulenkopf, neolithisch, um 3000 vor Chr.)

Der Sammler hat seine Objekte, die mehrheitlich von den Ufern des Neuenburger- und des Bodensees stammen, nach typologischen Kriterien geordnet.

Johann Caspar Lavater (1741-1801), Physiognomische Fragmente

Der Zürcher Pfarrer, Philosoph und Dichter Lavater entwickelte eine Systematik der menschlichen Charaktere. Kopfform und Gesichtsausdruck sollten auf die inneren Werte des Einzelnen schliessen lassen. Aus Tausenden von Silhouetten und Zeichnungen leitete er seine Lehre ab, der er den Namen ›Physiognomie‹ gab. Dieses System fand im 18. und 19. Jahrhundert einen ungeheuren Widerhall.

Musterkollektion von Uhrengehäusen, ARTÈS, Genf, um 1910

Nach welchen Prinzipien sind die Uhrengehäuse angeordnet?
Wir wissen es nicht.

 

>>> Die biblische Ordnung

Johann Jakob Scheuchzer, Physica sacra, Augsburg 1731–1735

Der Zürcher Gelehrte Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) ordnete das ganze Wissen seiner Zeit entlang der Bibel. Vom ersten Buch Moses bis zur Offenbarung fand jedes Naturphänomen seinen Platz.

Der 33. Psalm bietet die Gelegenheit das Herz zu erklären (Tafel DXLIV):

Der HERR schaut vom Himmel und sieht aller Menschen Kinder.
Von seinem festen Thron sieht er auf alle, die auf Erden wohnen.
Er lenkt ihnen allen das Herz; er merkt auf alle ihre Werke.

Das Herz wird mit mit einer Feuerspritze (unten im Bild) verglichen.

 

>>> Die ästhetische Ordnung

Erinnerungsstücke aus dem Ersten Weltkrieg, Musée jurassien d'art et d'histoire

Der Gründer des Musée jurassien, der Priester Arthur Daucourt (1849–1926) vereiniget verschiedenartigste Objekte, die im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg stehen, zu einem Schaubild.

In der Tradition der Reliquienbilder evozierte er mit ästhetischen und emotionellen Mitteln die Leiden des Kriegs.

nach oben

 
     
 

III. Fallstricke, Herausforderungen und Grenzen / Pièges, défis et limites

Aber aufgepasst! Auch ein scheinbar gesichertes Wissen kann Überraschungen bergen. Informationen können manipuliert oder unvollständig sein; unsere Ordnungsprinzipien können widersprüchlich sein oder in Frage gestellt werden. Es gibt kein Wissen ohne gesellschaftlichen Rahmen.

Keltischer ›Helm‹ aus Giubiasco, 1. Jahrhundert nach Chr.

Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem Tessiner Gräberfeld Metallelemente gefunden wurden, waren alle davon überzeugt, dass es sich um die Reste eines Helmes handeln musste. Gemäss dieser Annahme wurden die Teile zusammengefügt. Heute nehmen die Archäologen an, dass es sich vielleicht auch um die Überreste eines Kessels handeln könnte. Das Objekt ist nicht nur ein Zeugnis einer weit zurückliegenden Epoche, sondern auch das Produkt eines heroischen und kriegerischen Geschichtsbildes.

 

>>> Überwachtes Wissen

Die Grundgesetze Berns: Das Rothe Buch, 18. Jahrhundert (Privatbesitz)

Die Grundgesetze der Republik Bern waren nicht allen zugänglich. Nur die Mitglieder der Räte durften für ihren persönlichen Gebrauch eine Abschrift besitzen.

Zensurierte Karten, Briefe und Photographien

In totalitären Systemen ist die Zensur allgegenwärtig. In Kriegszeiten aber versuchen alle Länder die Informationswege zu überwachen, so auch die private Korrespondenz.

Auch die Presse ist dann der Zensur unterworfen und kein Bild darf ohne die Genehmigung durch die Militärbehörden veröffentlicht werden.

 

>>> Zerstörtes Wissen

Josias Simler, Helvetiorum Respublica, Leiden 1627


Josias Simler (1530–1576) verfasste eine im 16. und 17. Jahrhundert sehr verbreitete Geschichte der Eidgenossenschaft. Offenbar hat ein Leser an einzelnen Stellen, die die Religion betreffen, Anstoss genommen und sie geschwärzt.

Encyclopédie d’Yverdon, Band XXI, Yverdon 1773

Einige Seiten wurden aus diesem Band herausgerissen. Sie enthielten den Artikel Génération, d. h. die Zeugung. Es handelt sich hier um eine delikate theologische Frage, denn es geht um die Beziehung zwischen Gott Vater, Christus und dem Heiligen Geist. Von der Antike bis in die modernen Zeiten war es ein heiss umstrittenes Thema.

Sieg Kaiser Konstantins bei der Milvischen Brücke im Jahre 312, Französischer Stich, Ende 17. Jahrhundert

Der Stich ist von Silberfischchen teilweise zerstört. Dieses Insekt ernährt sich von Papier und Leim und ist eine gefürchtete Plage der Bibliotheken und Sammlungen.

 

>>> Verschlüsseltes Wissen

Spielstein mit dem Profil Ludwig XVI. / Medaille mit dem Porträt Ludwig XVI. im Profil

Der scheinbar harmlose Spielstein war in Wirklichkeit ein Erkennungszeichen der französischen Royalisten während der Revolution.

Stewart’s Telegraphic code, 1897

Der Telegraph war ein rasches, aber teures Kommunikationsmittel. Jedes Wort und jede einzelne Ziffer wurden einzeln verrechnet. Ende des 19. Jahrhunderts kostete ein Telegramm aus der Schweiz in die USA mindestens Fr. 4.– pro Wort; das entsprach einem Tageslohn eines Arbeiters. Um Kosten zu sparen, wurden Codes verwendet. Jedes Wort konnte einen ganzen Satz oder eine Zahlenreihe bedeuten. Der Empfänger musste aber zwingend über die gleiche Liste der Codes verfügen wie der Absender. – Stewart’s Telegraphic Code, by Means of which Any Number from One to a Million Can be Expressed by a Single Word of Not More Than Ten Letters. [Bild *]

Richard Hering, Dictionnaire de cuisine, Wien, um 1921

Nicht nur Geheimdienste, Diplomaten und Armeen verschlüsseln ihre Informationen. In vielen Bereichen des Lebens dienen Codes dazu, die Eingeweihten von den Unwissenden zu trennen.
Ein schönes Beispiel ist die Sprache der Gastronomie. Das kleine Lexikon kennt 174 verschiedene Rezepte für die Zubereitung eines Huhns, alle mit wohltönenden Namen. Hinter jedem Namen steht ein Wissen, das nur den Eingeweihten vertraut ist.

 

>>> Verfälschtes Wissen

Ansicht von Bern, Zwei Postkarten, um 1910

[Bild fehlt] Die beiden Ansichtskarten zeigen ungefähr den gleichen Ausschnitt. Aber woher kommen die Berge auf der zweiten Karte? Für das touristische Ansehen der Stadt war es unabdingbar, dass die majestätischen Alpen allgegenwärtig waren, auch dort, wo sie nicht zu sehen waren. Es handelt sich also um eine Montage.

Ansicht von Schloss Schadau bei Thun, Chromolithographie um 1900

Das Bild vereinigt die Ansicht des Schlosses Schadau von Hünibach aus mit dem Bild der Jungfrau von Interlaken aus.

 

>>> Widersprüchliches Wissen

Astronomia, Neujahrsbatt der Bürgerbibliothek Zürich, 1707 (Kupferstich von Johannes Meyer)

Die Allegorie der Astronomie wird von Mond, Sonne und den damals bekannten Planeten umrahmt. Im Hintergrund zeigen drei Männer die bis ins 18. Jahrhundert hinein heftig umstrittenen Weltbilder. Claudius Ptolemäus (ungefähr 110 bis 160) stellt die unbewegliche Erde ins Zentrum; Mond, Sonne und die Planeten umkreisen sie. Auch für Tycho de Brahe (1546–1601) steht die Erde im Zentrum, umkreist von Mond und Erde. Die Planeten allerdings werden als Satelliten der Sonne dargestellt. Nikolaus Kopernikus (1473–1543) zeigt das moderne heliozentrische Weltbild auf.

Das Schnabeltier

*
Ist es ein Vogel? Es legt Eier, hat einen Schnabel ähnlich jenem der Ente, und Schwimmhäute.
Ist es ein Säugetier? Es säugt seine Jungen und hat ein Fell.
Ist es ein Reptil? Die Körpertemperatur schwankt stark, und das Urogenitalsystem ist jenem der Reptilien ähnlich.

 

Johann Jakob Scheuchzer: Homo diluvii testis

Scheuchzer (1672–1733) sah in der Versteinerung, in Einklang mit der biblischen Überlieferung, die Überreste eines in der Sintflut ertrunkenen Menschen (Physica sacra, Augsburg 1731–1735). Aber schon Georges Cuvier (1769–1832) identifizierte sie als Versteinerung eines Riesensalamanders.

 

>>> Unbekannte Objekte

[Bild fehlt] Jedes Museum besitzt Objekte, über die nichts in Erfahrung gebracht werden kann.

 

>>> Fälschung und Kopie

Goldbecher, um 2000 vor Chr.

Bei Bahnarbeiten in der Nähe von Eschenz im Thurgau kam ein Becher zum Vorschein, der dem Landesmuseum übergeben wurde. Bald stellte sich aber heraus, dass es sich um eine plumpe Kopie des Original handelte. Der Originalbecher tauchte Jahre später wieder auf und befindet sich heute im Historischen Museum des Kantons Thurgau. Das Landesmuseum konnte davon eine Kopie anfertigen und besitzt somit eine Fälschung und eine Kopie des Objekts.

 

>>> Fälschung!

›Brief von Jean Calvin‹, Ende des 19. Jahrhunderts

Ein gewisser Favre hat im ausgehenden 19. Jahrhundert eine ganze Reihe von Briefen Calvins gefälscht.

Karikatur Voltaires. Hans Dickler, 1974

Alles liess vermuten, dass es sich um eine Zeichnung des berühmten Künstlers Anton Graff (1736–1813) handelt. Doch ist sie leider ein Werk des deutschen Fälschers Hans-Joachim Dickler!

Die Schlacht bei Marignano 1515, Öl auf Kupfer, um 1950

[Bild fehlt] Die chemische Analyse der Farbpigmente brachte es an den Tag: das Bild kann nicht aus dem 16. Jahrhundert stammen. Das verwendete Preussischblau wurde erst im 18. Jahrhundert entdeckt. Schade!

nach oben

 
     
 

IV. Übersichten / Vues d’ensemble

Mit Bildern versuchen wir, einen bestimmten Wissensausschnitt besser zu erfassen. Seit drei Jahrhunderten wächst die Flut von Karten, Wissensbäumen, Statistiken und Diagrammen unaufhaltsam. Gelegentlich machen aber Bilder des Überblicks ein ohnehin schon kompliziertes Wissen vollends unverständlich.

Richard Blome (1635–1705), Die Geometrie, 1686

Der Autor der frühen englischen Enzyklopädie »The Gentleman’s Recreation« gibt der Übersicht über die verschiedenen Teile der Geometrie die Form eines Wissensbaums.

Gregor Reisch (1467–1525), »Margarita philosophica«, 1504

Das Frontispiz zeigt die Allegorie der Philosophie und der ihr ergebenen Wissenschaften.

Der Wissensbaum der »Encyclopédie«

Table analytique et raisonnée des matières Contenues dans les XXXIII Volumes in-folio du Dictionnaire des sciences, des arts et des métiers, et dans son supplément [erm. Verf. Pierre Mouchon], A Paris, Chez Panckoucke, hôtel de Thou, rue des Poitevins. A Amsterdam Chez Marc-Michel Rey, 1780.

Der Wissensbaum fasst die Systematik des Wissens in allen seinen Verästelungen zusammen, die hinter der alphabetischen Ordnung der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert steckt.

Athanasius Kircher, »Arca Noe«, Amsterdam 1675

Der gelehrte deutsche Jesuit Athanasius Kircher (1602–1680) ordnet die Tiere entsprechend ihrem Platz in der Arche Noah. Der Elefant gilt als das edelste Tier, gefolgt vom Rhinozeros. Die übrigen Tiere sind ihrem Rang entsprechend untergebracht. Die Schlangen – verantwortlich für den Sündenfall – befinden sich im Kielraum.

[Übersicht über den Kupferstich HAB Wolfenbüttel [www]<Februar 2013>]

Stammbaum der Zürcher Spitalpfleger von 1273 bis 1771, Öl auf Leinwand, 1676

Die Liste der Magistraten wird als Baum dargestellt; jeder Amtsinhaber ist durch sein Familienwappen vertreten. Die Darstellung soll die Kraft und die Kontinuität der Institution unterstreichen.

Nebenprodukte der Entgasung von Steinkohle, Schulwandbild, um 1950/60?

SNM Inventar-Nr. LM 84801 (Ausschnitt)

Alexandre Denéréaz, Die Entwicklung der musikalischen Kunst von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Lausanne 1919

Eine 3.20 Meter lange Darstellung der Musikgeschichte von den Vögeln bis zu Richard Wagner. Ein Wissensbaum, der kaum weiterhilft!

A. Lesage, Pseudonym des Grafen Emmanuel de Las Cases (1766–1842), Atlas historique, généalogique, chronologique et géographique

Der erstmals 1802 herausgegebene Atlas vereinigt Listen, Statistiken, Genealogien und Karten zu einer Gesamtschau der grossen historischen Themen.

Gregor Rabinovitch (1884–1958), Mutter Helvetia im Kreise ihrer grossen Söhne (1941)

Der aus Russland stammende Maler und Zeichner Gregor Rabinovitch liess sich 1914 in der Schweiz nieder. Seit 1922 arbeitete er regelmässig für die satirische Zeitschrift »Der Nebelspalter«. Die vorliegende Zeichnung erschien aus Anlass des 650. Jubiläums des Bundesbriefes. Dreiundzwanzig Personen (alles Männer!) sind um die Personifikation der Heimat versammelt. Sie verkörpern eine wehrhafte Schweiz mit grosser kultureller und humanitärer Tradition. Rund die Hälfte der Porträts sind Briefmarken der Zwischenkriegszeit entnommen.

Das Schlaraffenland, München, 1963

Die Tradition der erfundenen Landschaften reicht bis ins 17. und 18. Jahrhundert zurück. Es sind poetische und spielerische Gesamtansichten, bereits auch Parodien auf die einsetzende Manie, von jedem Thema unbedingt eine Übersicht geben zu wollen.

Die Wohltaten der Menschheit; Sammlermarken Tobler, 1920 *

Die Schokoladenfabriken Tobler und andere gaben ab 1920 Sammlermarken heraus. Jede Serie war als Teil einer eigentlichen Enzyklopädie für Kinder konzipiert. Die Legenden sind in der Kunstsprache IDO verfasst, einer Variante des Esperanto.

Statistische Tabelle der Ein- und Ausfuhren zwischen Spanien und Amerika

Guillaume-Thomas Raynal, Histoire philosophique et politique des Etablissements et du Commerce des Européens dans les deux Indes, t. IV, Genève 1782.

Das Wort ›Statistik‹ taucht erstmals 1749 auf. Mit grossen Tabellen den Überblick zu schaffen, wurde in der Aufklärung eine eigentliche Mode. Aber erst Ende des 18. und im 19. Jahrhundert setzte sich zögerlich die Umsetzung der Zahlenreihen in Graphiken durch.

Vergleich der Höhen der Berge in der Welt

[In Prangins war ausgestellt: Christian Vollrath von Sommerlatt, Beschreibung der XXII Schweizer-Kantone, Basel 1838.]

* Conversations-Hand-Lexikon. Ein Hülfswörterbuch für diejenigen, welche über die beim Lesen sowohl, als in mündlichen Unterhaltungen vorkommenden, mannigfachen Gegenstände näher unterrichtet seyn wollen. Reutlingen: Mäcken 1831

nach oben

 
     
 

V. Von der »Encyclopédie« zum Internet

Erst seit dem 18. Jahrhundert folgen Enzyklopädien üblicherweise einem alphabetischen Aufbau. Verweise von einem Artikel zum andern sollen den Zusammenhang bewahren. Hinter dem alphabetischen Aufbau steckt also ein ganzes Netz miteinander verbundener Themen, eine Ordnung des Wissens, in dem auch die Erbauer leicht den Überblick verlieren können.

Die ehrwürdigen Enzyklopädien des 18. Jahrhunderts und das Internet aus dem Jahr 1991 kämpfen mit den gleichen Problemen: Wie findet man sich im Labyrinth zurecht, was entzieht sich unserer Suche, und welche Informationen werden in den Vordergrund gestellt?

Josephus Lange (1570–1615), »Florilegium«, 1613 im Vergleich mit der Ausgabe 1645

[Bild fehlt] Nicht erst in unseren Tagen wächst das zur Verfügung stehende Wissen lawinenartig an. Von der ersten zur dritten Auflage wuchs diese Zitatensammlung des 17.Jahrhunderts von ungefähr 2 ½ Millionen auf weit über 15 Millionen Zeichen an.

Loci communes sive Florilegium rerum et materiarum selectarum: praecipu Sententiarum, Apophthegmatum, Similitudinum, Exemplorum, Hieroglyphicorum: Ex Sacris Literis: Patribus item: aliisque Linguae Graecae et Latinae Scriptoribus probatis collectum. Studio et operâ Josephi Langii […] Argentorati. Typis Josiæ Rihelij Hæredum 1613.

Florlegii Magni, seu POLYANTHEÆ Floribus Novissimis Sparsæ, Libri XX. […]. Agentorati, Sumptibus Hæredum Lazari Zetzneri, MDCXLV.

Pierer’s Universal-Lexikon, Druckfahnen der 5.Auflage, 1857/65

Jede Enzyklopädie verändert sich von Ausgabe zu Ausgabe um aktuell zu bleiben. Der Redaktor dieses deutschen Lexikons, Julius Löbe (1805–1900), ergänzte und korrigierte hier die Texte der vorangegangenen Ausgabe.

Encyclopédie d’Yverdon
42 volumes, 6 volumes de suppléments et 10 volumes de planches

[Bild fehlt] Eine umgearbeitete Ausgabe der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert erschien zwischen 1770 und 1780 in Yverdon. Als Herausgeber zeichnete Fortunato Bartolomeo de Felice (1723–1789), ein aus Neapel gebürtiger Gelehrter. Die Auflage von 2’700 Exemplaren, für damalige Verhältnisse ausserordentlich hoch, zeugt vom grossen Erfolg des Unternehmens.

Ferdinand von Reznicek (1868–1909), »Polterabend« in: Simplicissimus 1907

Ich bin neugierig, was du mir schreiben wirst! Brockhaus ist doch zu lückenhaft!
Selbst das grosse deutsche Konversationslexikon hat nicht auf alles eine Antwort ...

Wikipedia. Die freie Enzyklopädie

Die 2001 begonnene Wikipedia ist ein Gemeinschaftswerk, das allen offen steht. Jeder kann Beiträge schreiben, die aber von ehrenamtlichen Administratoren überprüft werden. Sie umfasst heute [das war 2005] mehr als 1’600’000 Artikel in über 100 Sprachen. Jede Stunde kommen etwa zwanzig neue hinzu. [Stand Februar 2013 nach dem Impressum der Wikipedia: über 280 Sprachen; seit Mai 2001 sind 1.552.406 Artikel in deutscher Sprache entstanden.]

http://www.wikipedia.org

nach oben

 
     
 

Annex

Ein Parcours im Garten des Schlosses zeigt unerwartete Einteilungen der Gemüse- und Obstsorten. Was heute als gesund gilt, konnte vor 300 Jahren als bedenklich angesehen werden und umgekehrt.

 

nach oben